Günter Neuwirth

Dampfer ab Triest


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bist alleine du das Haus Urbanau. Vergiss das nicht!«

      Carolinas Lippen bebten, sie schnappte nach Luft. »Ich will Arthur von Brendelberg nicht heiraten. Er ist mir zuwider.«

      Max von Urbanau winkte ab. »Kein weiteres Wort. Nach der Schiffsreise werden wir die Prozedur deiner Vermählung beginnen. Das habe ich längst in die Wege geleitet. Und jetzt erlaube ich dir, dich in dein Zimmer zurückzuziehen.«

      Carolina sprang auf, der Stuhl kippte und fiel polternd um, sie lief die Treppe hoch. Wie sollte sie diese Katastrophe überleben?

      *

      Das war das Risiko gewesen. Schnell gefasste Pläne konnten großartige Erfolge zeitigten, bargen jedoch auch immer die Möglichkeit des Scheiterns. Es war ein Schachspiel, Züge und Gegenzüge, Strategien und Gelegenheiten. Er war ein Spieler. Es war ein Rausch, das Töten löste eine dunkle Euphorie aus, der man seine gesamte Existenz unterordnen konnte, ja, erst einmal auf den Geschmack gekommen, unterordnen musste. Es war eine Gier. Ein unstillbarer Durst. Die Quelle von Energie.

      Auch wenn sein primäres Ziel verfehlt wurde, so hatte er doch diese tief wurzelnde Befriedigung beim Anblick des leblosen Körpers gefühlt. Die Katharsis des Endgültigen.

      Weiter. Kein Halt. Tiefer.

      Das Raubtier musste nicht nur über Kraft, Schnelligkeit und einen tödlichen Biss verfügen, es musste auch die Geduld haben, auf den richtigen Augenblick zu warten.

      Der Gepard lauert auf einen Moment der Unaufmerksamkeit der Gazelle. Dann erst sprintet er mit explosiver Kraft los.

      Er hätte bei seinem ursprünglichen Plan bleiben sollen.

      Keine weiteren Experimente.

      Diesen Preis wollte er erringen. Er musste!

      Den Trubel der Stadt mied er und zog sich in seine stille Kammer zurück.

      Die Leere machte sich in ihm bemerkbar. Die grässliche Leere. Sie kam immer, wenn der Tod ihn besucht hatte. Das Grauen und der Ekel kamen mit der Leere. Das war der Tribut. Alle mussten bezahlen. Selbst er. Wenn die Leere sich seiner bemächtige, dann kamen sie zurück, all die Menschen, die er getötet hatte. Geisterhafte Gestalten. Ein Höllenspuk. Sie verbreiteten Angst. Ein Schweißausbruch kündigte sich an. Schnell schloss er die Tür hinter sich, versperrte sie, keilte den Stuhl unter die Türklinke und zog die Vorhänge zu.

      Es gab nur ein Mittel, das die grässliche Leere vertrieb.

      Opium.

      Ein Heilmittel. Ein Geschenk des Todes. Die Dame im Schachspiel.

      *

      Emilio Pittoni betrat das Hotel und ging zielstrebig auf die Rezeption zu. Der Concierge musterte ihn scheel. Er trug nicht die Kleidung, die man von den Gästen des Duchi d’Aosta gewohnt war. Dienstboten und Lieferanten hatten den Hintereingang zu benutzen. Emilio durchschaute die Gedanken des Concierge in Bruchteilen eines Augenblicks. Wie oft war es ihm geschehen, dass Menschen, die mit wirklich vornehmen Leuten zu tun hatten, aber selbst nur Domestiken, Lakaien und Wasserträger waren, ihn beim ersten Anblick von oben herab betrachteten. Für einen Augenblick konnte er sich ein süffisantes Lächeln nicht verkneifen, als er vor dem Concierge stand, ihn direkt fixierte und nichts sagte.

      Der Concierge zog seine Augenbrauen hoch. »Sie wünschen bitte?«

      Emilio fixierte den Mann weiter. Wie viele Ganoven hatte er allein mit seinem Blick in Angst und Schrecken versetzt? Es waren viele. Dem Concierge wurde unter seinem scharfen Blick langsam mulmig zumute. Da, das erste Anzeichen von Unruhe. Der Concierge stieg von einem Bein auf das andere.

      »Den Grafen Urbanau zu sprechen. Das wünsche ich.«

      »Und in welcher Angelegenheit?«

      Emilio ließ den Mann nicht aus den Augen. Er hatte Zeit. Jetzt kratzte sich der Mann am Hals. Dieses Spiel hatte er gewonnen. Niemand durfte ihn unterschätzen, nur weil er mehrmals geflickte Schuhe, ein schlichtes Sakko und einen nicht ganz neuen Hut trug. Emilio zog seine Kokarde nicht aus der Tasche. Er wies sich doch arroganten Hotelbediensteten gegenüber nicht aus. »In einer polizeilichen. Und zwar unverzüglich. Tempo.«

      Der Concierge wandte sich ab, schrieb eine Notiz auf ein Blatt Papier und überreichte dem Piccolo die Nachricht. Emilio sah dem davoneilenden Burschen hinterher, wie er zum Speisesaal lief, und trat vor die offen stehende Tür des Speisesaals. Beinahe stieß er mit einem Fräulein zusammen. Diese entschuldigte sich auf Deutsch und hastete die Treppe hoch. Emilio hatte genau gesehen, wie die Augen des vornehmen Fräuleins wässrig gewesen waren und von welchem Tisch sie sich entfernt hatte. Auch wenn er Graf Urbanau noch nie in seinem Leben zu Gesicht bekommen hatte, so war völlig klar, wer von den zahlreich anwesenden Gästen der hohe Herr war. Der Piccolo trat ehrerbietig an den Tisch heran, reichte den Zettel auf einem Silbertablett und stellte den umgefallenen Stuhl wieder auf. Der Graf war bereits auf Emilio aufmerksam geworden, nahm das Papier, las es und winkte ihn zu sich.

      Emilio nahm den Hut ab, er sprach Deutsch. »Guten Morgen, Euer Gnaden.«

      »Er will mich sprechen?«

      »Jawohl.«

      »Er ist von der Polizei?«

      Emilio zog seine Kokarde aus der Tasche. »Jawohl, Euer Gnaden. Inspector Pittoni des k.k. Polizeiagenteninstituts der Reichsunmittelbaren Stadt Triest. Stets zu Diensten.«

      »Ein Kriminalbeamter? Was ist vorgefallen?«

      »Kein Verbrechen, Euer Gnaden, aber ein schwerer Unfall am Hafen.«

      »Ich habe schon bemerkt, dass hier im Haus Unruhe ausbricht.«

      »Euer Gnaden, ich muss Euch leider eine schlechte Nachricht übermitteln.«

      »Sagen Sie schon, was passiert ist.«

      »Der Fahrer Eures Wagens hat die Kontrolle über das Automobil verloren und ist verunfallt. Offenbar gab es einen schweren Defekt der Bremse, sodass er bei hoher Geschwindigkeit und voll beladen nicht mehr anhalten konnte. Der Fahrer hat durch mutigen Einsatz verhindert, mehrere Personen zu überfahren, namentlich zwei Hafenarbeitern hat er beherzt durch Ausweichen das Leben gerettet, doch das Automobil stürzte bei diesem Manöver um und wurde dabei erheblich beschädigt.«

      Der Graf erhob sich bestürzt. »Was ist mit Rudolf? Was ist mit meinem Fahrer?«

      Emilio wirkte geknickt. »Euer Fahrer wurde beim Unfall vom Automobil geschleudert und ist unglücklich gefallen. Er hat den Unfall nicht überlebt. Rudolf Strohmaier ist tot.«

      Max von Urbanau schüttelte den Kopf. »Himmelherrgott, was für eine Tragödie! Der arme Rudolf. So einen Fahrer kriege ich nie wieder. Und die Fahrt zur Gräfin nach Duino ist damit auch vom Tisch. Mein Automobil ist beschädigt?«

      »Jawohl, Euer Gnaden.«

      »Ich will zum Ort des Geschehens. Stante pede.«

      Emilio nickte devot. »Es wäre mir eine Ehre, Euer Gnaden den Weg zu weisen.«

      *

      Oberinspector Gellner lauschte mit ernstem Gesicht dem Bericht seines Untergebenen. Wie immer ließ sich Gellner von Inspector Pittoni auf Italienisch berichten, obwohl dieser durchaus gut Deutsch sprach. Es war der schwere und unausrottbare Akzent Pittonis, den Gellner in Wahrheit unerträglich fand. Er selbst hatte sich schon in frühen Jahren bemüht, akzentfreies Italienisch zu sprechen, und er konnte sich zugutehalten, dieses Vorhaben in erfolgreiche Bahnen gelenkt zu haben. Immer wieder passierte es ihm, dass ihn italienische Triestiner für einen Italiener hielten und überrascht waren, wenn er im Gespräch geradezu beiläufig in seine Muttersprache Deutsch wechselte. Pittoni würde niemals akzentfrei sprechen können, das war diesem Mann einfach nicht beizubringen. Gellner musste damit zufrieden sein, dass Pittoni die deutsche Sprache problemlos lesen konnte. Schließlich, und um der Gerechtigkeit Genüge zu tun, musste man festhalten, wenn Polizeiagent Vinzenz Jaunig die italienische Sprache verwendete, klang sie wie Kärntner Holzfäller, die gerade einen Baum mit der Axt fällten. Einfach scheußlich. Dennoch ertrug Oberinspector Gellner Jaunigs grässliches