Nein, ich hab bloß jemand anderen erwartet.
Frau Bergers Antwort, dass sie sich das gedacht habe, belustigt Gitta, ebenso der Versuch, an Gitta vorbei in die Wohnung zu linsen. Wo ist das Arschgesicht, wo, Frau Berger, wo? Suchen Sie’s doch! Kalt, kälter, ja, schon besser, hier wird’s wärmer, aber erst wenn Sie sich im Spiegel sehen, ist’s brennofenheiß.
- Ich will Sie nicht aufhalten, will Ihnen nur etwas geben. Ich glaube, es gehört Ihrem Mann.
Frau Berger hält Gitta einen hellen Handschuh unter die Nase.
- Er lag im Lift.
Höflich bedankt sich Gitta. Etwas abrupt schließt sie die Tür und geht nun doch ins Atelier. Sie befingert das weiche Leder. Einer von Pauls Autofahrer-Handschuhen. Gitta legt ihn aufs Fensterbrett, zieht den Arbeitsmantel an und schlendert zur Staffelei. Nachdenklich schaut sie auf Bernhard, Paul und den Verdrüsslichen, dann über den Handschuh hinweg zum Fenster hinaus. Dieser Himmel! Sie muss ihn einfangen. Mit leicht zusammengekniffenen Augen studiert sie die dichte Wolkenbank, die zwischen den beiden gegenüberliegenden Häusern zu sehen ist. Diesmal braucht sie sehr lange, bis sie mit ihrem Entwurf zufrieden ist. Schwer drückt der Himmel auf die drei. Es sind aber keine Regenwolken. Trotzdem gehört Wasser ins Bild, entscheidet Gitta und skizziert Wellen. Bedrohlich umspülen sie die unsichtbaren Beine des Mannes, aber auch den Hals des Verdrüsslichen, allein das Gesicht des Jungen bleibt unberührt. Es schwebt zwischen Mann und Plastik, der eine schemenhaft, die andere überdeutlich. Eine schmutzig braune Farbe wird sie den Wellen geben und nach Chemie aussehende Schaumkronen. Genau!
Als Gitta auf die Uhr schaut, ist es halb zwölf. Sollte die Studentin nicht schon längst hier sein? Und wo bleibt Ivo? Ob er überhaupt noch auftaucht? Das ist ja nicht zum Aushalten! Gitta legt den Stift weg und hastet ins Vorzimmer. Wer kommt als Erster durch die Tür? Bernhard? Ivo? Oder diese Daniela? Blöde Warterei! In Gittas Beinen kribbelt es. Sie will raus. Sofort. Hektisch beginnt sie auf und ab zu gehen, zählt die Schritte, sieben vor, sieben zurück, sieben vor, sieben zurück. Die Stirn brennt. Der Kopf brummt. Kein Wunder, sie will ja mit ihm durch die Wand. Is’ sinnlos. Des tuat nur weh und hilft net.– Ja, Mama. Was dann? Etwas kaputtmachen. So richtig dreinschlagen. Pauls kostbare Vasen? Er hat den Engel mitgenommen, das chinesische Porzellan ist noch da. Gitta reißt die Tür zu Pauls Zimmer auf. Hier sind sie, die weißblauen Ungetüme. Der Gong ertönt. Ran an den Feind! Erneut der Gong. Wieso? Die erste Runde hat doch noch gar nicht begonnen. Verwirrt blickt Gitta auf die Vase vor ihr. Sie steht immer noch heil auf dem Boden. Wieder der Gong, nein, das Mobiltelefon! Sie rennt in die Küche. Ivo!
- Gitta, der Reinhard holt dich ab. Wir treffen uns draußen. Muss mich beeilen, tschüss!
Gitta will protestieren, doch Ivo hat sie bereits weggeklickt, nur Gitta kann nichts wegklicken. Fuck! Das nennt er Künstlerbetreuung. Kassiert dafür 50 Prozent Provision! Mit ihr wird er allerdings kein Geschäft machen. Null Prozent für null Verkauf. So wird die Endabrechnung aussehen. Als Gnadenakt hat er es hingestellt, dass er fürs Ausstellen nichts verlangt. Bezahlen hätte sie auch noch sollen. Gitta schlägt mit der Faust auf den Küchentisch. Falsches Werkstück. Sie ist Malerin, keine Möbelmacherin. Sie stürzt ins Atelier. Wo beginnen? Ihr Blick fällt auf das halbfertige Gemälde. Sie packt den nächstbesten Pinsel, fährt in den Farben herum, trägt unvermischt knalliges Blau, Gelb, Schwarz, Weiß, Rot auf. Am Verdrüsslichen rinnen die Farben herab, doch auch das ist Gitta zu wenig. Sie nimmt eine Spachtel und übermalt den armen Mann mit immer dicker und gröber aufgetragenen Schichten. Ihr Rasen geht in methodisches Arbeiten über. Einzig die Nasenlöcher, den Mund und das Kinn lässt sie frei. Auch das Kindergesicht bekommt ein paar Striche ab, aber nur wenige. Der Rest des Bildes bleibt verschont. Vornübergebeugt steht Gitta da. Eine irre Heiterkeit erfasst sie, während sie das Bild betrachtet. Sie hat die Spachtel viel zu stark aufgedrückt, als wollte sie die Farben durch die Leinwand pressen. Obwohl sie grelle genommen hat, ist durch deren Ineinanderlaufen ein violett-grün-graues Gemisch entstanden. Vogelscheiße, nichts als Vogelscheiße. Wer beschissen wird, hat nichts zu lachen. Der muss etwas dagegen tun. Gitta will schreien, doch aus ihrem Mund kommt nichts als ein Krächzen. Das ist zu wenig. Sie holt tief Luft. Und los! Gitta klagt wie ein verwundetes Tier, der Ton verselbstständigt sich, ist nicht zu bändigen, schwillt an, während es an der Tür Sturm läutet.
- Mama! Mama! Mach auf!
Bernhards angstvoller Kindersopran inmitten von Gittas mächtigem Wutmezzo. Ein Vögelchen, das mit hektischem Flügelschlag durch Sturmwolken flattert. Keine Angst, Spatz, ich hör schon auf. Ich hör auf, hör ganz auf. Mit dem Handrücken wischt Gitta über Augen und Wangen. Nein, geweint hat sie nicht, aber laut ist sie gewesen. Wie ein brüllender Stier. Nein, wie eine Kuh, eine dumme noch dazu. Das reimt sich ja. Gitta ist entzückt. Unter Gelächter öffnet sie die Tür, vor der nicht nur Bernhard steht, sondern auch eine junge Frau mit neongrün gefärbten Haarsträhnen und dahinter die Nachbarin. Schon wieder diese Berger.
- Ha-, ha-, hallo.
Gitta kann sich nicht einbremsen. Sie lacht und lacht. Da hört sie Bernhard fragen:
- Mama, übst du?
Was meint er? Gittas Lachen bricht ab. Sie nickt, schaut auf ihre farbverschmierten Hände. Einem Piepmatz will sie nicht widersprechen. Und wehtun schon gar nicht.
- Hab ich mir eh gedacht.
Gitta hat noch immer keine Ahnung, wovon Bernhard spricht, stellt aber beruhigt fest, dass die Angst aus seiner Stimme gewichen ist. Für ihn haben sich die Wolken verzogen, bloß die beiden Frauen starren sie immer noch groß an. Deshalb stottert sie:
- Ich, ich habe geübt. War etwas laut. Tsch… tschuldigung.
Frau Berger murmelt etwas Unverständliches und geht zurück in ihre Wohnung. Fragend schaut Gitta auf das grün-blonde Mädchen:
- Und du bist Daniela?
- Ja.
- Komm rein.
Zögernd folgt die junge Frau der Aufforderung.
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