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Fachbewusstsein der Romanistik


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des innerromanischen Vergleichs bzw. die bei Aussagen zu verschiedenen Varietäten einer Sprache anzusetzenden Vergleichsebenen, u.a. die Frage nach der Abgrenzung von Idiolekt, Soziolekt und Funktiolekt, die Überbewertung des eigenen Idiolektes, Verallgemeinerung von Forschungsergebnissen sowie das Problem des sorglosen Umgangs mit Quellen und Ergebnissen anderer Studien. Eine Schieflage sieht der Autor ferner in der unkritischen Orientierung mancher Romanist*innen an den Postulaten der allgemeinen und der angloamerikanischen Sprachwissenschaft. Obwohl hinsichtlich der methodischen Sorgfalt Verbesserungspotenzial besteht, zeigen romanistische Untersuchungen aus romanischen Ländern und aus dem deutschsprachigen Raum eine stärkere Sensibilisierung für varietätenlinguistische Fragestellungen als US-amerikanische und englische Autor*innen aus denselben Fachgebieten oder Vertreter*innen der Germanistik und der allgemeinen Sprachwissenschaft.

      Der Beitrag von Sylvia Thiele „Sprachenvielfalt schützen – Mehrsprachigkeit(sdidaktik) einfordern“ leitet den Abschnitt zum universitären Romanistik-Studium ein. Die Autorin setzt sich dafür ein, dass methodische Ideen zur rezeptiven Mehrsprachigkeit stärker in den Vordergrund gerückt werden, vor allem in Bezug auf romanische Klein- und Minderheitensprachen, und über den romanischen Sprachraum hinaus kultur- und sprachübergreifend, auch im Hinblick auf genetisch nicht verwandte Idiome Gebrauch finden sollten. Die Aufgabe mehrsprachiger Lehrender bestehe darin, Lernende für eine solche analytisch-didaktische Arbeitsweise zu sensibilisieren. Diese Kompetenzen sollten im ‚mehrsprachigen Klassenzimmer‘ an Schulen und Universitäten, u.a. auch in internationalen Studiengängen, eingeübt werden.

      Die von Sandra Herling und Holger Wochele aufgeworfene Frage „Soll der wissenschaftliche Nachwuchs Lateinkenntnisse haben? – Bemerkungen zu Pro- und Contra-Standpunkten“ stellt bereits seit einigen Jahrzehnten einen Stein des Anstoßes in der Romanistik dar. Der Beitrag systematisiert die Argumente von Latein-Befürworter*innen, die einschlägigen romanistischen Publikationen entnommen sind, sowie von Latein-Gegner*innen am Beispiel der Debatte in Nordrhein-Westfalen über die Abschaffung des Latinums für Lehramtsstudiengänge. Ferner stellen die Autorin und der Autor die Frage nach der Angemessenheit der aktuell während des Universitätsstudiums erteilten ‚Crash‘-Latinumskurse. Auch ein Blick auf die Ausrichtung einzelner Studiengänge an Romanischen Seminaren Nordrhein-Westfalens zeigt, dass historische Inhalte, die Lateinkenntnisse voraussetzen würden, kaum mehr Berücksichtigung finden. Angesichts der sich wandelnden Studiengangs- und Forschungslandschaft erscheint eine Abschaffung der Latinumspflicht nachvollziehbar.

      Alf Monjour stellt im Beitrag „Romanistik nach Bologna? Zum Nachdenken über zukünftige Positionen der romanistischen Sprach- und Kulturwissenschaften“ das Postulat der „Vollromanistik“, d.h. des Fachzuschnitts nach den Kriterien der historischen-vergleichenden Sprachwissenschaft, zur Debatte. Möglicherweise hat gerade dieser derzeit einzigartige Zuschnitt der romanistischen Fremdsprachenphilologie zu den Stellenkürzungen beigetragen, da wenige Professuren nach wie vor viele romanische Sprachen vertreten können. Der Ist-Zustand der Studierendenschaft am Beispiel eines mittelgroßen romanistischen Instituts an der Universität Duisburg-Essen lässt erkennen, dass die Mehrheit der Studierenden sowohl in den Lehramts- als auch in den Fachstudiengängen nur ein romanistisches Fach (Französisch oder Spanisch) belegen. Die Tatsache, dass zahlreiche Studierende bedingt durch aktuelle Migrationsbewegungen mehrsprachig sind, aber in der Regel nur eine romanische Sprache und kein Latein beherrschen, kann nicht ohne Folgen für das Fach und die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses bleiben. Die Konzentration der Romanist*innen auf die eine Zielsprache und die eine Zielkultur nicht nur in der Lehre, sondern auch in der Forschung scheint immer mehr überlebensnotwendig zu sein. An größeren Instituten dürfte die Möglichkeit einer Koexistenz romanistischer Komparatist*innen und einzelsprachlicher Sprach- und Kulturwissenschaftler*innen hingegen auch in Zukunft gegeben sein.

      Aline Willems beschäftigt sich im Beitrag „Quo vadis, Romani(stic)a? Das romanistische Lehramtsstudium heute“ mit den Anforderungen an die Studierenden der romanistischen Lehramtsstudiengänge. Mit diesem Ziel untersucht sie die curricularen Vorgaben der Kultusministerkonferenz, die in den Prüfungsordnungen und Modulhandbüchern berücksichtigt werden müssen. Diese umfangreichen Vorgaben, unterteilt in fünf Studienbereiche Sprachpraxis, Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft sowie Fachdidaktik, wurden im Jahr 2017 darüber hinaus um das Themenfeld Inklusion ergänzt. Die Autorin stellt abschließend die Frage, ob dermaßen umfängliche Standards mit der Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre sowie mit den allgemeinen Grundsätzen von Universitäten überhaupt vereinbar sind, so dass eine Rückkehr zu Pädagogischen Hochschulen bedacht werden sollte.

      Der Abschnitt zu den Perspektiven des Faches Romanistik wird mit „Gedanken zu möglichen Konturen einer ‚engagierten‘ romanischen Sprachwissenschaft“ von Georg Kremnitz eingeleitet. Unter „Engagement“ versteht der Autor ethische Mindestanforderungen für wissenschaftliche Arbeiten und das Bewusstsein der Verantwortung für die Forschungsfolgen. Als Beispiel aus der Soziolinguistik nennt er die Auseinandersetzung zwischen den Vertreter*innen der Defizit- (Basil Bernstein) und Differenzhypothesen (William Labov), die einen erheblichen Einfluss auf die Unterrichtspraktiken in den westlichen Industriestaaten hatte, ohne jedoch das gewünschte Ziel – die sozialen Chancen der Unterschichten zu verbessern – erreichen zu können. Für ein vergleichbares Engagement in der Sprachwissenschaft, das humanistisch geleitet ist und sprach- bzw. bildungspolitische Reformen herbeiführen soll, empfiehlt der Autor entsprechend eine konsequent politisch denkende Vorgehensweise. Am zweiten Beispiel der unterschiedlichen Zählweisen der Sprachen zeigt er auf, welche Folgen die fragmentierenden und die synthetisierenden Darstellungen für die kommunikative Bedeutung der entsprechenden Varietäten haben können. Die Mindestvoraussetzung für soziolinguistische Forschung, insbesondere für die Beschäftigung mit Minderheitensprachen, ist folglich eine genaue Kenntnis der sozialen, politischen und sprachlichen Situation sowie eine eigene politische Positionierung.

      Matthias Heinz reflektiert im Beitrag „Facheinheit vs. Auseinanderdriften der romanischen Sprachwissenschaft“ am Beispiel der Salzburger Romanistik über divergente und konvergente Entwicklungen innerhalb des Faches. Zunächst macht er auf fehlende Vergleichbarkeit zwischen kleineren und größeren Instituten sowie auf die stark aufgefächerten Fachmasterstudiengänge neben den klassischen Lehramtsstudiengängen aufmerksam. Neue Kombinationsstudiengänge wie Romanistik und Wirtschaft wurden zuletzt an mehreren Standorten, auch in Salzburg, gegründet. In der Forschung stehen die Vertreter*innen der allgemeinen und theoretischen Linguistik mit einem geringen Bezug zum Proprium des Faches den Romanist*innen traditioneller Prägung mit philologischen und sprachhistorischen Interessen gegenüber. Doch in vielen Fällen kommt es zu einem fruchtbaren Austausch, so dass unterschiedliche Sichtweisen auf Sprache sich ergänzen können. Um die Einheit des Faches zu bewahren, empfiehlt der Autor eine Reihe von Strategien: Allianzen mit der Slawistik, Skandinavistik und Latinistik, aber auch mit der Germanistik und Anglistik suchen; das Potenzial des komparatistischen Ansatzes ausschöpfen; Zusammenarbeit mit Romanistik-Instituten an anderen Universitäten fördern; die der Romanistik inhärente Internationalität nutzen; den Nachwuchs aus neuen Kombinationsstudiengängen gewinnen; wissenschaftliche Kommunikation auf Deutsch, in romanischen Sprachen und auf Englisch führen und den Mehrwert der Romanistik im Vergleich zur Linguistik tout court herausstellen (dazu gehört ein besonderes Verhältnis zur Sprachgeschichte, zum Sprachenvergleich und zur Variation).

      Eva Martha Eckkrammer stellt im Beitrag „Romanische Philologie – Eintrittskarte in eine superdiverse Welt?“ die Frage nach adäquaten Bildungsinhalten sowie nach dem Stellenwert des Faches in der globalisierten und superdiversen Welt. Zum Einstieg diskutiert sie die aktuelle Situation der Romanistik in der Post-Bologna-Zeit auf der Grundlage einer Vollerhebung des Deutschen Romanistenverbandes e.V. im Studienjahr 2014/2015. Inzwischen hat eine flächendeckende Umstellung auf romanistische Monobachelor-Angebote stattgefunden, die als Folge der starren ECTS-Zähllogik gesehen werden kann. Genuine romanistische Studiengänge mit mindestens zwei romanischen Sprachen sind an nur wenigen Standorten vertreten, häufig beschränken sich diese entweder auf die Sprach- oder die Literaturwissenschaft. Ein weiteres Novum stellen zahlreiche mit anderen Fächern kombinierte Studiengänge dar. Obwohl gerade in Zeiten der Superdiversität und der EU-Erweiterung der Umgang mit Mehrsprachigkeit und Heterogenität eine Schlüsselrolle spielen sollte, wird der vergleichende Ansatz aufgegeben und die mehrsprachige