Stacy T. Sims

Peak - Performance für Frauen


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ist zwar sehr wohl bekannt, dass Östrogen die Stimmung auf vielen Ebenen beeinflusst, aber über den Wirkungsmechanismus weiß man immer noch nicht viel. Was man immerhin weiß, ist, dass Östrogen die Bildung von Serotonin anregt und die Anzahl der Serotoninrezeptoren im Gehirn erhöht. Es modifiziert auch die Produktion von Endorphinen und anderen Wohlfühl-Chemikalien in Ihrer grauen Substanz. Das sollte sich eigentlich positiv auf die Stimmung auswirken, aber ganz so einfach ist die Sache nicht.

      Es kommt darauf an, wie sich die Hormone auf verschiedene Regionen des Gehirns auswirken. Östrogen und Progesteron wirken unter anderem auf den Hypothalamus, der unter anderem die Müdigkeit reguliert. Da der Hypothalamus eng mit dem zentralen Nervensystem verbunden ist, kann alles, was den Hypothalamus beeinflusst, direkte Auswirkungen auf das limbische System (das Zentrum für Emotionen und deren Steuerung) und das autonome Nervensystem haben (Herzfrequenz, Atemfrequenz, Verdauung). Auch dies kann Müdigkeit, Lethargie und schlechte Laune verstärken.

      Die Aufnahme von mehr verzweigtkettigen Aminosäuren (insbesondere Leucin) kann dazu beitragen, einige dieser unangenehmen Auswirkungen abzuschwächen. Leucin durchdringt die Blut-Hirn-Schranke, verlangsamt die Wirkung von Serotonin und beugt der Ermüdung des Zentralnervensystems vor.

      Natürlich wirkt kein Mittel immer zu 100 Prozent. Und die Leistungsfähigkeit einer Frau wird wahrscheinlich bis zu einem gewissen Grad nachlassen, wenn sie einige oder alle dieser Symptome verspürt. Es lohnt sich jedoch, sich vor Augen zu führen, dass auch die Persönlichkeit, der Gemütszustand und die Einstellung dazu beitragen können, die Wirkung dieser Symptome zu neutralisieren oder zu verstärken.

      Das wirft die Frage auf, ob Sie versuchen sollten, Ihren Zyklus zu manipulieren oder nicht, wenn Sie für einen wichtigen Wettkampf trainieren. Wir alle kennen eine Frau (und vielleicht sind das ja Sie), die versucht hat, ihren Zyklus wegen eines bevorstehenden wichtigen Wettkampfs wie einem Marathon oder einem Radrennen zu beeinflussen. Das kann funktionieren, aber Sie müssen genau verstehen, was Sie einnehmen und wie es sich auf Ihren Körper auswirken wird. Um noch einmal auf Paula Radcliffe und Jessica Judd zurückzukommen: Beide nahmen das Medikament Norethisteron, ein synthetisches Progesteron, um ihre Menstruation hinauszuzögern. Beide verzeichneten negative Ergebnisse, was nicht überraschend ist, wenn man all die trainingshemmenden Nebenwirkungen eines hohen Progesteronspiegels bedenkt.

      Andere Athletinnen nehmen orale Kontrazeptiva, um ihre Zyklen besser mit ihrem Training und ihren Wettkämpfen in Einklang zu bringen. Einem im Jahr 2015 in der britischen Zeitung Globe and Mail veröffentlichten Artikel zufolge hat Dr. Greg Wells, Forscher und Sportwissenschaftler an der Universität von Toronto und dem Hospital for Sick Children, die Zyklen des gesamten von ihm trainierten Synchronschwimmteams synchronisiert. Er berichtete der Zeitung: »Wir haben tatsächlich 12 Monate vor den Olympischen Spielen geplant [und mit Verhütungsmitteln beeinflusst], wann sich die Mitglieder des Teams in bestimmten Phasen des Zyklus befinden sollten.«

      Radcliffe entschied sich für eine ähnliche Herangehensweise und nahm zu Beginn jeder Wettkampfsaison drei Wochen lang Antibabypillen ein, um ihren Zyklus mit den wichtigsten Rennen zu synchronisieren. Das funktioniert natürlich nicht bei jeder Frau. Wenn Sie eine Sportart wie Tennis betreiben, die Ihnen wochenlang kontinuierlich Höchstleistungen abverlangt, oder eine Sportart, bei der die Wettkämpfe eher einem sporadischen Zeitplan folgen, wäre es unmöglich, Ihren Zyklus perfekt zu manipulieren. Ich persönlich halte es wegen der leistungshemmenden Nebenwirkungen für keine gute Idee, den Zyklus mit der Pille zu beeinflussen. Es ist besser, die Menstruationsbeschwerden auf natürliche Weise zu lindern, indem Sie die in diesem Kapitel beschriebenen Ratschläge befolgen. Wenn Sie Ihren Zyklus wirklich zeitlich steuern wollen, sollten Sie ein Intrauterinpessar (IUP), einen Vaginalring oder ein anderes lokal wirksames Hormonpräparat verwenden.

      Es ist auch wichtig zu bedenken, dass orale Kontrazeptiva wie die Pille auf Östrogen/Progesteron basieren. Das bedeutet, dass Ihre Hormonwerte, die während der Lutealphase sowieso bereits hoch sind, noch höher sind. Selbst während der Placebo-Woche wird Ihr natürlicher Östrogenspiegel ansteigen, um die Lutealphase zu simulieren. Die Pille scheint besonders negative Auswirkungen auf das Muskelgewebe und die Kraft zu haben. In einer Studie verzeichneten Frauen, die keine oralen Verhütungsmittel einnahmen, einen 40 bis 60 Prozent stärkeren Zuwachs an Muskelmasse durch das Training als die Frauen der Vergleichsgruppe, die die Pille nahmen. Andere Untersuchungen haben ergeben, dass orale Kontrazeptiva die Muskelregeneration nach hartem Training verlangsamen und die aerobe Kapazität verringern können.

      Vorsicht bei starken Blutungen. Wenn Sie starke Blutungen haben, haben Sie ein höheres Risiko, eine Anämie zu entwickeln, da Ihr Körper möglicherweise nicht in der Lage ist, mit dem Blutverlust Schritt zu halten und Ihre Eisenspeicher im Blut schnell genug wiederaufzufüllen. Ihr Risiko ist noch größer, wenn Sie eine sportliche Frau sind, da Sie aufgrund hoher Cortisolspiegel nach intensiven Anstrengungen mehr Muskelstress, Muskelschädigungen und Entzündungen erleiden. Wenn der Cortisolspiegel erhöht ist, produziert die Leber mehr von dem Hormon Hepcidin, das die Eisenaufnahme hemmt. Anämie kann sowohl Müdigkeit als auch Kurzatmigkeit, Benommenheit und Herzklopfen bei körperlicher Anstrengung verursachen. Falls Sie unter einem dieser Symptome leiden – insbesondere wenn Sie zudem starke Regelblutungen haben –, sollten Sie sich von Ihrem Arzt untersuchen lassen und die Einnahme eines Eisenpräparats in Betracht ziehen.

      Führen Sie ein Tagebuch. Heutzutage sind die Sportlerinnen, die zu mir kommen, ganz versessen darauf, möglichst jede noch so kleine Bewegung zu verfolgen. Sie haben Aktivitäts-Tracker, Schlafmonitore und Apps, die ihnen helfen, jeden Bissen, den sie sich in den Mund stecken, zu analysieren. Dennoch bin ich überrascht, wie wenige Frauen sich Aufzeichnungen darüber machen, wie sie sich während ihres Menstruationszyklus fühlen. Legen Sie jetzt damit los. Achten Sie während mehrerer Zyklen darauf, wie Ihr Körper in jeder Phase des Zyklus auf Ihr Training reagiert. Das wird Ihnen helfen zu erkennen, wann Sie am stärksten sind, und wann Sie sich ein bisschen mehr anstrengen müssen, um Ihre Leistungsziele zu erreichen.

      DAS VERHÜTUNGSMITTEL-RÄTSEL

      Natürlich nehmen viele Frauen die Pille nicht, um ihre sportliche Leistungsfähigkeit zu verbessern. Sie nehmen die Pille, um nicht schwanger zu werden. Hormonelle Verhütungsmittel enthalten Östrogen und/oder Progesteron und wirken, indem sie den Eisprung unterdrücken und die Gebärmutterschleimhaut verändern, was die Befruchtung einer Eizelle erschwert und ihre Einnistung verhindert, falls es doch mal eine befruchtete Eizelle in die Gebärmutter schaffen sollte. Gebräuchliche Formen hormoneller Verhütungsmittel sind Pillen, Armimplantate oder Spritzen sowie Verhütungsmittel, die in die Vagina eingeführt werden, wie die Spirale und der Nuvaring.

      Wenn Sie hormonell verhütet haben, ohne dass es zu unerwünschten Nebenwirkungen gekommen ist, werde ich nicht versuchen, Ihnen dies auszureden. Aber Sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass es auch jenseits potenzieller Leistungseinbußen Risiken gibt, die mit hohen Hormonwerten in Verbindung gebracht werden. Da wäre zunächst einmal die Gewichtszunahme. Studien haben gezeigt, dass hormonelle Empfängnisverhütung mit einer Zunahme des Körperfetts und des Gewichts sowie mit Flüssigkeitsansammlungen einhergehen kann. Darüber hinaus erhöhen hohe Hormonwerte das Risiko einer Entstehung von Blutgerinnseln und einer tiefen Venenthrombose (TVT), was für Sportlerinnen, die viel reisen, ein ernsthaftes Problem darstellen kann, da langes Sitzen in einer Position, in der die Wadenmuskeln nicht kontrahieren, insbesondere in einem engen Flugzeug, ohnehin bereits ein erhöhtes Risiko für eine tiefe Venenthrombose darstellt. Hohe Hormonwerte können zudem eine Vielzahl anderer Nebenwirkungen verursachen, die nicht nur die sportliche Leistungsfähigkeit, sondern auch die allgemeine Gesundheit beeinträchtigen.

      Eine besonders alarmierende Geschichte kam mir über die australische Profi-Radrennfahrerin Chloe McConville zu Ohren, die vor einigen Jahren während einer Reise Probleme bekam, nachdem sie zehn Jahre lang die Pille genommen hatte. Im Jahr 2014 bildeten sich in ihren Beinen während einer zehnstündigen Autofahrt auf dem Weg zu einem Rennen Blutgerinnsel, die in ihre Lunge gelangten und einen lebensbedrohlichen Notfall auslösten. Da sie zuvor trainiert hatte und sich in Bestform befand, war sie am Boden zerstört. Sie selbst sagte dazu: »Die Reha nach den Lungenembolien war frustrierend und schien ewig