Monika Littau

Die sehende Sintiza


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wie die schöne Farbe der Sinti. Begierig blickt Buchela beim Löffeln ihrer Kohlsuppe auf die hellen Schürzen der anderen.

      Sie hört das Klacken und Schrappen der Löffel, sonst nichts. Dass sie nicht sprechen will, kann keiner bemerken, da alle beim Essen schweigen.

      Ein heftiger Tritt trifft sie am Bein. Die Suppe platscht vom Löffel auf den Teller und spritzt auf ihre Schürze. Sie wischt mit der Hand über den Stoff. Dann tritt sie kräftig zurück.

      2.

      Nachts liegt sie wach in ihrem Bett. Sie hat Angst, dass die Decke auf ihren Kopf fallen kann. Unter Steinen wird man begraben, wenn man gestorben ist, damit man nicht wiederkommt und die Lebenden in Ruhe lässt. Noch nie hat sie in einem solchen Raum geschlafen. Vielleicht ist sie bald tot. So tot wie Anton. Aber auf ihrem Körper werden anders als beim Bruder dicke Gesteinsbrocken liegen.

      Das Stroh knistert, wenn sie sich von der einen auf die andere Seite dreht. Sie hört das Atmen der anderen Mädchen, während sie wach da liegt. Sie sehnt sich nach der Enge des Wohnwagens, in dem sie mit den Eltern und den Geschwistern schläft. Das laute Weinen ihrer Mama verfolgt sie und die Augen von Tatta, aus denen Tränen tropfen. Er wischt sich mit dem Handrücken die Nase. Und dann sind da diese Männer in Uniform. Sie klettern in den Wohnwagen. Eilig kommen sie wieder heraus und stürzen sich auf den Vater. Aber der weiß sich zu entwinden und rennt in den Wald. Die Männer setzen hinterher.

      Die Uniformierten kommen zurück ohne Tatta. Sie zerren nun die Mutter zum Wagen und schieben sie neben den Kutscher auf den Bock. Die heulenden Kinder müssen hinten aufsitzen. Der Wagen rumpelt über die Landstraße zum nächsten Ort. Da hält er, und die Männer bedeuten der Mutter vom Bock zu steigen. Sie weint und flucht abwechselnd. Aber der eine Mann mit Uniform hält der Frau einen Karabiner vor die Brust, dass sie keine Wahl hat und sich unter lautem Klagen dann doch in das Haus begibt. Der andere Polizist hält die Kinder, die der Mutter nachdrängen wollen, mit einem quer gehaltenen Gewehr zurück. Je Mama, was machen wir jetzt? Buchela beißt dem Mann in die Hand, so dass er aufschreit. Er schlägt ihr ins Gesicht. Sie taumelt zurück und landet auf dem Boden des Wagens.

      Der Kutscher treibt die Pferde an.

      Zuerst reißen sie ihr Engelsüßchen aus den Armen. Engelsüßchen, die Kleine, die nur Buchela beruhigen kann. Wie oft hat sie ihr nachts den Finger in den Mund gesteckt und sie nuckeln lassen und ein Lied gesummt, damit sie sich beruhigt. Und tags ist sie mit Engelsüßchen auf dem Arm zu den Häusern der Gadsche gegangen und hat ihnen ihre leere Hand hingestreckt.

      Dann ziehen sie Dotla von ihr weg. Die klammert sich mit aller Macht an Buchelas Rock, so dass er einreißt. Aber genutzt hat es nichts. Dotla verschwindet hinter einer großen Holztür. Rafflo kommt als nächstes dran. Der versucht, es dem Vater nachzumachen und wegzurennen. Aber seine Beine sind noch nicht lang genug, er kann den Männern nicht entkommen. Sie sind schneller und fangen ihn ein.

      Zum Schluss bringen die Uniformierten Buchela an die Pforte der Borromäerinnen.

      Frühmorgens wird sie an den Armen geschüttelt und hört den Namen »Margaretha«. Wer sollte das sein? Noch fester zerrt jemand an ihr und reißt sie aus dem Schlaf. Um sie herum lauter Gesichter.

      »Sie hat geschrien.«

      »Als ob sie abgestochen würde.«

      »Ihr geht sofort wieder ins Bett und schlaft weiter. Ich will nichts mehr hören.«

      Die Gesichter verschwinden. Buchela spürt eine kühlende Hand auf ihrer Stirn. Sie wird auf den Arm genommen. Sie fühlt sich leicht wie ein Vögelchen. Sie ist ein Vögelchen, das nach Hause fliegen will.

      3.

      Pochen. Hämmern. Dröhnen. Sie sitzt in einer Blechkiste, auf die von außen geschlagen wird. Immer lauter. Dass die Wandung vibriert. Dass ihr Körper zittert und es in den Ohren schmerzt. Dass der Mund austrocknet. Dass die Zunge am Gaumen klebt. Ein dumpfes Schlagen von bloßen Händen. Dann hört sie den harten, hellen Klang, wie Metall auf Metall schlägt. Eine Wand aus Lärm erdrückt sie.

      Ihr Atem geht schnell. Sie ist schweißnass. Sie friert.

      Jemand berührt ihren Kopf, legt etwas Kaltes auf die Stirn. Sie schlägt um sich.

      Es legt sich so schwer auf ihren Körper, dass sie ihn nicht mehr rühren kann. Alles verschwimmt. Die Sinne schwinden.

      Jemand macht sich an den Waden zu schaffen, umwickelt sie. Auf der Stirn liegt ein Tuch, das heiß brennt. Dann wieder ist es kühl. Sie hört das Summen einer Zimmerfliege so laut, dass ihre Ohren schmerzen. Sie hört nichts. Eine unheimliche Stille, die bleiern wie ein schweres Grau im Raum steht. Dann laute Kinderstimmen. Hinter den Augenlidern Helligkeit, rot lodernd.

      Eine Hand streichelt über ihren Kopf.

       Sie springt über Holzstämme und über einen Bach. Sie rutscht an der feuchten Böschung aus, verliert das Gleichgewicht und fällt. Sie verliert das gesammelte Holz. Sie erreicht die Wiese, wo der Wagen steht. »Mama!« ruft sie. »Mama! Wo ist Anton?«

      Jetzt spürt sie, dass das Hämmern innen ist.

       Das Hämmern sitzt ihr in der Brust, als sie zu Anton kriecht und seinen Kopf in die Hände nimmt. Sie streichelt sein schwarzes widerspenstiges Haar, das er mit Zuckerwasser zu einer Schmalzlocke geformt hat. Auf der Brust ist ein Fleck, rot wie sein Halstuch.

      Man flößt ihr Flüssigkeit ein. Sie schluckt. Sie verschluckt sich und hustet.

       Der Vater flucht. Die Mutter schreit. Der Junge war an der Blechkiste. Die mit dem Schloss drauf. Jetzt ist die Blechkiste leer. Die Pistole ist auf den Boden gefallen und noch ein Stück bis zur Wand gerutscht.

      Ihre rissigen Lippen schmerzen. Sie werden befeuchtet und gekühlt. Sie leckt mit der Zunge über den Mund. Das tut gut.

      Als Buchela die Augen aufschlägt, blickt sie an die Decke eines kleinen Raumes. Die weiße Farbe ist rissig, so dass sich verworfene Linien von einer Wand zur anderen ziehen. Buchela schließt die Augen sofort wieder. Dann aber hört sie ein Geräusch neben sich und schlägt die Augen wieder auf.

      Sie dreht den Kopf ein bisschen und sieht auf dem Stuhl am Fenster ein Mädchen sitzen. Es hält ein Buch in der Hand und kratzt sich ausgiebig am rechten Ohr.

      Sie hört, wie die Tür geöffnet wird. »Du kannst jetzt gehen«, sagt eine Frauenstimme. Das Schieben der Stuhlbeine auf den Fliesen ist zu hören, dann die Schritte des Mädchens, seltsam schleppend und ungleichmäßig.

      »Nach dem Essen kommst du wieder her.«

      Am Luftzug spürt sie, dass die Tür kurz geöffnet ist. Dann wird sie wieder ins Schloss gezogen.

      Schwester Benedicta greift unter die Achseln und zieht Buchelas Körper hoch. Sie schiebt ein dickes Kissen hinter den Rücken und lässt das Mädchen dann nach hinten sinken.

      »Jetzt gibt es Suppe. Die hat Änne für dich gekocht.« Die Schwester steckt ein Tuch an Buchelas Hals fest.

      Ein gefüllter Löffel kommt auf sie zu. Sie öffnet den Mund, dass die Flüssigkeit in ihren Rachen fließen kann. Es schmeckt salzig. Sie schluckt.

      Nach wenigen Löffeln schüttelt sie den Kopf.

      »Nicht schlapp machen. Einen schaffst du noch!«

      Dann wird das Kissen irgendwann wieder weggezogen. Buchela schläft ein.

      Am nächsten Tag, als sie aufwacht, sitzt wieder das Mädchen am Fenster und reibt sich ihr Ohr. Aber diesmal hat es sie beobachtet und weiß, dass Buchela wach geworden ist. Sie rückt näher mit ihrem Stuhl.

      »Ich bin Änne. Und du bist die Margaretha, stimmt’s?« Buchela schaut weg und wieder an die Decke.

      »Schau mal, die hat Schwester Benedicta für dich hier gelassen.« Buchela sieht die rote Bluse.

      »Sie sagt, du darfst sie haben. Damit du wieder gesund werden willst. Aber du darfst sie noch nicht anziehen.«

      Sie