Ханс Фаллада

Heute bei uns zu Haus


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muß sagen, daß er nach jenem ersten Zornesausbruch wegen meiner überdimensionierten Mappen der angenehmste Chef gewesen war. Er hatte nie den Arbeitgeber herausgekehrt, sein Ton war immer freundschaftlich gewesen. Aber nun klang er doch noch anders. Er hatte richtig getippt, er hatte eine gute Nase gehabt: in diesem halb verbummelten Menschen steckte etwas. Ein Verlagsvertrag wurde geschlossen ...

      Und dann kam der große Glücksschlag: eine illustrierte Wochenschrift entschloß sich zum Vorabdruck des Romans, der in ›Bauern, Bonzen und Bomben‹ umgetauft war. Das war damals eine sehr mutige Tat, denn einmal wimmelte dieser Roman von den deftigsten Derbheiten, zum andern mußte er ›oben‹, ›bei den Roten‹ heftigsten Anstoß erregen. Aber die Zeitung entschloß sich, sie wollte sogar zwölftausend Mark für das Wagnis zahlen! Liebe Leute, zwölftausend Mark – Suse und ich gerieten ja wohl völlig aus dem Häuschen! Zwölftausend Mark, das war Reichtum, das bedeutete Sorgenlosigkeit – dafür konnte man sich die halbe Welt kaufen! Unterdes war unser Erstgeborener längst eingetroffen und schrie die Wände hinter der Sektreklame dauerhaft an. Natürlich würden wir nun aus der Steinwüste hinausziehen. Wir würden uns in irgendeinem Vorort ein Häuschen kaufen. Wir würden Möbel anschaffen, Wäsche, Kleidung! Und Bücher, natürlich Bücher! Es war wie ein Taumel! Soviel Glück war eigentlich gar nicht möglich!

      Meiner zweiflerischen Veranlagung entsprechend war ich natürlich nicht ohne Befürchtungen. Würden die illustrierten Herren nicht noch zurückweichen? Würden sie auch zahlen? Eigentlich war es ja unmöglich, einen so derben Roman in einer Illustrierten zu veröffentlichen! Suse sollte schon sehen, wir hatten uns umsonst gefreut. Ich sah streng darauf, daß an unserer sparsamen Lebenshaltung nichts geändert wurde!

      Aber die Wochenschrift zahlte, es kam die Stunde, da das Geld beim Verlag einging. Ich fand mich auf der Kasse ein. Der Verlag war damals ›ein bißchen klamm‹, ich bekam eine Abschlagszahlung, fünfhundert oder tausend Mark, weiteres würde ich später erhalten. Aber was kümmerte mich das weitere?! Wir hatten eine ungeheure Barsumme in der Hand. Wir gingen einkaufen.

      Nie hatten Suse und ich einkaufen können, was man so richtig einkaufen nennt. Nun konnten wir es, nun taten wir es, nun genossen wir es. Wir kauften Wäsche und Kleidung und Bücher und Schuhwerk und Gardinen – alles auf Abzahlung. Wir kauften in der Strausberger Gegend ein Einfamilienhaus mit zweieinhalb Zimmern und einem Garten – auf Abzahlung. Das Häuschen hatte zweiundfünfzig Quadratmeter Wohnfläche, der Garten sogar über hundert Quadratmeter. Wir waren Herren über hundertzweiundfünfzig Quadratmeter! Eigentum, meine Lieben, Eigentum! Aus den Handkofferbesitzern waren Grundeigentümer geworden!

      Erinnert sich noch jemand an die düsteren Julitage des Jahres 1931? Weiß jemand noch, was für ein unheilvoller Tag es war, als der große Bankenkrach kam, als eine Firma nach der andern die Zahlungen einstellte? Ich habe immer Glück im Unglück gehabt, aber ich hatte auch stets Pech im Glück. Mein Verlag stellte seine Zahlungen ein. Ich war mit elftausend Mark Forderungen an dieser Zahlungseinstellung beteiligt, aber ich hatte ungefähr achttausend Mark Abzahlungsschulden! Das waren Zeiten! Das waren Stunden tiefster Bekümmernis! Statt vorwärtsgekommen zu sein, steckten wir bis über die Ohren, bis über die Haare in Schulden! Wir ertranken in Schulden! Wir hatten nichts – nur Sorgen und schlaflose Nächte!

      Wie habe ich meinen ›Leichtsinn‹ verflucht. Damals habe ich mir zugeschworen, nie wieder Schulden zu machen, nie wieder etwas auf Abzahlung zu kaufen. Der Schreck jener Zeit sitzt heute noch so fest in mir, daß ich jede Rechnung sofort am Tage ihres Eingangs bezahle. Es darf ruhig daraufstehen ›Zahlbar in 4 Wochen‹, ich zahle sie doch heute. Ich ängstige meine Lieferanten, daß sie mir ihre Rechnungen auch schnell genug schicken. Ich kann mein Geld nicht rasch genug loswerden, wenn es jemand anders gehört! Das sitzt alles von damals her in mir!

      Als sei es noch nicht genug des Unheils, verliere ich meine Stellung auf dem Verlag. Dort war irgend so ein Treuhänder eingesetzt, der begann seine Tätigkeit damit, daß er erst einmal die Gehälter der Angestellten heruntersetzte. Wer nicht damit einverstanden war, der konnte gehen. Ich war nicht damit einverstanden, ganz und gar nicht. Schon bisher hatte es nicht hin und her gereicht, und nun sollte ich noch auf ein Viertel verzichten?! Nein, meinen allerschönsten Dank, alles oder nichts! Natürlich war Suse mit meiner Entscheidung zufrieden, sie hielt immer zu mir durch dick und dünn! Freilich hatte sie die Hauptlast zu tragen.

      Nun wohnten wir schon draußen in Altenhagen, in unsern zweiundfünfzig plus hundert Quadratmetern, von denen die erste Rate anbezahlt war, zwischen unsern neuen Möbeln, dito, ganz nett versorgt mit Wäsche und Kleidung, dito. Wir saßen in einem Paradies, das uns mit Brennesseln brannte: jeden Tag konnten wir wieder ausziehen müssen, mit zwei Handkoffern und unserm Sohn Ulrich, genannt Uli, genannt Murkel, genannt Muxe-Puxe, genannt Ulli-Bulli, genannt ... genannt ...

      Jeden Morgen, wenn Suse den Hausstand besorgte, zog ich mit meinem Sohn im Kinderwagen los. Er lag darin, spielte mit seinen Fingern oder seiner Nase und sah mit blauen Augen in den blauen Himmel. Manchmal schrie er, meistens war er friedlich.

      Ich schob den Wagen, ich schob ihn durch Altenhagen, ich schob ihn durch Neuenhagen, ich schob ihn durch Bollensdorf, durch Hoppegarten, ich schob ihn bis Altlandsberg. Leise schaukelnd und ächzend fuhren wir durch ganz neue, herrlich gepflasterte Straßen, über Kopfsteine, durch Straßen, die es erst dem Namen nach waren, über Feldwege, Grasraine, Chausseen. Überall tauchten wir auf, der Kinderwagen und ich, wir gehörten zum Straßenbild der Gegend. In einer Gemüsehandlung erfuhr Suse, daß wir schon einen Namen hatten, ich hieß nur ›Der arme Arbeitslose mit Kind‹.

      Was lag in einer solchen Situation näher, als ein Buch zu schreiben des Titels: ›Kleiner Mann – was nun?‹ An den Nachmittagen und Abenden, in den bedrücktesten Tagen meines Lebens schrieb ich dies Buch. Ich war ziemlich hart gewöhnt, aber bis dato hatte nur mein eigener Buckel die Schläge des Schicksals hinnehmen müssen. Jetzt hatten wir beide daran zu tragen, und auch der Sohn war bedroht. Das war viel schwerer. Für seine eigenen Torheiten zahlen müssen, das leuchtet ein. Aber wenn andere für den allerpersönlichsten Blödsinn büßen sollen, das ist bitter.

      Und doch sind wir glücklich gewesen, auch in diesen Tagen, unendlich glücklich, genau wie wir in unsern beiden Zimmern hinter ›Kupferberg Gold‹ glücklich gewesen waren. Wir sind nicht etwa immer mürrisch und versorgt und rechnend herumgeschlichen. Nein, ein Glanz lag auf diesen Tagen, Sternenlicht. Unser Häuschen in Altenhagen, wer wohnt heute darin? Wird er auch so erfolgreich Tomaten bauen wie wir? Wir hatten sechs Tomatenpflanzen im Garten, und wir ernteten über einen Zentner Tomaten! Wir pflanzten unsere ersten Obstbäume, zwei an der Zahl! Wir führten einen erbitterten Krieg wegen der wirtschaftlich untragbaren Zentralheizung. Wir stritten und freuten uns zusammen, wir lebten ein Leben, wir bewunderten unsern Sohn und waren sehr streng mit ihm, um ihn nicht zu verwöhnen!

      Und alles lief sich zurecht. Über die schlimmste Zeit halfen meine guten Eltern fort, es halfen auch Beiträge für Zeitungen, ich schrieb Geschichten, immer wieder kam ein bißchen Geld ein. Unterdes war ›Bauern, Bonzen und Bomben‹ in der Zeitung erschienen, an allen Anschlagsäulen hatte das große schwarzweißrote Plakat geklebt: Hans Fallada: Bauern, Bonzen und Bomben! Ich hatte davorgestanden, keinen Groschen in der Tasche, und hatte gedacht: das ist also der Ruhm! Dein Name auf jeder Anschlagsäule und der Gerichtsvollzieher im Anmarsch! Dies erinnerte doch ein bißchen gar zu sehr an den armen Dichter in der Dachkammer, dem der Hunger den Pegasus beflügelt. So genau hatte ich es eigentlich gar nicht erleben wollen. Außerdem war ich ein Schriftsteller und kein Dichter.

      Alles lief sich zurecht! Der Verlag wurde saniert, ich bekam mein Geld, bezahlte meine Schulden, ich behielt sogar noch Geld über. Wir waren Herren auf eigenem Grund und Boden, mit den beiden Handkoffern war es vorbei! Wenn wir das nächste Mal umzogen, brauchten wir schon einen Möbelwagen. Und unterdes war ›Kleiner Mann – was nun?‹ fertig geworden, und mein Verleger schwor, dies Buch werde ein Welterfolg sein!

      Die Gefahren, die uns von außen drohen, sind gering gegen die aus unserm Innern. Wir selbst bereiten uns immer wieder die größten Überraschungen. Der Kleine Mann wurde ein Welterfolg – ich muß leider sagen: leider. Das Geld strömte nur so herbei. Wir hatten von zweihundertzwanzig Mark glücklich gelebt, unsere Sorgen fingen an, als wir plötzlich über große Summen zu verfügen hatten.