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Fachbewusstsein der Romanistik


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für Minderheitensprachen sowie für eine selbstbewusste Kommunikation der romanistischen Expertise in den Bereichen der Interkulturalität, der sprachlichen Diversität sowie nicht zuletzt der Textkompetenz und der strukturierten Denkfähigkeit. Nicht zu unterschätzen ist außerdem der Appell, im Rahmen der europäischen Integration die hohe Bedeutung der romanischsprachigen Länder und ihrer Kulturen herauszustellen.

      Elmar Eggert widmet sich im Beitrag „Interkulturelle Sensibilität als romanistische Kernkompetenz. Warum die Romanistik als übergreifend-vergleichendes Fach heute wichtiger denn je ist“ ebenfalls der romanistischen Expertise in den Bereichen der Interkulturalität und Diversität. Er hebt die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Einbindung der Romanistik hervor, die durch die Hinwendung zu kulturwissenschaftlichen und interkulturellen Fragestellungen erreicht werden kann. Als besonders geeignet für die Herausbildung interkultureller Kompetenzen sieht der Autor den gesamtromanistisch-vergleichenden Ansatz sowie die historische Betrachtung an. Die Romania ist dabei ein Raum, der nicht allein durch die genealogischen Verbindungen zwischen den romanischen Sprachen, sondern durch eine gemeinsame kulturelle Prägung zu begründen ist. Somit sollte die ausgeprägte interkulturelle Kompetenz, welche die Romanistik bereits seit ihrer Gründung auszeichnet, stärker nach außen transportiert werden.

      Thomas Krefeld vertritt im Beitrag „FAIRness weist den Weg – von der Romanischen Philologie in die Digital Romance Humanities“ eine hoffnungsvolle Perspektive für eine konstruktive Zusammenarbeit im Sinne der Digital Humanities. Er stellt zunächst die traditionellen Wege der Wissenschaftskommunikation den neuen Möglichkeiten gegenüber und kommt zum Schluss, dass Webtechnologien klare Vorteile mit sich bringen. Die Pluspunkte der webbasierten Wissenschaftskommunikation sind in einigen Bereichen der romanischen Sprachwissenschaft, etwa in der Lexikographie, augenfällig. Am Beispiel des Projekts VerbaAlpina zeigt der Autor, welche Elemente eine umfassende virtuelle lexikographische und kartographische Umgebung ausmachen.

      Der Beitrag „Fortschritt durch Interdisziplinarität. Methodische Offenheit in der Romanistik“ von Anna Ladilova und Dinah Leschzyk schließt den Band ab. Die Autorinnen vertreten die Ansicht, dass die gesellschaftliche Bedeutung der Romanistik durch das Zusammenspiel mit anderen Disziplinen geprägt wird. Einerseits sollten die romanistischen Fachteile Sprach-, Literaturwissenschaft und die Fachdidaktik näher zusammenrücken, statt sich voneinander wegzubewegen, andererseits sollte sich die Romanistik gegenüber anderen Fächern, die ebenfalls romanischsprachige Länder erforschen, öffnen. Wie dies gelingen kann, wird an zwei Beispielen, dem Feld der politischen Online-Kommunikation in Kombination mit der Kritischen Diskursanalyse sowie der Gestikforschung, aufgezeigt. Die Autorinnen legen außerdem nahe, dass Romanist*innen eine stärkere Positionierung und mediale Wirksamkeit als Expert*innen für gesellschaftliche Vorgänge in romanischsprachigen Ländern anstreben sollten.

      Die Herausgeber*innen bedanken sich bei Kathrin Heyng (Narr Francke Attempto Verlag) für die Betreuung der vorliegenden Publikation sowie bei Dr. Marta Estévez Grossi und Daria Mengert für ihre tatkräftige Unterstützung bei der Erstellung der Druckvorlage.

      Lidia Becker

      Julia Kuhn

      Christina Ossenkop

      Anja Overbeck

      Claudia Polzin-Haumann

      Elton Prifti

      I. Theorien und Methoden

      Selbstdarstellungen der Romanistik während der Gründungsphase, um 1900 und nach 1988

      Johannes Kramer

      1 Die Aufgaben der philologischen Arbeit

      Die Romanistik gehört zur Gruppe der neuphilologischen Fächer, die im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts entstanden, wie auch die Indogermanistik, die Germanistik und etwas später die Slavistik. Wenn man die Veröffentlichung des ersten Bandes der Grammatik der romanischen Sprachen von Friedrich Diez im Jahre 1836 als „Geburtsstunde“ der wissenschaftlichen Romanistik ansieht (Swiggers 2014, 48), so ist dieser Zweig der Wissenschaft etwa 180 Jahre alt, damit ein Menschenalter jünger als die Germanistik, wenn man deren Beginn mit dem ersten Band der Deutschen Grammatik von Jacob Grimm im Jahre 1819 ansetzen will, aber deutlich jünger als die Klassische Philologie, die mit den Forschungen der alexandrinischen Gelehrten am von Ptolemaios I. (367–283 v. Chr.) gegründeten Museion der Stadt begann (Pfeiffer 1970, 125–132) und die somit auf eine mehr als zweitausendjährige Geschichte zurückblicken kann.

      Was man freilich mit der sprachlichen Arbeit an älteren Texten erreichen wollte, das hat sich seit der Zeit der Alexandriner nicht verändert: Man arbeitete sich an Texten wie den homerischen Epen ab, die lange vor der eigenen Zeit entstanden waren, in einer anderen gesellschaftlichen Umgebung und in verschiedenen literarischen Traditionen. Nach einer heutigen Einführung in die klassische Philologie gab es drei Hauptaufgaben:

      Man musste versuchen, 1. In den Texten Echtes von Unechtem zu scheiden; 2. die Eigenheiten der fremden Sprachform festzustellen; 3. Schwierigkeiten des Textverständnisses zu klären“ (Jäger 1975, 11). Die Verständnisschwierigkeiten bei älteren Texten mussten in drei Bereichen überbrückt werden: „1. Es kann sich darum handeln, den authentischen Wortlaut des Textes zu ermitteln (Textkritik und Editionstechnik); 2. Es kann darum gehen, die Sprache des Textes zu verstehen bzw. zu erläutern (Lexikographie und Grammatik; sprachliche Kommentierung); 3. Es kann bei literarischen Texten auf ein angemessenes Verständnis des Textes als ein Stück Literatur ankommen (Interpretation). Dazu gehört auch die sachliche Klärung des Textes sowie seine Einordnung in den historischen Zusammenhang. (Jäger 1975, 12)

      2 Klassische Philologie und Romanistik

      Anfänglich wichen die Arbeitsansätze und die Antworten, die die Romanistik auf diese Fragen gab, kaum von denen der zeitgenössischen klassischen Philologie ab, obwohl traditionellerweise die Beziehung zwischen beiden Fächern nicht allzu eng gesehen wurde und wird und man eher den Akzent darauf legte, dass die Romanistik in einigem Abstand der Herausbildung der Germanistik folgte (Christmann 1985, 21). Dennoch war die Verwandtschaft mit der Latinistik unübersehbar: Die romanischen Sprachen stammen aus dem Lateinischen ab, wie man in der Klassischen Philologie die beiden Zweige Gräzistik und Latinistik behandelte, so waren die nach damaliger Auffassung sechs romanischen Sprachen ein würdiger Gegenstand für die Romanistik, die vergleichende und historische Komponente der neuen Sprachbetrachtung passte gut zur philologischen Untersuchung, die gerade modern wurde, und die Herstellung guter mittelalterlicher Texte vertrug sich bestens mit den altphilologischen Bemühungen und originalnahe „Urtexte“ – die Textkritik, mit der man zuverlässige Ausgaben von Dante, den altfranzösischen Texten, den Troubadourliedern oder den altspanischen Romanzen herstellen wollte, waren die natürliche Verbindung zwischen den Forschungsinteressen der alten klassischen Philologie und der neuen Romanistik (Christmann 1985, 13).

      Das frühe 19. Jahrhundert ist ja geprägt von der Romantik, und die Zugänglichmachung mittelalterlicher Textzeugnisse durch Ausgaben, Kommentare und Übersetzungen standen im Zentrum des Interesses. Friedrich Diez hatte, bevor er sich Grammatiken und Wörterbüchern widmete, 1821 ein Werk über Altspanische Romanzen veröffentlicht, und 1823 folgte Die Poesie der Troubadours. Man soll auch nicht vergessen, dass er 1863 eine Arbeit Über die erste portugiesische Kunst und Hofpoesie veröffentlichte und so die Aufmerksamkeit auf dieses oft vernachlässigte Randgebiet der Romanistik lenkte. Generationen von Studienanfängern sind durch die Chrestomathie de l’Ancien Français von Karl Bartsch in den Reichtum der altfranzösischen Literatur eingeführt worden, bevor diese Aufgabe 1921 vom Altfranzösischen Lesebuch von Karl Voretzsch übernommen wurde. Solange die Beschäftigung mit den altprovenzalischen (= altokzitanischen) Texten noch zum Kernprogramm der Romanistikstudien gehörte, lernte man die mittelalterlichen Texte durch die Chrestomathie provençale von Karl Bartsch kennen, bevor, was die Troubadour-Dichtungen anbetrifft, Texte und Nachdichtungen 1917 im Provenzalischen Liederbuch von Erhard Lommatzsch leicht aufzufinden waren. Bei diesen und bei vergleichbaren Ausgaben von Einzeltexten sieht man deutlich