John Matthews

DIE SIDHE


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gingen zu seinem Wagen und fuhren die paar Kilometer zurück nach Dungarrow. Ich glaube, ich schwieg auf dem Rückweg fast die ganze Zeit. Was ich gesehen hatte, ging mir nicht mehr aus dem Kopf, vor allem die große Spiralzeichnung, die mich angefunkelt hatte, als würde ein eigenes Feuer in ihr leuchten.

      Ich erinnere mich, dass ich mir Keith’ detailreiche Zeichnungen anschaute, dabei voll des zu erwartenden höflichen Lobes war und ihm alle richtigen Fragen stellte. Doch in Wahrheit wollte ich am liebsten allein sein, um ungestört über das nachzudenken, was ich gesehen hatte. Schließlich entschuldigte ich mich damit, dass ich mir Notizen für den Artikel machen wollte, den zu schreiben ja der Grund für meine Einladung gewesen war.

      Als ich mich nach oben auf mein Zimmer zurückgezogen hatte, schloss mit einem erleichterten Seufzen die Tür hinter mir.

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      Ich nahm meinen Laptop und setzte mich an den ziemlich wackligen Tisch vor dem Fenster. Aber obwohl ich dort sicherlich eine Stunde oder länger saß, während sich draußen die Abenddämmerung herabsenkte, schrieb ich nicht mehr als zwei oder drei Sätze. Ich war mit den Gedanken woanders, rief mir alles ins Gedächtnis, was ich je über solche uralten Stätten gelesen hatte, und vor allem über die Glyphen, von denen diese eine, besonders große, einen so tiefen Eindruck bei mir hinterlassen hatte.

      Schließlich ging ich zu Bett, konnte aber nicht einschlafen. Ich lag ewig, wie mir schien, in der Dunkelheit und starrte an die Decke. Schließlich dämmerte ich doch weg, und hatte kurze Zeit später den machtvollsten und verstörendsten Traum meines Lebens.

      Wenn ich jetzt darüber schreibe, erscheint er mir bizarr, und es würde mich nicht überraschen, wenn die meisten Leute, die diesen Bericht lesen, den Autor für verrückt erklärten. Und doch ist dieser Traum, so seltsam er war, noch gar nichts im Vergleich zu dem, was mich danach erwartete.

      Ich träumte, ich befände mich wieder in der Kammer des Grabhügels von Gortnasheen, die nun offenbar von flackerndem Kerzenlicht erleuchtet war. Ich stand vor der Glyphe, die wie von innen leuchtete, und war unfähig, den Blick von dem Spiralmuster zu lösen. Dann wurde ich mir allmählich einer Person bewusst, die seitlich davon stand.

      Zuerst nahm ich sie nur verschwommen und schemenhaft war, doch nach und nach wurde der Anblick klarer und konturierter – ein hochgewachsener Mann in archaischer, brauner und grüner Kleidung. Er hatte langes Haar, das locker von einem silbernen Diadem zusammengehalten wurde. Seine Gesichtszüge waren fein und anmutig. Sie hätten feminin gewirkt, wären da nicht das ausgeprägte Kinn und die intensiven schwarzen Augen gewesen, deren Blick unter hohen Brauen mich fixierte. Es war das in jeder Hinsicht schönste Gesicht, das ich je gesehen hatte.

      »Wer bist du?«, hörte ich mich fragen.

      »Mein Name tut nichts zur Sache«, antwortete er. »Ich komme als Vertreter meines Volkes zu dir.«

      »Wer ist dein Volk?«

       »Wir sind die Sídhe.«

      Und er sprach es aus wie schi.

      »Die Sídhe?«

       »Ein Volk, das schon seit uralter Zeit in diesem Land lebt. Es ist viele Jahrhunderte her, dass ich auf Erden wandelte.«

      »Warum bist du gekommen?«, fragte ich.

       »Weil die Zeit dafür reif ist. Weil ich etwas zu sagen habe, das dein Volk hören sollte. Bevor es zu spät ist.«

      »Ich verstehe nicht«, sagte ich.

      »Du wirst verstehen«, entgegnete er. »Geh wieder in die Kammer. Schau dir das Spiralbild an. Dort werde ich zu dir kommen.«

      Dann war er verschwunden, und im selben Moment erwachte ich, setzte mich im Bett auf und starrte auf das verblassende Bild der Glyphe, das sich regelrecht in meinen Geist eingebrannt hatte.

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      Ich schaltete die Nachttischlampe ein und schaute auf die Uhr. Es war noch keine halb drei, und ich hatte nicht mehr als zwei Stunden geschlafen. Der Traum schien so real und ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Schließlich nahm ich mein Notizbuch und schrieb alles auf, woran ich mich erinnerte. Die letzten Worte meines seltsamen Besuchers, seine Aufforderung, ich möge in die Kammer gehen und mir die Glyphe anschauen, erzeugten in mir ein unbehagliches Gefühl, ohne dass ich hätte sagen können warum. Der Name, mit dem er sein Volk bezeichnet hatte, die Sídhe, kam mir bekannt vor, aber ich konnte mich nicht erinnern, wo ich ihn schon einmal gehört hatte. Die ganze Traumepisode schien verrückt zu sein. Das empfinde ich auch heute noch so, wenn ich lese, was ich hier aufgeschrieben habe. Doch mein Traum in dieser Nacht, nach dem ersten Besuch in Gortnasheen, war der Auftakt zu allem, was dann folgte.

      Das arg ramponierte alte Notizbuch liegt jetzt vor mir. Darin beschreibe ich, mit zittriger Handschrift, den Traum. Ich hinterfrage ihn noch immer, so oft wie all das, was darauf folgte. Aber der Drang, es aufzuschreiben, ist stärker, und die Botschaft erscheint mir heute genauso dringlich wie damals, als ich sie zum ersten Mal hörte. Ich legte mich wieder hin und fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

      Am Morgen las ich mir meine Notizen über den Traum noch einmal durch und versuchte, das Ganze als unwichtig abzutun. Aber in Wahrheit schien alles in Zusammenhang zu stehen: das Gefühl, das mich sofort überkommen hatte, als Keith Harris mich wegen der Sache angerufen hatte, der Besuch im Grabhügel von Gortnasheen, und dann der Traum. Je mehr ich über die ganze Angelegenheit nachdachte, desto sicherer war ich mir, dass mehr dahintersteckte, etwas, dem ich unbedingt auf den Grund gehen musste.

      Ich wusch mich, zog mich an und ging zum Frühstück nach unten. Keith saß bereits vor einem Teller mit Speck, Eiern und Tomaten. Ich bestellte das Gleiche, und nach ein paar Höflichkeiten und nachdem das Thema Wetter ausgeschöpft war, saßen wir eine Weile schweigend da.

      Schließlich hielt Keith es nicht länger aus. »Und?«, fragte er. »Was denkst du?«

      »Es ist auf jeden Fall eine sehr interessante Fundstätte«, sagte ich vorsichtig.

      »Und …?«

      »Na ja, ich werde noch etwas lesen und recherchieren müssen, ehe ich darüber einen fundierten Artikel schreiben kann.«

      »Aber du wirst etwas schreiben?« Er wirkte seltsam enttäuscht, als hätte er etwas anderes erwartet.

      »Ich denke schon. Sag mal …«, fügte ich nur hinzu, um das Gespräch in Gang zu halten, »… weißt du eigentlich, was der Name bedeutet?«

      »Gortnasheen? Ort der Feen

      »Feen?«

      »Ja. Weißt du, nicht diese kitschigen kleinen, geflügelten Wesen aus den Kinderbüchern – nein, das echte Feenvolk, die Nachfahren der keltischen Götter. Die Sídhe.«

      Das Wort traf mich bis ins Mark und löste bei mir eine Flut von Bildern und Gedanken aus. Wie hatte ich das vergessen können? Ich hatte genug Bände mit keltischen Sagen und Legenden gelesen, um zu wissen, dass Irland voller Geschichten über die Feenrasse war, und diese Wesen hatten nichts gemeinsam mit den üblichen Bildern, die uns in den Sinn kommen, wenn wir das Wort Feen hören. Die irischen Feen waren groß, strahlend und mächtig – Göttern nicht unähnlich –, und ihr alter gälischer Name lautete Sídhe. Welten trennten sie von den schelmischen Reigentänzern, die im viktorianischen Zeitalter so populär gewesen waren. Sie waren keine Tinkerbells, sondern besaßen mächtige Zauberkräfte, und ihr Äußeres war unvergleichlich edel und schön. Ich erinnerte mich, dass von ihnen erzählt wurde, sie trügen Schuhe aus Bronze und ihre Schatzkammern seien reich gefüllt mit Gold und Juwelen. Manchmal stolperten umherziehende Leute zufällig in eines der Häuser dieses Volkes. Ihre Behausungen sahen äußerlich wie Erdhügel aus, aber im Inneren waren sie riesig und voller Wunder. Für die menschlichen Besucher verging die Zeit bei den Feen anders. Oft waren, wenn sie in ihre Welt zurückkehrten, Jahre oder gar Jahrhunderte vergangen, während sie selbst den