zu versinken schien. »Wir sollten klare Verhältnisse schaffen«, fuhr Lukas mit hörbar US-amerikanischem Akzent fort und machte mit seinem Dreitagebart und den kurz geschorenen schwarzen Haaren keinen sympathischen Eindruck auf Blaubart. »Ich hab mir da etwas überlegt. Und vielleicht bist auch du zur Besinnung gekommen.«
Blaubart erhob sich langsam. »Was willst du von mir? Mich einschüchtern?«
Lukas kam einen Schritt näher. »Ist mir egal, wie du das siehst. Ich mach dir einen Vorschlag: We forget die Sache mit dem Auto. Dafür machen wir einen anderen Deal.«
Blaubart starrte dem Amerikaner in die Augen. »Und zwar?«
»Gebrauchtwagen für den Osten«, knurrte Lukas und steckte die Hände tief in die Taschen seiner olivfarbenen Jacke. »Du besorgst sie, ich bring sie hin. Sehr gutes Geschäft. Aber nur Nobelmarken.«
»Wie soll das funktionieren?«, war alles, was Blaubart über die Lippen brachte.
»Das überlass mal mir. Und noch etwas«, er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich, »auch mit der Kirstin könnte was laufen. Die ist viel zu schade, um in einem Provinz-Striptease-Schuppen zu verkommen, wenn du verstehst, was ich meine.«
Blaubart spürte einen Kloß in der Kehle. »Das kann nicht dein Ernst sein.«
»Kirstin ist ein Goldschätzchen«, grinste Lukas überheblich. »Wir müssen sie nur ein bisschen auf Spur bringen. So sagt man doch, oder?« Weil Blaubart nichts erwiderte, lehnte sich der Amerikaner genüsslich zurück und ergänzte wissend: »Schöne Fotos hast du wieder gemacht. Du solltest sie nur nicht in verbeulte Autos setzen. So eine Beule lenkt vom Wesentlichen ab.«
45
Nach den neuerlichen Ermittlungen hatte Soko-Leiter Zeller einige Tage später seine Mannschaft in Stuttgart zu einer Besprechung zusammengerufen. »In Göppingen machen die wildesten Geschichten die Runde«, stellte er fest. »Unsere Aufgabe muss es deshalb auch sein, denen entgegenzuwirken.«
»Andererseits«, so warf sein Kollege Häberle ein, »kann man’s den Leuten ja nicht verdenken. Aber wenn erst bekannt wird, dass eine Sparkassenangestellte demnächst einen der Geldboten heiraten will, dann dürfen wir uns auf neue Schauergeschichten einstellen.«
»Nun mal langsam«, riet Zeller zu nüchterner Betrachtungsweise. »Es wäre sicher zu kurz gedacht, das Mädchen und den Geldboten als Drahtzieher des Ganzen zu verdächtigen.«
»Trotzdem sollten wir uns die Dame mal genauer ansehen«, warf eine Kriminalistin ein und erntete die Zustimmung des Soko-Leiters: »Meine ich auch. Und unser Kollege August«, er wandte sich an Häberle, »sollte sich noch intensiver in Göppingen umhören, wo er sich ja bestens auskennt.«
Häberle nickte. »Aber vergesst bitte nicht: Das alles liegt jetzt schon 15 Monate zurück.«
»Vielleicht gibt es ja doch einige Zusammenhänge zu den Geschehnissen der jüngsten Zeit«, meinte die Kriminalistin und zählte auf, was sie meinte: »Familiendrama, Fahrt in den Bodensee …«
»Bitte nicht schon wieder«, wehrte Zeller ab. »Halten wir uns an die Fakten und lassen uns nicht durch andere Dinge ablenken.«
»Aus den Augen lassen dürfen wir die aber nicht«, mahnte ein Älterer aus dem Kreis der Ermittler. »Schlimmstenfalls haben wir’s doch mit einer ganzen Organisation zu tun. Jedenfalls war die Sache so gut eingefädelt, dass wir bis heute nicht die geringste Spur haben. Das müssen wir uns eingestehen. Dass man nichts findet, aber auch wirklich gar nichts, das ist allein schon dubios genug.« Es klang wie ein Vorwurf gegen den wesentlich jüngeren Soko-Chef.
Häberle, der längst dafür bekannt war, auch quer denken zu wollen, meinte stirnrunzelnd: »Vielleicht sind wir schon auf einer Spur, ohne es zu ahnen.« Er blickte in verständnislose Gesichter und fügte an: »Ich misch mich mal in Göppingen unters Volk. Und schau auch mal bei dieser Sparkassenangestellten vorbei. Die wohnt in Lorch, nicht weit von Göppingen, im Remstal.«
»Im Remstal?«, echote einer der Ermittler, der die Diskussion, an der Wand lehnend, verfolgt hatte.
»Ja, Remstal«, bestätigte Zeller. »Und falls sich jemand hier im Saal mit der Geografie nicht so auskennt: Lorch liegt nur ein paar Kilometer östlich von Schorndorf, wo die besagte Hütte steht. Im Remstal.«
46
Heidi Offenbach hatte ihre Stelle bei der Kreissparkasse gekündigt und bei einem Steuerberater in Schwäbisch Gmünd einen Teilzeitjob angenommen. Das war weniger stressig und ersparte ihr die Fahrt über den Höhenrücken zwischen Remstal und dem Filstal. Häberle hatte sich telefonisch angemeldet und konnte sich mit der jungen Frau auf einen der folgenden Nachmittage verabreden. Er wollte sie nicht in ihrer Wohnung aufsuchen, weshalb sie sich in einem Café in der Lorcher Innenstadt trafen. Heidi war von schlanker Gestalt, hatte ein sympathisches Lächeln und trug sportliche Kleidung. »Schön, dass Sie Zeit für mich haben«, sagte Häberle charmant, nachdem sie sich begrüßt und in eine stille Ecke des Cafés gesetzt hatten.
»Wenn die Kripo ruft, muss man folgen«, sagte sie freundlich und musterte den Kriminalisten. »Kommen Sie öfter mal nach Lorch?«
»Um ehrlich zu sein: nein. Wahrscheinlich gibt’s hier zu wenig Ganoven.«
Sie lachte laut. »Und ich bin auch keiner. Schade, was?«
Häberle wusste nicht so recht, wie er diese Bemerkung deuten sollte. Jedenfalls war die junge Frau äußerst einnehmend.
»Von Lorch kennt man halt das Kloster«, führte er den begonnenen Small Talk fort. »Und dass hier der Limes im rechten Winkel abknickt.«
Sie lächelte wieder. »In Geschichte sehr gut aufgepasst, Herr Kommissar. Droben beim Kloster hat man sogar einen römischen Wachturm rekonstruiert. Überhaupt lohnt es sich, den Limes entlangzuwandern. Das haben Sie noch nicht gemacht?«
»Nein«, räumte Häberle ein, während die Bedienung die Getränkekarte brachte.
»Aber ich nehme an, Sie sind nicht gekommen, um sich mit mir über den Limes zu unterhalten«, fuhr Heidi fort und blätterte beiläufig in der Karte, um sich schließlich für einen Latte macchiato zu entscheiden.
»Nein, bin ich nicht. Obwohl ich mit Ihnen vielleicht auch gerne darüber plaudern würde«, entgegnete Häberle.
»Ich könnte Ihnen auch etwas über steuerlich begünstigte Geldanlagen erzählen«, grinste sie.
»Wenn ich mal viel Geld habe, greife ich gerne auf dieses Angebot zurück«, gab sich Häberle aufgeschlossen, um dann aber zur Sache zu kommen: »Am Telefon hab ich Ihnen gesagt, worum es eigentlich geht: 8. März voriges Jahr. Sie haben damals erst Stunden später mitgekriegt, was im Gebäude der Sparkasse vor sich gegangen ist«, konstatierte der Kriminalist und bestellte bei der Bedienung einen Espresso.
»Und jetzt denken Sie, ich hätte mit den Gangstern etwas zu tun?«
Häberle wunderte sich über die forsche Art und Weise, mit der die junge Frau das Thema anging. »Nein, das denke ich nicht«, wiegelte er ab. »Wir klopfen nur noch mal alle Verbindungen ab, die es voriges Jahr gegeben hat. Stichwort Herr Nolte …«
»Ja, Sie haben das am Telefon erwähnt. Wolfgang – ich meine Herr Nolte – ist ein ganz lieber Kerl. Gelernter Polizist, also absolut in Ordnung. Aber das müssten Sie ja wissen …«
»Ich hab ihn noch nicht persönlich kennengelernt. Mein Kollege Zeller war bei ihm und hat erfahren, dass Sie beide demnächst heiraten werden.«
»Ja, so ist es, im November«, hauchte sie, als sei dies noch geheim.
»Darf ich fragen, seit wann Sie Herrn Nolte kennen?«
Ihre Gesichtszüge veränderten sich. »Ist das wichtig?«
Häberle sah tief in ihre blauen Augen. »Das sind alles Fragen, wie wir sie in ähnlicher Form derzeit vielen Menschen stellen. Das hat nichts damit zu tun, dass wir jemanden verdächtigen. Wir