Jürgen-Thomas Ernst

Das Wasserkomplott


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Platz«, meinte Amanda zufrieden.

      Nachdem sie gegessen und einen Ingwertee getrunken hatten, saßen sie zufrieden am Ufer des Sees. »So still hier«, flüsterte Fynn, während er auf das glatte Wasser sah, auf dem das Licht des Mondes glitzerte. Das Schilf neigte sich träge hin und her, und ein Blässhuhn glitt langsam vorüber.

      »Was für ein Ort«, sagten beide gleichzeitig.

      »Das glaubt uns keiner, Fynn.«

      4. Kapitel

      Der Notar lächelte wie ein gütiger Vater, als er ihnen zwei Verträge zur Unterschrift vorlegte. Amandas und Fynns Herzen rasten und beide wussten, das hier war ganz besonderer Moment. Ein Moment, der alles veränderte und ihr Leben von der einen zur anderen Sekunde in andere Bahnen lenkte. Amanda konnte ihre Stelle als Sachbearbeiterin beim Amt kündigen und Fynn seine öde Tätigkeit als Fakturist in der größten Textilfabrik des Ortes.

      Mit Grauen musste er daran zurückdenken, wie er dort Rechnungen an Kunden geschrieben hatte und des Öfteren bei seinem Vorgesetzten vorsprechen musste, um sich dafür zu entschuldigen, dass er wieder einmal eine Zahl falsch eingetippt hatte. Sein Vorgesetzter fragte ihn stets, ob dieser Job schon das Richtige für ihn sei. Und Fynn hatte gewusst, dass er das nicht war, aber trotzdem jedes Mal mit vorgetäuschter Überzeugung gesagt: »Doch, doch, das ist er. Das müssen Sie mir unbedingt glauben.«

      Sie würden von nun an für edle Ziele verantwortlich sein. Für Abermillionen Tiere und Pflanzen, für das Wohl der Natur, und das war eine der schönsten Aufgaben, die man sich vorstellen konnte.

      Im Büro des Notars war es vollkommen still. Nur zwei Stifte kratzten leise über zwei Bögen Papier. Anschließend schoben Amanda und Fynn die unterschriebenen Dokumente mit den Fingerspitzen dem Notar zu.

      Unglaublich, dachte Amanda. Wenn ihnen vor zwei Monaten jemand prophezeit hätte, dass sie bald Eigentümer des größten privaten Schutzgebietes des Landes sein würden, hätte sie diese Person für vollkommen verrückt gehalten.

      Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann es kaum glauben.«

      Fynn war sprachlos vor Glück.

      »Hier befinden sich alle wichtigen Unterlagen«, erklärte der Notar, als er eine Hand auf das dicke braune Kuvert legte. »Verträge, Kaufurkunden, Voreigentümer, Pläne von Wasserquellen, alles. Der Verein muss innerhalb eines Jahres gegründet werden. Danach sind Sie die rechtmäßigen Eigentümer des Gebietes.«

      »Und das«, und nun nahm er ein schlankes gelbes Büchlein in die Hand, das in einer stabilen Klarsichthülle steckte, »ist das Sparbuch. Mit den Einlagen können Sie Ihre Arbeit für die Natur finanzieren, ein Vereinslokal erwerben, Untersuchungen im Schutzgebiet durchführen lassen, Referenten zu Vorträgen einladen, Werbungen schalten und um Spenden für den Verein bitten. So, ich glaube, das wäre alles.«

      Amanda nickte zustimmend und Fynn meinte: »Puh. So viel Glück ist kaum zu ertragen. Das haut mich beinahe um.«

      Als sie das Stiegenhaus des Gebäudes hinuntergingen, hörten sie es schon. Alphörner erklangen. Zunächst dachten sie sich nichts dabei. Aber als sie auf den Vorplatz traten, sahen sie es. Drüben, vor ihrem Auto, standen sie. Zwei Musiker mit ihren langen Alphörnern, die musizierten, und daneben eine applaudierende Menge.

      »Wir dachten, dass man ja nicht jeden Tag ein Gebiet in dieser Größenordnung geschenkt bekommt«, sagte Amandas Vater gerührt, als er seine Tochter in die Arme nahm. Amandas Mutter war da, Fynns Großmutter, Verwandte und Freunde.

      »So einen Augenblick muss man feiern!«, meinte die Großmutter strahlend und drückte Fynn fest an sich. »Ich bin so stolz auf euch.« Danach stießen sie mit Sektgläsern auf dieses Ereignis an. Amandas Vater hatte auf der Grünfläche, die an den Parkplatz angrenzte, sogar ein kleines Partyzelt und Tischbänke aufstellen dürfen.

      »Wie habt ihr das nur geschafft?«, fragte Amanda.

      »Ach«, erklärte ihr Vater. »Wir sind zum Eigentümer der Wiese gegangen und haben ihm gesagt: ›Wir müssen da unbedingt etwas Großes feiern und brauchen deine Wiese dazu.‹« Und drüben saß der Mann, über den ihr Vater gerade sprach, und winkte fröhlich.

      »Verrückt«, sagte Fynn. »Einfach verrückt.«

      Der Verein, den sie einige Wochen später gründeten, wuchs schon nach kurzer Zeit auf über 300 Mitglieder an und trug unter Insidern bald den Codenamen »Die Familie«. Naturschutzmagazine berichteten euphorisch über das Gebiet und die Ziele, die Amanda und Fynn verwirklichen wollten. In lokalen Tageszeitungen blickten sie von Titelseiten, und kleine Radiosender und Fernsehstationen baten sie um Interviews.

      Aber nicht allen gefiel diese Naturschutzeuphorie. Eines Tages erhielten Amanda und Fynn ein Anwaltsschreiben, in dem es hieß, dass mehrere Landwirte, die Flächen in der Nähe des Schutzgebietes betreuten, seit geraumer Zeit erhebliche Einbußen zu beklagen hatten. Da die Schutzfläche brachliege, herrsche auf den angrenzenden Feldern und Wiesen eine invasive Ausbreitung von Unkräutern, die nur durch den massiven Einsatz von Herbiziden bekämpft und eingedämmt werden könne. Zudem erlitten die Bauern durch große Bäume und den Schattenwurf, den sie verursachten, massive Einbußen, da das Gras und Getreide wegen des Licht- und Nährstoffmangels auf den angrenzenden Feldern nur noch kümmerlich gedeihe.

      Amanda und Fynn versuchten die Landwirte zuerst mit höflichen Briefen zu beruhigen. Aber das schien sie nicht zufriedenzustellen, denn sie klagten kurz danach vor Gericht auf Schadensersatz. Ein Teil des Guthabens versickerte rasch in Anwaltskosten und kurz schien es, als würde der Druck der Bauern so groß, dass die beiden das Erbe zu verlieren drohten.

      Wütend äußerte sich ein Landwirt in einer Radio-Livesendung über die neuen Eigentümer und bezeichnete die Naturschutzaktivisten als Schädlinge der Gesellschaft. Je länger das Gespräch dauerte, desto enthemmter wurde er. »Das sind doch faule Leute«, erklärte er. »Und am schlimmsten sind die reichen Spinner, die diese Faulheit auch noch finanzieren. Diese jungen Nichtstuer sollen zuerst einmal arbeiten, anstatt sinnlos durch verwildertes Gebiet zu spazieren, um dort Käfer und Bäume zu zählen oder andere Sinnlosigkeiten aufzuführen, die niemandem etwas nützen!«

      Immer wieder sprachen die Landwirte bei hohen Politikern vor. Gleichzeitig machten einige der Landwirte Amanda und Fynn über Strohmänner Kaufangebote, die versicherten, dass durch juristische Winkelzüge das Testament der alten Frau für ungültig erklärt werden könne. Die Strohmänner warnten Amanda und Fynn außerdem vor der nicht zu unterschätzenden Macht einiger Bauern, die in der Lage seien, auch außergerichtliche Mittel einzusetzen, um Druck auf die neuen Eigentümer auszuüben.

      Doch dann wurde ein Naturschutzmagazin auf die missliche Lage der Familie aufmerksam. In der nächsten Ausgabe titelte es mit der Überschrift »Gier«, zeigte auf der ersten Seite einen grünen Traktor in einem großen abgemähten Feld und verurteilte die Agrarwirte im Artikel als weltfremd, raffgierig und profitgeil.

      Als immer mehr Medien über das gerichtliche Vorgehen der Bauern berichteten, wuchs der Unmut der Bevölkerung. Die Klage wurde zum öffentlichen Ereignis und der Druck so groß, dass selbst die Richter davon nicht unbeeinflusst blieben.

      Das Unglaubliche geschah: Die Kläger verloren und verzichteten darauf, den Rechtsstreit weiterzuführen. Die Medien feierten den gewonnenen Prozess als einen Sieg der leidenschaftlichen Jugend gegen die Gier des Alters. Die Spenden nahmen derart zu, dass die Familie damit sogar einen großen verwilderten Obstgarten erwerben konnte, der an ihr Schutzgebiet angrenzte und an dessen Rändern üppige Inseln aus Wildrosenhecken und Holundersträuchern gediehen.

      »Das ist die Magie der Jugend«, titelte eine Naturschutzzeitschrift. »Eine Jugend, die Kraft hat und Visionen, denen sie durch ihren bedingungslosen Einsatz Leben einhauchen. Danke, Familie, für dieses große Zeichen der Hoffnung, das ihr uns geschenkt habt. Und eines steht fest: Wir Menschen haben den Kampf für eine saubere, klimafreundliche Zukunft noch nicht verloren. Denn diese engagierte junge Generation handelt, sie handelt für eine intakte Umwelt, für eine intakte Natur und letztlich auch für das Glück der Menschen