Inger Gammelgaard Madsen

Schlangengift - Roland Benito-Krimi 7


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anderes können die ja nicht wirklich machen.“

      „Nein. Natürlich nicht.“

      Asger schwieg lange und Roland wusste nicht, was er sagen sollte. Irene schaute von der Küche aus zu ihm hinaus. Sie saß auf einem Stuhl, während sie beim Abwasch half. Eine Spülmaschine wollte Giovanna nicht in ihren vier Wänden haben.

      „Nun, ich reise also heute Abend ab. Falls Sie etwas von der Polizei hören, haben Sie meine Handynummer, oder?“

      „Ja. Ja, selbstverständlich werde ich Sie dann kontaktieren.“

      „Wer war das?“, wollte Irene wissen, als er das Handy zurück in die Tasche seiner Shorts steckte und in die Küche kam.

      „Ein älterer Herr, den ich heute Vormittag in der Bar getroffen habe. Als Olivia gegangen war, ist er zu mir herübergekommen und hat mit mir geredet. Er hatte gehört, dass wir Dänisch gesprochen haben. Er ist auch Däne.“

      Roland nahm ein Geschirrtuch und ein gespültes Glas und fing an, es abzutrocknen. Die Frauen sahen ihn komisch an, sagten aber nichts. Irene verbarg ein kleines Lächeln. Die anderen Männer waren ins Wohnzimmer gegangen, um zu rauchen und Karten zu spielen. Beides war nichts für Roland. Die Kinder spielten mit den Zwillingen, die aufgewacht waren. Aus dem Gästezimmer war ihr Kinderlachen zu hören, das Pippinos Stimme aus dem Wohnzimmer zu übertönen versuchte. Er redete die ganze Zeit. Der Wein hatte ihn in eine gute Stimmung versetzt.

      „Ist er allein unterwegs?“, fragte Irene.

      Roland nickte.

      „In Urlaub?“

      „Mmmm …“

      „Warum hast du ihn nicht eingeladen? Giovanna würde es lieben.“

      Die Tante sah sie an, als sie ihren Namen hörte.

      „Irene sagt bloß, dass du es liebst, Gäste zu haben.“

      Giovanna lächelte und nickte Irene zu.

      „Das ist wahr, das liebe ich.“

      „Aber jetzt ist es zu spät, er reist heute Abend nach Sizilien.“

      „Ganz allein. Der Arme. Er muss sich recht einsam fühlen, wenn er sich in einer Bar an einen Fremden wendet.“

      „Das war nicht deswegen. Offenbar hatte er mitbekommen, dass ich Polizist bin, und hat um meine Hilfe gebeten. Seine Tochter war nach einer Tauchtour bei Ischia verschwunden.“

      „Du meine Güte!“ Irene hörte auf, abzutrocknen, und starrte zu ihm hoch. Die anderen Frauen taten das Gleiche.

      „Aber sie war bloß nach Sizilien weitergereist, also ist die Sache aufgeklärt. Jetzt fährt ihr Vater dahin, dann sind sie bald wieder vereint.“

      Das Letzte sagte er auf Italienisch, aber Irene verstand es und lächelte erleichtert.

      „Grazie a Dio“, rief Giovanna.

      7

      Sizilien, Messina

      Das Handy klingelte erneut. Sie holte es aus der Tauchtasche, die zu ihren Füßen stand, schaute auf das Display und schaltete das Handy mit einem resignierten Seufzer aus.

      „War das wieder er?“, fragte Oscar und zog die Flossen an. Er ähnelte einer großen, schwarzen Ente, die im Vordersteven des Bootes saß. Wie eine Reiherente sah er aus mit den schwarzen, langen Ponyfransen, die ihm in die Stirn und Augen fielen und die er sich die ganze Zeit aus dem Gesicht strich. Die Haut war braun nach dem langen Aufenthalt in der Sonne Italiens. Er war die Küste entlang von Norden nach Süden mit einem Rucksack herumgereist und getaucht, wo immer es ging. Sie mochte ihn. Es war selten, jemanden mit der gleichen brennenden Leidenschaft zu treffen und der Lust, die gleichen gefährlichen Gebiete zu erforschen. Und dann hatte er ihr geholfen, ein Zugticket zu kaufen und sprach hervorragend Italienisch. Sie selber hatte nicht vorgehabt, Italienisch zu lernen, und bis sie Oscar getroffen hatte, war sie mit ihrem Touristenwörterbuch ganz ausgezeichnet zurechtgekommen. Aber wegen seiner guten Sprachkenntnisse war es so leicht gewesen, ein Boot bei dem Bootsverleih zu mieten, den das Hotelpersonal empfohlen hatte, das musste sie zugeben. Die Italiener waren ihm gegenüber dienstbeflissen, weil er ihre Sprache beherrschte.

      „Ja, aber ich habe ihn wieder weggedrückt“, entgegnete sie.

      „Glaubst du nicht, du solltest ein bisschen mit ihm reden? Vielleicht macht er sich wirklich Sorgen um dich.“

      „Papa macht sich immer Sorgen um mich, es ist zum Wahnsinnigwerden. Ich bin verdammt noch mal erwachsen! Aber jetzt habe ich ihm eine SMS geschickt, dass ich in Messina bin und im Hotel Mirage wohne, das muss echt reichen!“

      Oscar grinste. „Meinen Alten ist es echt scheißegal, was ich mache. Ist doch süß, dass dein Vater so fürsorglich ist.“

      Elisabeth lächelte zuerst über seine norwegische Aussprache, das klang so lustig, dann schnitt sie ihm eine Grimasse und zog die Tauchermaske auf. Mehrmals hatte sie überlegt, wie alt er wohl war – zwischen 25 und 30? Das war schwer zu beurteilen. Aber sie hatte nicht gefragt, weil es in Wirklichkeit egal war. Sie hatten nur das Tauchen gemeinsam und das war das Einzige, was sie mit ihm zusammen tun wollte. Sonst nichts.

      Oscar war ebenfalls ein geübter Taucher, und sie hatten sich auf dem Boot nach Ischia, wo sie sich getroffen und schnell vertraut geworden waren, darüber unterhalten, dass viele spannende Schätze auf dem Meeresgrund in der Straße von Messina lagen. Bei dem Erdbeben 1908, das den Wert 7,2 auf der Richterskala erreicht hatte, mit dem Epizentrum in der Straße und der nachfolgenden Flutwelle, die zwölf Meter hoch gewesen war, waren Messina und Teile Kalabriens zerstört worden und viele Wertgegenstände auf dem Meeresgrund geendet. Man vermutete, dass 72 000 Menschen umgekommen waren. Vielleicht viel mehr. Selbstverständlich waren Wertsachen längst gefunden worden, aber die Pflanzen- und Tierwelt sollte hier auch besonders mannigfaltig sein. Und das waren Herausforderungen. Sie konnte ihre Grenzen testen. Es war ein gefährlicher Tauchplatz wegen der Gezeitenströmungen, die riskante Stromschnellen bildeten. Die Straße hatte im Laufe der Zeit viele Schiffe verschlungen, da sie unter anderem die Passage für Kriegsschiffe gewesen war. Die beiden Seeungeheuer Skylla und Charybdis, die der griechischen und römischen Mythologie zufolge in der Straße von Messina hausten, bekamen damals die Schuld für das Verschwinden der Schiffe. Aber die erwartete sie nicht zu treffen.

      Elisabeth spannte ihre Doppelflaschen, ein Set, bestehend aus zwei knallgelben Alu-Druckflaschen, auf dem Rücken fest und setzte sich auf den Bootsrand. Oscar setzte sich dicht neben sie, ebenfalls mit dem Rücken zum Wasser. Ihre Taucheranzüge berührten sich. Er gab ihr die Tauchlampe.

      „Dann gehen wir runter. Die maximale Tiefe in der Straße beträgt 250 Meter. Wir werden wohl einige Wracks zu sehen bekommen.“ Seine Zähne leuchteten unter der Tauchmaske in einem erwartungsvollen Grinsen auf. Er steckte den Atemregler in den Mund, ließ sich nach hinten fallen und verschwand im Sprudel weißer Luftbläschen. Elisabeth warf einen letzten Blick auf die sizilianische Küste. Sie lag in blaugrauem Dunst sehr weit weg, sie war sich nicht einmal sicher, ob es Messina war oder eine andere Stadt, die sie erahnen konnte. Die Straße von Messina maß an der schmalsten Stelle drei Kilometer und an der breitesten sechzehn, hatte Oscar erzählt. Sie waren ziemlich weit gesegelt, fand sie, aber er bestimmte. Er hatte sich mit der Gegend vertraut gemacht, das hatte sie nicht geschafft.

      Das kalte Wasser umschloss sie, als sie nach hinten kippte und abzutauchen begann. Die bekannten Geräusche von Wind, Möwen und Wellen verschwanden und wurden zu einem Brausen. Hier gehörte sie hin. Hier in diese Welt, wo die Geräusche nur die des Meeres und ihr eigener, ruhiger Atem waren. Oscar war wie ein Delfin im Wasser direkt vor ihr. Die Luftblasen aus seinem Atemregler blubberten bei jedem Atemzug, wie weißer Atem an einem kalten Wintertag. Der Lichtkegel der Lampen fing bunte Fische ein, die in prachtvollen Fächern vor ihnen flüchteten. Schwärme von Pferdemakrelen schwammen unter ihnen. Sie schnappte hingerissen nach Luft wie jedes Mal, wenn sie erlebte, dass sich die Korallen unter ihr wie ein blühender Garten öffneten. Die Fangarme der Seeanemonen wehten seidig und suchend