Eichenholz, ein hellgrünes Sofa, ein langer Tisch mit weißem Tischtuch, weiße Stühle mit hellgrauen Polstern. Es war eine geschmackvolle Einrichtung, die genug freien Raum ließ, um das Zimmer größer wirken zu lassen, als es eigentlich war.
Thea setzte sich auf einen Stuhl an der Längsseite des Tisches und betrachtete das Familienfoto, das in einem mintfarbenem Rahmen über einer schmalen Kommode hing. Es war am Ufer eines tiefblauen Sees aufgenommen und zeigte ein offensichtlich glückliches Paar, beide etwa Mitte vierzig. Vor ihnen im Gras saßen zwei hellblonde junge Männer um die zwanzig und vor den beiden lag Ophelia seitlich abgestützt auf ihrem Arm und schaute mit einem spitzbübischen Lächeln auf den Lippen in die Kamera.
»Ophelias Vater mit seiner Frau und Ophelias Halbbrüdern. Die norwegische Familie meiner Tochter«, klärte Olivia Thea über die Personen auf dem Foto auf, als sie mit zwei Tassen Kaffee an den Esstisch kam und sich auf den Stuhl gegenüber von Thea setzte.
»Ich bin beeindruckt. Das sehe ich selten, dass jemand die Familie seines Ex an die Wand hängt«, staunte Thea.
»Ich habe Ophelias Vater schon lange verziehen. Wir hatten nur eine kurze Affäre, die allerdings nur deshalb so kurz war, weil ich schnell herausfand, dass er verheiratet war. Damals war ich wütend und verletzt, dass er es mir verschwiegen hatte, inzwischen bin ich ihm aber sogar dankbar dafür. Hätte ich es gewusst, wären wir nie zusammen gewesen, und das würde bedeuten, dass es Ophelia nicht gäbe. Und das will ich mir gar nicht vorstellen.«
»Das ist allerdings ein guter Grund, ihm seine Unaufrichtigkeit zu verzeihen«, stimmte Thea Olivia zu. »Aber was sagt seine Frau dazu?«
»Ihre Söhne waren damals, als das zwischen ihrem Mann und mir passierte, erst sieben und acht Jahre alt. Sie wollte ihre Familie erhalten, deshalb hat sie ihm verziehen. Inzwischen sind wir alle so etwas wie eine große Familie, und manchmal begleite ich Ophelia, wenn sie zu ihnen nach Norwegen fährt.«
»So müssten diese Begegnungen immer ausgehen, meistens ist es aber nicht so. Menschen tun furchtbare Dinge, wenn sie sich von ihren Partnern betrogen fühlen«, seufzte Thea. »Andere wiederum haben sich nicht im Griff, wenn sie nicht das bekommen, was sie haben wollen, wie unser bisher unbekannter Sportwagenfahrer«, kam sie auf den Grund ihres Besuches zu sprechen.
»Bisher unbekannt? Bedeutet das, Sie wissen inzwischen mehr über ihn?«, fragte Olivia und hoffte inständig, dass Thea ihre Vermutung bejahte.
»Ich weiß jetzt, wer er ist. Ehrlich gesagt, ich war schon fast der Überzeugung, dass wir diesen Kerl nicht mehr finden werden. Nach seiner Fahrerflucht habe ich die Aufzeichnungen aller Überwachungskameras in dieser Gegend eingesammelt, in der Hoffnung dieses Auto darauf zu finden.«
»Wobei aber nichts Brauchbares herauskam.«
»Richtig, aber ich habe mir die Aufnahmen auch weiterhin stichprobenartig angesehen. Als sie heute Morgen anriefen, habe ich sofort alle Aufzeichnungen der Kameras aus ihrer Nachbarschaft eingesammelt, und dieses Mal hatten wir Glück. Ich denke, das ist der Mann, den wir suchen.« Sie reichte Olivia das Foto, das sie aus der Aufzeichnung einer Überwachungskamera herauskopiert und vervielfältigt hatte.
Der schwarze Sportwagen, der darauf zu sehen war, hatte ein Heilbronner Kennzeichen, und das Gesicht des Mannes, der gerade in den Wagen einsteigen wollte und direkt in die Kamera schaute, war deutlich zu erkennen.
»Der Name dieses Mannes ist Arnold Berheim«, sagte Thea.
»Ich weiß, ich kenne ihn«, entgegnete Olivia, die verblüfft auf das Foto schaute.
»Woher kennen Sie ihn?«, wollte Thea wissen.
»Er war Ende letzten Jahres Patient in der Praxis meiner Mutter, in der auch ich arbeitete. Herr Berheim war mein Patient. Damals sah er allerdings noch ganz anders aus. Er war eher schmächtig. Er muss in den letzten Monaten hart trainiert haben.«
»War Ihnen klar, dass Arnold Berheim Gefühle für Sie entwickelte?«
»Nein, ich habe ihn gleich nach der dritten Sitzung in eine Klinik überwiesen. Er hatte damals ausgeprägte Verfolgungsphantasien und brauchte langfristig Hilfe. Ich wusste nicht, dass er entlassen wurde.«
»Warum wurden Sie nicht über seine Entlassung informiert? Ich meine, Sie hatten ihn eingewiesen.«
»Das Problem ist, dass er ein paar Wochen nach seiner Einweisung in die örtliche Klinik, die wirklich einen guten Ruf hat und über gute Leute verfügt, in ein Sanatorium in die Schweiz verlegt wurde. Seine Familie ist äußerst vermögend. Sie besitzen Immobilien in ganz Europa und haben Freunde in der großen Politik.«
»Ich weiß, ich habe Luis, meinen Kollegen, ein bisschen über diese Familie recherchieren lassen.«
»Egal, wie vermögend sie sind und wie viel Einfluss sie besitzen, Arnold war noch nicht bereit, entlassen zu werden. Ich will wissen, wer dafür verantwortlich ist.« Olivia holte ihr Handy, das in der Küche neben der Kaffeemaschine lag, und rief die Nummer der psychiatrischen Klinik auf, in die sie Arnold ursprünglich überwiesen hatte und deren Telefonnummer in ihrem Handy gespeichert war. »Olivia Mai, verbinden Sie mich bitte mit Professor Gering«, bat sie, als sich die Klinik meldete.
Es dauerte auch nicht lange, bis sich Norbert Gering meldete, den sie aus den Vorlesungen kannte, die er als Gastprofessor während ihrer Zeit an der Universität gehalten hatte. »Hallo, Olivia, wie geht es Ihnen?«, fragte er freundlich.
»Ich bin vor Kurzem nach München gezogen und wollte mir etwas Neues aufbauen«, sagte Olivia und erzählte ihm in wenigen Worten, warum sie mit ihrer Mutter und ihrer Tochter umgezogen war.
»Wissen Sie inzwischen, wer dieser Mann ist?«, fragte Norbert Gering.
»Ich habe es gerade erfahren. Es ist Arnold Berheim. Herr Professor, sind Sie noch da?«, fragte Olivia, als Norbert schwieg.
»Arnold Berheim, ganz sicher?«, hakte Norbert nach, nachdem er sich von seiner offensichtlichen Überraschung erholt hatte.
»Es besteht kein Zweifel. Ich sitze hier mit einer Kommissarin der Münchner Polizei. Sie konnte den Mann, der mich verfolgt, glücklicherweise identifizieren. Ich würde wirklich gern wissen, warum Berheim aus der Klinik entlassen wurde. Und warum ich nicht darüber informiert wurde.«
»Ich finde es für Sie heraus. Ich werde gleich in dieser Klinik anrufen, in die er damals gebracht wurde. Ich melde mich dann wieder«, versprach Norbert und legte auf.
»Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gern noch warten, bis der Professor zurückruft«, sagte Thea.
»Ich bin sogar froh, wenn Sie bleiben. Jetzt, da ich weiß, wer mir nachstellt, empfinde ich meine Lage erst recht als bedrohlich.«
»Wo ist Ihre Tochter?«
»In ihrem Zimmer. Sie hofft genau wie ich, dass dieser Albtraum endlich vorbei ist.«
»Meine Kollegen vom Streifendienst wissen nun, nach wem sie suchen müssen. Wir werden diesen Mann finden«, versicherte Thea Olivia. »Ich weiß, das fällt eigentlich unter die Schweigepflicht, aber da ich die Gefahr, die von diesem Mann ausgeht, richtig einschätzen muss, sollte ich wissen, mit wem wir es zu tun haben. Als er damals bei Ihnen war, ging es da nur um seinen Verfolgungswahn oder leidet er noch unter anderen Störungen seiner Persönlichkeit?«
»Sein eigentliches Krankheitsbild fällt unter den Begriff Zelophobie.«
»Das bedeutet?«
»Er leidet an der Angst vor Eifersucht.«
»Wie äußerst sich diese Phobie?«
»Sobald er Eifersucht empfindet, fällt er zuerst in eine Art Apathie, kann sich kaum noch bewegen, nicht mehr essen und ist sogar selbstmordgefährdet. In der zweiten Phase schlägt seine anfängliche Apathie in Aggressivität gegen andere um. Seine größte Wut richtete sich dann gegen den Menschen, den er für seinen Zustand verantwortlich macht. Ich habe ihn in die Klinik überwiesen, damit er dort lernt, aggressives Verhalten zu vermeiden und zu lernen, dass Eifersucht kein Ausnahmezustand ist, sondern eine Empfindung,