doch nichts.« »Sei nicht so empfindlich.« Oder sehr treffend in diesem Zusammenhang: »Du machst schon wieder aus einer Mücke einen Elefanten.«
Ein konkretes Beispiel aus einem beruflichen Kontext: Ich hatte mit dem Geschäftsführer sowie der Personalchefin eines Unternehmens eine Vorbesprechung für eine Teamklausur und wusste bereits die ungefähre Ausgangslage und das Ziel: Es gibt Spannungen im Team, die Zeit und Geld kosten, und das Ziel sei eine offene Aussprache. In der Besprechung meinten beide meiner Gesprächspartner, dass im Grunde alles ganz gut funktioniere und sich alle gut verstehen. Sie berichteten von kleineren Schwierigkeiten, aber nichts klang nur annähernd nach der Ausgangslage, wegen der ich telefonisch im Vorfeld kontaktiert worden war. Ich stellte daher die Frage nach dem Elefanten: »Was darf auf keinen Fall angesprochen werden in der Klausur?« Und beide sagten blitzschnell und tatsächlich gleichzeitig: »Dass Herr Mustermann das einzige Problem ist, das wir haben.« Ich erfuhr dann weiter, dass er bereits seit über 20 Jahren im Unternehmen sei und dass er »jede Schraube« und »jedes Angebot, sogar jedes Schriftstück« in der Firma kenne. Er besitze unglaubliches Wissen und sei damit eine wesentliche Säule des Unternehmens. »Leider«, so der Geschäftsführer, »geht er mehr als respektlos mit jungen Führungskräften um.« Drei der Nachwuchshoffnungen hätten bereits gekündigt, und es verginge keine Woche, in der es nicht Beschwerden gebe. Auf meine Frage, ob direkt mit ihm schon jemand gesprochen habe, war die Antwort ein klares »Nein« und »das geht auf keinen Fall«. Er solle in der Klausur »selber draufkommen«, dass er das Problem sei. Mein Einwand, beruhend auf ähnlichen Erfahrungen, war sinngemäß, dass, wenn niemand über den »Elefanten im Raum« reden wolle – denn es wussten alle Bescheid, und hinter vorgehaltener Hand wurde sehr viel gesprochen–, dann werde es im besten Fall eine mittelmäßige Klausur. Schließlich durfte ja auf keinen Fall über Herrn Mustermann und die Kritik an seinem Verhalten direkt etwas geäußert werden. Der Geschäftsführer versicherte mir, er werde vor der Klausur ein persönliches Gespräch mit Herrn Mustermann führen. Eine Woche vor der Veranstaltung versicherte er mir noch mal, dass alles gut vorbereitet sei und ich keinerlei Bedenken zu haben brauche. Der Klausurtag kam, und der Geschäftsführer gestand mir 20 Minuten vor dem Start, dass sich das persönliche Gespräch doch nicht ergeben hätte. Und so kam es, wie es kommen musste. Herr Mustermann saß exakt in der Mitte eines Tischhalbkreises. Seine Körpersprache war abweisend, seine Mimik ernst und angespannt. Der Geschäftsführer eröffnete die Sitzung und fügte am Schluss seiner Willkommensworte hinzu: »Heute sind alle Fragen erlaubt. Also, gutes Gelingen.« Noch bevor ich die Moderation übernehmen konnte, meldete sich Herr Mustermann: »Dann hätte ich gleich eine Frage: Warum sind wir heute hier? Nichts gegen Sie, Herr Moderator, ich kenne Sie nicht, aber warum sind wir heute hier?« Schweigen. Beklemmende Stille. Alle Blicke waren zuerst kurz auf den Geschäftsführer gerichtet und dann auf mich, der ich bereits startklar vorne in der Mitte stand. Ich sagte: »Herzlichen willkommen. Herr Mustermann, geben Sie dem Klausurtag, Ihnen als Team und auch mir als Moderator eine Chance, und ich hoffe, Sie können die Frage am Abend selbst beantworten.« So begannen wir. In den Pausen suchte ich bewusst das Gespräch mit Herrn Mustermann. Auch er selbst, ein erfahrener und kluger Mensch, wusste, meinem Eindruck nach, ganz genau über den »Elefanten im Raum« Bescheid. Im weiteren Verlauf der Klausur konnten wir viele Punkte ansprechen und Lösungswege vereinbaren. Das Hauptproblem allerdings wurde den ganzen Tag nicht angesprochen, doch es war bereits ein Erfolg, dass die Körpersprache und der gesamte Ausdruck von Herrn Mustermann sich änderten und er genau zuhörte. Insgesamt wurde es aus meiner Sicht zwar eine nur mittelmäßige Klausur, da mehr erreichbar gewesen wäre, hätte der Geschäftsführer, wie vereinbart, das persönliche Gespräch mit Herrn Mustermann gesucht. Doch war sie auch nicht völlig misslungen, weil Letzterer wohl einerseits froh war, dass es nicht um ihn ging, aber andererseits auch erkannte, dass von allen Beteiligten der Wille bestand, seine wichtige Rolle im Unternehmen zu achten, und das Ziel einer respektvollen Zusammenarbeit von allen geteilt wurde. So verkündete er in der Abschlussrunde der Klausur: »Ich war sehr skeptisch heute Morgen, doch jetzt muss ich ehrlicherweise sagen, dass es gut war, mit meinen Kolleginnen und Kollegen auch außerhalb des Unternehmens sprechen zu können. Ich habe auch über mich ein paar Punkte gelernt. Danke!« Ohne die Offenheit von Herrn Mustermann wäre dieser Tag gescheitert. Das persönliche Gespräch zwischen ihm und dem Geschäftsführer fand ein paar Tage nach unserer Klausur statt und sei, so die Rückmeldung an mich, positiv verlaufen. Für mich ist die zentrale Erfahrung aus dieser Klausur, dass es auf Dauer nicht hilfreich ist, wenn sich alle vor der Wahrheit – dem »Elefanten im Raum« – drücken, und dies gilt besonders für die Führungskräfte. Viele kleine und größere Provokationen, Angriffe und Untergriffe – Fliegen und Mücken – hätte man sich wohl ersparen können, wenn das Problem früher direkt und konstruktiv angesprochen worden wäre.
Um diese Quelle – das Nichtansprechen von heiklen Themen – zum Versickern zu bringen, ist es unerlässlich, die Dinge beim Namen zu nennen und nicht aufzuschieben. Dies gilt ebenso für Teams in Unternehmen, wie im oben beschriebenen Beispiel, wie auch im Familien- oder Freundeskreis, in Parteien und Vereinen. Wie man unangenehme Wahrheiten klar anspricht oder schlechte Nachrichten überbringt, werden wir uns im Rahmen von Regel 1 unter Rollenabgrenzung und dem Enttäuschen von Erwartungen näher ansehen.
Vorbereitungsschritt 5: Eine gemeinsame Ausgangslage schaffen und Missverständnisse klären
Das Überraschende in der Kommunikation zwischen Menschen ist, dass sie überhaupt funktioniert. Viel wahrscheinlicher wäre, dass sie eben nicht reibungslos funktioniert, gerade dann, wenn es um unterschiedliche Interessen geht. Eine wesentliche Quelle für persönliche Angriffe ist jedoch genau die Annahme »das ist doch für jeden klar« oder »das sagt einem doch die Lebenserfahrung und der Hausverstand«. Beide Kategorien – »Lebenserfahrung« und »Hausverstand« – sind jedoch gerade in schwierigen Gesprächssituationen mehr als trügerisch. Wir haben eben unterschiedliche Lebenserfahrungen und auch der sogenannte Hausverstand ist durch unser bisheriges Leben geformt worden. Wie schnell falsche Eindrücke oder Missverständnisse entstehen, möchte ich anhand der folgenden privaten Beispiele deutlich machen.
Was uns trennt, ist die gemeinsame Sprache
Im August vor Beginn meines Studiums wollte ich das Geld, das ich bei einem Ferienjob im Juli verdient hatte, auf einer Interrailreise gleich wieder ausgeben. Mit einem Bahnticket, damals so um die 200 Euro, nahm ich mir vor, innerhalb eines Monats möglichst viele Länder in Europa zu sehen. Ein großes Abenteuer. So tourte ich in jenem Sommer mit Rucksack durch Europa und lernte vor allem während der Zugfahrten viele unterschiedliche Menschen kennen. Eines Tages saß ich in einem Zug von Hamburg nach Kopenhagen. Auf den mir gegenüberliegenden Platz setzte sich eine Frau; eine Hamburgerin, wie ich später erfahren sollte. Wir waren ungefähr im gleichen Alter und begannen, uns zu unterhalten. Sie wollte Freunde in Kopenhagen besuchen und mit denen weiter zu einem Musikfestival nach Roskilde fahren. Wir verstanden uns richtig gut und fanden uns, so glaube ich, gegenseitig sehr sympathisch. Und tatsächlich sagte sie kurz vor Kopenhagen: »Ich muss dir ein großes Kompliment machen.« Ich sah uns schon gemeinsam auf dem Festival und war sehr aufgeregt. Wird sie mir ihre Telefonnummer geben? Fahren wir gemeinsam nach Roskilde? Sie sagte dann mit einem herzlichen Lächeln: »Für einen Dänen sprichst du wirklich hervorragend Deutsch.«
Ich bekam also keine Telefonnummer, wir verabschiedeten uns am Bahnhof von Kopenhagen und haben uns seither nicht mehr wiedergesehen. Was diese Reisebegegnung aber zeigt, ist, wie schnell Missverständnisse oder unterschiedliche Interpretationen entstehen können. Sie hat mich als vermeintlichen Dänen für meine guten Deutschkenntnisse bewundert und ich träumte schon von einem gemeinsamen Musikfestival.
Um die Geschichte doch noch zu einem späten Happy End zu bringen: Auf einer anderen Reise, gut 15 Jahre später, habe ich tatsächlich meine Partnerin kennengelernt, und obwohl sie auch aus Deutschland stammt, war sie nicht nur aufgrund meiner hervorragenden »Deutsch als Fremdsprache«-Kenntnisse an mir interessiert.
An dem Tag, als sie mich ihren Eltern und ihrer Familie vorstellte, ungefähr ein Jahr nach unserem Kennenlernen, war ich natürlich noch aufgeregter