Bettina Eiber

Wikipedia und der Wandel der Enzyklopädiesprache


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Korpus nicht nur reine Enzyklopädien, sondern auch enzyklopädische Lexikaenzyklopädisches Lexikon enthält, lässt sich in den Werken des Hauses Larousse und im Dictionnaire encyclopédique Quillet ein Teil mit sprachlichen Informationen zum StichwortStichwort feststellen, der für diese Diskurstradition typisch ist. Insgesamt fällt auf, dass die Artikel aus den untersuchten französischen Enzyklopädien und enzyklopädischen Lexika sich im Gegensatz zu einem kurzen Lexikonartikel durch eine diskursive Darstellung nach dem Schema Einleitung – Darstellung – Zusammenfassung auszeichnen. Am Artikelende werden zudem Einschätzungen der Experten und ausführliche Bibliografien angegeben.

      Einen anderen Eindruck gewinnen d’Achille/Proietti (2011) anhand des von ihm untersuchten Korpus von Artikeln aus gedruckten italienischen Enzyklopädien. Ebenso wie die französischen Artikel tragen diese selten die Signatur des Autors. Allerdings sind die Artikel insgesamt kürzer gehalten und Fußnoten fehlen zumeist (cf. d’Achille/Proietti 2011: 94).

      Die Ergebnisse der ausgewählten Studien zeigen, dass Einträge in Referenzwerken eine eigene Diskurstradition darstellen, die in einen ganzen Textverbund aus weiteren Artikeln, aber auch aus Hilfstexten, wie einem Vorwort, oder einen Index eingebettet sind. Der Zugriff auf die einzelnen Artikel erfolgt über die alphabetische MakrostrukturMakrostruktur– alphabetische, einzelne Artikel sind häufig über Verweise miteinander verknüpft. Die Artikel selbst können zum einen in der eher knappen Form eines Lexikoneintrags und zum anderen in der ausführlichen Form eines EnzyklopädieartikelsEnzyklopädieartikel vorliegen, wobei die Grenzen zwischen diesen beiden Diskurstraditionen fließend sind. In der kürzesten Variante besteht ein Artikel lediglich aus einem grafisch hervorgehobenen StichwortStichwort und einer allgemeinen Charakterisierung, die entweder in Form einer klassischen Definition, aber auch in Form einer Umschreibung des Stichworts vorliegen kann. In längeren Varianten werden mehrere Teilaspekte des Themas in eigenen Kapiteln entfaltet. Dabei versprachlicht das StichwortStichwort ein Konzept und in den Teilkapiteln werden weitere Konzepte beleuchtet, die einen realen Bezug zum übergeordneten Konzept des Artikels haben. Ein EnzyklopädieartikelEnzyklopädieartikel versprachlicht ein ganzes Netz aus Begriffen und setzt diese in Relation zueinander. Zusätzlich werden ausführliche EnzyklopädieartikelEnzyklopädieartikel durch weitere Teiltexte wie die Angabe des Wissensgebiets, ein Glossar, Tabellen, Quellenangaben, weiterführende Literaturhinweise und eine Signatur ergänzt.

      Insbesondere Artikel in den untersuchten Fachlexika und -enzyklopädien zeichnen sich durch einen umfangreichen wissenschaftlichen Apparat aus und sind häufiger von den Experten signiert, weswegen sie eine Nähe zu Handbuchartikeln aufweisen. Diese Tendenz kann auch für fachsprachliche Stichwörter in UniversalenzyklopädienEnzyklopädie– Universal-~ festgestellt werden.

      Es ergeben sich jedoch nicht nur Unterschiede zwischen Artikeln in Fach- und UniversalenzyklopädienEnzyklopädie– Universal-~ und zwischen eher allgemeinsprachlichen und eher fachsprachlichen Stichwörtern, sondern die auftretenden Textteile variieren auch danach, in welcher Sprache der Artikel verfasst ist. So fällt die ausführliche Präsentation von Inhalten in französischen Enzyklopädien auf, die Elemente wie Inhaltsverzeichnisse, einführende Resümees, Zusammenfassungen, Bibliografien und in einigen Fällen Abschnitte mit Expertenmeinungen enthalten. In italienischen Enzyklopädien sind die Artikel dagegen kürzer gehalten und häufig fehlen Fußnoten.

      3.2.4 Sprachlich-stilistische Merkmale

      Je nach Untersuchungskorpus variieren zudem die sprachlich-stilistischen Merkmale eines EnzyklopädieartikelsEnzyklopädieartikel. Hoffmann (1988) nimmt in seiner Studie exemplarische Analysen der deutschsprachigen Artikel Hegel und Donau aus Meyers Universallexikon vor. Der Artikel Hegel zeichnet sich durch wenig komplexe Subjektsphrasen aus. Häufig fungiert das StichwortStichwort in abgekürzter Form als Subjekt. Demgegenüber steht eine expandierte Prädikatsphrase, die komplexe Objekte enthält:

       (1) H. suchte die Resultate aller bisherigen Philosophie u. Einzelwiss. sowie die Geschichte in ihrer histor.-widersprüchl. Entwicklung theoret. zu fassen, die Gesellschaft als gesetzmäßigen Selbsterzeugungsprozeß des Menschen durch die (allerdings idealist. interpretierte) Arbeit (Entäußerung u. Vergegenständlichung der menschl. Wesenskräfte) zu erklären (Hoffmann 1988: 138).

      Durch diese Struktur wird das ThemaThema des Satzes, Hegel, über das etwas ausgesagt wird, sehr knappgehalten, wohingegen das RhemaRhema sehr lang und der Text damit maximal informativ ist. AbkürzungenAbkürzung ermöglichen zudem eine bessere Nutzung des begrenzten Platzes. Die Verben treten ausschließlich in der 3. Person auf. Der Text ist durch die ständige Bezugnahme auf das Artikelstichwort gekennzeichnet, was zu einer konstanten thematischen Progressionthematische Progression führt. Dabei ist zu beobachten, dass das Artikelstichwort häufig wiederholt wird und keine ProformenProform eingesetzt werden:

       (2) Ausgestattet mit einem enzyklopäd. Wissen, entwarf H. ein objektiv-idealist. System, dem die Identifizierung von Denken u. Sein zugrunde lag. Nach H. ist der Weltgeist das tätige Prinzip […] (Hoffmann 1988: 138).

      Der Pronominalisierungsgrad ist somit gering und die Sätze werden über die wörtliche Wiederaufnahmewörtliche Wiederaufnahme verknüpft. Häufig werden die einzelnen Sätze ohne Konnektoren nebeneinandergestellt. Der gesamte Artikel wird von einem lexikalischen Netz aus dem Wortfeld ‚Grundbegriffe der idealistischen Philosophie‘ durchzogen. Während diese Beobachtungen für den gesamten Artikel gemacht wurden, lassen sich jedoch auch Unterschiede zwischen den einzelnen Artikelabschnitten feststellen. Beispielsweise fehlt im ersten Satz des Abschnitts allgemeine Charakterisierung das Verb:

       (3) Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, 27.8.1770–14.11.1831, bedeutendster Repräsentant der klass. Deutschen Philosophie (Hoffmann 1988: 137).

      Ebenso werden im Abschnitt zu Werken und Leistungen die Hauptwerke Hegels in Nominalsätzen aufgezählt. Im Artikel Donau finden sich teilweise ähnliche sprachliche Merkmale. Die Subjekte sind auch dort entweder sehr knappgehalten oder werden ganz ausgespart. Die Verben stehen ausschließlich in der 3. Person, die Prädikatsphrase ist erweitert. Der Artikel ist durch den ständigen Bezug auf das Thema Donau gekennzeichnet, wodurch auch dort eine konstante thematische Progressionthematische Progression vorliegt. Zudem durchzieht den Artikel ein Netz aus Lexemen des Wortfelds ‚Fluss/Strom‘. Die Pronominalisierung und die Verbindung von Sätzen durch Konnektoren werden völlig vermieden. Zusätzlich fällt die Reihung von Verben im Aktiv auf, die von Lokalangaben begleitet werden und so den Verlauf des Flusses beschreiben:

       (4) Donau f: zweitlängster Strom Europas; 2.860 km, davon 2.580 schiffbar (ab Budapest für Seeschiffe); Einzugsgebiet 817.000 km2; entspringt mit den Quellflüssen Brigach und Brege im Schwarzwald […], durchströmt den SO Rumäniens, ist danach rumän.-sowjet. Grenzfluß, mündet mit 5.000 km2 großem, sumpfigem, schiff- u. fischreichem Delta […] (Hoffmann 1988: 141).

      An Hoffmanns exemplarischen Analysen werden Merkmale ersichtlich, die sich in mehreren Artikeln finden lassen. Dazu gehört die ständige Bezugnahme auf das Artikelthema, was eine konstante thematische Progression erzeugt. Verfahren der sprachlichen Kürze, wie die EllipseEllipse des Kopulaverbs in der Definition, die Reihung von Nominalsätzen, deren Subjekt ausgespart wird, und die Verwendung von Abkürzungen ermöglichen einen ökonomischen Umgang mit dem begrenzten Platzangebot.1 Abhängig vom StichwortStichwort sind die auftretenden Wortfelder. Zudem können auch die verwendeten Verben je nach Lemmatyp variieren, beispielsweise je nachdem, ob es sich um ein statisches oder ein dynamisches Konzept handelt.

      Die von Hoffmann für deutsche Artikel festgestellten sprachlich-stilistischen Merkmale bestätigen Fandrych/Thurmair (2011: 108) an ihrem deutschsprachigen Korpus von Artikeln: Progression mit einem durchlaufenden Thema, Wiederholung des Lemmas in abgekürzter Form, elliptischer Stil mit Auslassung des Kopulaverbs, Verzicht auf Konnektoren. Als Stilmittel sind im Korpus ParenthesenParenthese auffällig. Des Weiteren stellen Fandrych/Thurmair (2011) eine hohe Frequenz des Passivs in ihrem Korpus fest, wobei sie darauf hinweisen, dass dieses sprachliche Mittel der Deagentivierung insbesondere im Deutschen bevorzugt verwendet wird und im Englischen metonymische Subjekte verwendet werden