Alex Conrad

Tod auf der Finca


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Kein Wunder, dass man dich befördert hat, Sargento.“ Joan zwinkerte ihr zu und fuhr anschließend vom Parkplatz auf die Ringautobahn von Palma. „Soll ich dich gleich bei dir zu Hause absetzen? Du hast doch bestimmt noch genug mit deiner Umzugsvorbereitung zu tun, oder?“

      „Das ist lieb, danke, aber mein Auto steht ja noch beim Schießtraining, wenn du mich also da vorbeifahren könntest, dann komme ich ins Büro nach und wir schreiben zusammen das Protokoll. Damit will ich dich nicht allein lassen.“ Sie sah auf die Uhr. „Außerdem kommt in drei Stunden ja auch noch die Schwester der Toten, um ihre Aussage zu machen. Immerhin hat sie einiges mitbekommen, was die Streitereien anbelangt und von Frau zu Frau redet es sich oft befreiter.“

      Joan stoppte in zweiter Reihe. „Dann bis gleich.“ Carmen stieg aus und hob die Hand zum Abschiedsgruß.

      ***

      „Ja, das sieht wirklich schon sehr gut aus“, sagte der Arzt und wies die Sprechstundenhilfe an, Roberto einen neuen Verband anzulegen. „Trag einen mit Baumwolle gefütterten Gummihandschuh. Meine Assistentin gibt dir welche mit. Wenn du Pause machst, zieh ihn bitte aus und wechsle ihn, falls er feucht sein sollte.“

      Erleichtert nickte Roberto. „Und die Tabletten?“

      „Die nimmst du noch bis nächsten Sonntag.“

      „Prima, dann kann ich also arbeiten und auch meinen Urlaubstag am Freitag nehmen?“

      „Ja, sofern es keine Schwellung gibt oder es stärker pocht, ist alles okay, und wir sehen uns erst nächsten Montag wieder. Du solltest jeden Abend den Verband wechseln, dafür geben wir dir auch Sachen mit. Das schaffst du doch, oder?“

      „Klar.“

      Mit geschickten Fingern legte die Sprechstundenhilfe den neuen Verband an und packte anschließend die Materialien in eine Tüte. „Wenn du noch mehr Handschuhe brauchst, komm einfach vorbei. Gute Besserung.“

      „Danke“, verabschiedete sich Roberto und ging nach draußen, um noch eine Zigarette zu rauchen.

      Sollte er seinen Opa noch einmal anrufen? Nein, beantwortete er sich selbst die Frage. Im Moment galt es, Streit zu vermeiden. Einzig seine mögliche Heldentat wäre ein geeignetes Mittel, damit sein Großvater die Testamentspläne noch einmal überdachte. Was für ein Glück, dass Roberto die Einladung zur Hochzeit bekommen hatte. Der perfekte Zeitpunkt, sich zu Opas Liebling zu machen.

      „Na, was macht deine Hand?“, begrüßte ihn Felipe, der einen Container aus dem Gebäude rollte.

      „Gut so weit und ich kann arbeiten.“

      Felipe kam auf ihn zu und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. „Dann fährst du also auch zu dieser Hochzeit?“

      Roberto nickte.

      „Ana will diesen Sommer auch mal nach Mallorca in Urlaub. Kannst du eine Ecke empfehlen?“

      „Ich war da selbst ewig nicht mehr. Erinnere mich aber, dass die Playa de Muro im Nordosten ganz hübsch ist. Langer Sandstrand, flaches Wasser. Aber pass auf, dass du kein Hotel zu dicht am Feuchtgebiet der Albufera nimmst, sonst fressen dich die Mücken auf.“

      „Danke. Was machst du eigentlich im Sommer?“

      Roberto unterdrückte ein Grinsen. Wenn alles lief wie geplant, wäre er in Las Vegas. „Weiß noch nicht. Ich habe keine Freundin, die die Pläne für mich macht.“

      Felipe gab ihm einen Klaps auf die Schulter. „Klar, der einsame Wolf plant nicht.“ Er sah auf die Uhr. „Wir sollten dann mal rein, sonst gibt es noch Ärger.“

      ***

      Der typische Verkehr um diese Uhrzeit in Palma, wenn einige der Schulen den Unterricht beendeten, hielt Carmen auf. Als sie zum Parkhaus am Paseo Mallorca rechts abbog, ließ der Verkehr langsam nach, obwohl auch hier immer Eltern in zweiter Reihe parkten, um ihre Kinder direkt an der Schule abzuholen.

      Sie fuhr in die Tiefgarage zu ihrem Parkplatz. Künftig konnte sie sich diese monatliche Ausgabe sparen.

      Schwungvoll ging sie die Treppen nach oben und überquerte an der Ampel die breite Straße. Sie brauchte dringend noch einen Kaffee und holte gegenüber des Haupt­eingangs in der Bar zwei Becher zum Mitnehmen, einen für sich und einen für Joan. Normalerweise verabscheute sie es, aus einem Pappbecher ihren Kaffee zu trinken, doch manchmal ließ es sich eben nicht vermeiden.

      Sie verzichtete auf den Aufzug und ging die Treppen hinauf.

      „Kleine Stärkung“, sagte Carmen, als sie das Büro betrat, in dem Joan bereits vor dem Computer saß. „Schwarz und mit viel Zucker.“ Sie reichte ihm den Becher.

      „Gracias, das ist ja nett.“ Joan nahm ihn ihr ab und nippte gleich daran. „Schön heiß und süß.“

      „Hast du schon mit dem Verhörprotokoll von heute Morgen angefangen?“ Carmen setzte sich an ihren Schreibtisch.

      Joan schüttelte den Kopf. „Bin erst noch einmal das Aufnahme- und Festnahmeprotokoll … wie soll ich sagen … durchgegangen.“

      Carmen senkte ihr Kinn und blickte ihn von unten her an. „Es war irgendwie ein Reflex.“ Sie wusste, dass sie nicht nach Vorschrift gehandelt hatte, aber in solchen Momenten lief in ihr eine Art Automatismus ab. „Findest du, dass ich manchmal übereifrig bin?“

      Joan starrte einen Moment auf den Kaffeebecher, bevor er wieder aufsah. „Du weißt, wie sehr ich dich als Kollegin mag, und dass ich dich wirklich vermissen werde. Aber das ab und zu Ungestüme an dir wird mir eher nicht fehlen.“

      Carmen presste die Lippen zusammen. Er hatte ja recht. Sie fragte sich, ob sie genauso auf den Angreifer zugestürmt wäre, ohne Joan an ihrer Seite zu wissen. Schon häufiger hatten sie sich bei einem Einsatz blind aufeinander verlassen und bisher war es immer gut ausgegangen. Wie das wohl mit den Kollegen in Inca werden würde?

      „Jetzt guck nicht so. Ich wollte nur ehrlich sein und damit sagen, dass du auf dich aufpassen sollst.“

      Dankbar sah Carmen Joan an. „Werde ich … versprochen. Dann schreibe ich jetzt das Protokoll von heute und du bereitest den Zeugenraum für die Schwester vor?“

      „Danke, dass du mir die Tipperei ersparst.“ Joan nickte ihr zu und trank den Becher leer. „Ich hole mir dann auch noch rasch ein Bocadillo. Magst du auch was?“

      „Belegtes Brötchen brauche ich nicht, aber eine Cola wäre nett.“

      Gerade drückte Carmen den Speicherknopf, als Joan zurückkam und ihr eine Dose Cola auf den Tisch stellte. „Die Schwester ist eben gekommen. Sie sitzt schon im Zeugenraum“, sagte er.

      „Danke.“ Carmen öffnete die Getränkedose und nahm einen großen Schluck.

      „Willst du erst einmal ohne mich mit ihr reden?“ Joan lehnte sich an ihren Schreibtisch. „So von Frau zu Frau?“

      „Gute Idee.“ Carmen nickte zustimmend und stand auf.

      „Wie geht es ihr?“, fragte sie, während sie gemeinsam mit Joan den Flur entlangging.

      „Sie ist glücklicherweise ziemlich gefasst. Ich glaube, sie hatte in letzter Zeit nicht mehr viel Einfluss auf die Schwester.“

      „Ist sie einverstanden mit einer Tonaufzeichnung?“

      „Ja.“ Joan öffnete Carmen die Tür. „Ruf mich, wenn ich reinkommen soll.“

      Sie nickte ihm noch einmal zu und ging hinein. „Buenos días. Ich bin Carmen. Bleiben Sie doch sitzen“, bat sie, als die Frau aufstehen wollte. Carmen setzte sich ihr gegenüber. „Mein aufrichtiges Beileid.“

      Die Frau blieb stumm, ihre Augen schimmerten tränenfeucht und sie rieb sich die Hände, die sie auf den Tisch gelegt hatte. Es wühlte Carmen immer wieder auf, wenn sie sah, wie sehr die Angehörigen litten, wenn ein Gewaltverbrechen ihre Lieben aus dem Leben gerissen hatte. Ganz anders bei Unfällen, da nahmen es die Betroffenen eher als Schicksal.

      Nicht