Roy Rockwood

Bomba am Ende einer Spur


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Worten, und Bomba drückte ihr sanft die Augen zu. Er war tief erschüttert über ihren Tod, aber auch traurig, weil sie nun das Geheimnis seiner Herkunft doch mit in ihr Grab nahm. Dass Bartow und Laura seine Eltern waren, das hatte er zuvor auch schon gewusst. Nur die eine Hoffnung blieb ihm, dass er die Stahlkassette finden würde, von der Sobrinini gesprochen hatte und um derentwillen sie auch die beschwerliche Dschungelwanderung unternommen hatten.

      Mit einem Seufzer stand Bomba auf und ging zu Neram und Gibo hinüber. Die Eingeborenen fühlten kein Bedauern über den Tod der ‚Hexe’, wie sie Sobrinini immer genannt hatten. Sie hatten sich vor ihr und ihrer angeblichen Zaubermacht gefürchtet, und besonders der letzte Wahnsinnsausbruch der Alten war ihnen unheimlich vorgekommen. Sie empfanden befreiende Erleichterung über ihren Tod.

      Bomba beugte sich hinab und untersuchte noch einmal sorgfältig Nerams Arm.

      „Für dich wäre es besser, in die Maloca Honduras zurückzukehren“, sagte er schließlich. „Die Medizinmänner sind sehr erfahren in der Behandlung solcher Wunden. Sie können mehr für dich tun als ich, und du kannst dich inzwischen auch besser ausruhen.“

      „Ich will dich nicht allein lassen, Herr“, stammelte der Indianer.

      „Auch ich möchte dich nicht verlieren“, erwiderte Bomba. „Aber ich habe eine beschwerliche Wanderung vor mir, und ich kann nicht warten, bis du gesund bist. Wir werden dir genug Fleisch für den Heimweg mitgeben. In zwei Tagen kannst du das Dorf erreichen; dann bist du in Sicherheit.“

      Eine Stunde später brach der Indianer auf. Die beiden Gefährten begleiteten ihn noch zum Rande der Lichtung und warteten, bis er im undurchdringlichen Dunkel des Urwaldes verschwunden war. Mit Gibo zusammen bereitete Bomba dann aus einem morschen, ausgehöhlten Baumstamm einen Sarg für Sobrinini, und sie versenkten ihn in eine Erdgrube, die sie gegraben hatten. Ein großes, breites Rindenstück legte Bomba als Deckel auf diesen primitiven Sarg, und dann fiel die weiche Erde hinab und bedeckte bald die sterblichen Überreste der einstmals gefeierten Sängerin, die ihre letzte Ruhestätte auf so abenteuerliche Weise im Urwald gefunden hatte.

      Als sie diese traurige Arbeit verrichtet hatten, verharrte Bomba noch kurze Zeit am Grabe. Dann wandte er sich an seinen Gefährten.

      „Es wird Zeit für uns, aufzubrechen, Gibo. Eine lange Wanderung liegt vor uns.“

      In stiller Ergebenheit senkte der Indianer den Kopf, und die beiden machten sich auf den Weg.

      Heiß sengte die Sonne auf die endlose Dschungellandschaft herab. Über den grünen Wogen der Baumwipfel hing die Luft als flirrender, irisierender Dunstschleier, und der Himmel selbst war wie eine glasig-fahle, gleißende Lichtfläche. Dort, wo Bomba mit seinem Gefährten den Urwald durchdrang, hing die schwüle, schwere Feuchtigkeit des Dschungelwaldes wie ein feuchter Nebel von Dunst und Hitze in der Luft. Ein unirdischer Schrei drang ab und zu herüber: der Warnungsruf eines Urwaldtieres, das seine Gefährten vor einer schleichenden oder kriechenden Gefahr warnen wollte. Doch über den beiden einsamen Dschungelwanderern spielten kleine, sandbraune Äffchen harmlos in den Zweigen. Eine Affenmutter saß mit ihrem Jungen im Arm auf einem Aststumpf und leckte mit rührender Sorgfalt das kleine, bräunliche Fellbündel ab. Aufmerksam und mit klugen, traurigen Augen blickte sie den beiden Eindringlingen in das Dschungelreich nach. Erst als sie hinter den Blattfächern üppig hochgeschossener, leuchtendgrüner Pflanzen verschwunden waren, setzte sie mit liebevoller Behutsamkeit ihre Arbeit fort und leckte ihr Affenbaby weiter sauber.

      Die beiden hatten gerade die Kreuzung zweier Dschungelpfade erreicht, als Gibo einen scharfen Warnungsschrei ertönen ließ.

      „Vorsicht, Herr! Zieh deine Hand zurück!“

      5 Der Pfad ins Ungewisse

      Bomba blieb sofort starr stehen. Seitwärts von ihm erhob sich aus dem Farngewirr der Kopf einer Cooanaradi, der gefährlichsten Giftschlange des Dschungels. Noch hatte sie nicht zum Angriff angesetzt. Anscheinend fühlte sie sich so sicher und überlegen, dass sie sich Zeit ließ.

      Mit unendlicher Langsamkeit hob Bomba das Gewehr, diese wertvollste Waffe im Dschungelkampf. Unsichtbar bewegte er dabei die Lippen und sagte zu Gibo in einem tonlosen Murmeln:

      „Bewege dich nicht, Gibo, ehe ich nicht geschossen habe. Jeder unbedachte Schritt könnte sie zum Angriff reizen.“

      Wie eine bronzene Statue stand Gibo da. Doch dann entrang sich ein Schrei seinen Lippen, als der Schuss durch die Urwaldstille peitschte und im nächsten Augenblick der Rumpf der Schlange in hilflosen Todeszuckungen über den Boden glitt. Der hässliche dreieckige Kopf des Reptils war von der Kugel zerschmettert worden.

      Als die Windungen des Schlangenleibes aufgehört hatten, näherte sich Gibo vorsichtig dem Körper und stieß mit den Zehenspitzen dagegen.

      „Nie werde ich das verstehen, Herr“, murmelte er verwirrt. „Der Feuerstock spricht mit lauter Stimme, und dann ist die Schlange im nächsten Augenblick tot.“

      „Der Feuerstock ist ein Gewehr“, erklärte Bomba lachend. „Ich habe dir das schon so oft gesagt. Und es ist keine Zauberei dabei.“

      „Gewehr — Gewehr“, wiederholte der Indianer das fremdartige Wort. „Ah — und es ist doch ein Zauber — ein großer Zauber, Herr! Wie könntest du sonst damit die Cooanaradi töten oder einen Jaguar auf fünfzig Schritt treffen.“

      „Der ganze Zauber ist eine sichere Hand und ein gutes Auge“, sagte Bomba. „Willst du nicht auch einmal versuchen, mit dem Gewehr zu schießen?“

      Entsetzt wich Gibo einige Schritte zurück und streckte abwehrend die Hände vor.

      „Alles tue ich für dich, Bomba“, sagte er flehend. „Aber verlange nicht von mir, dass ich diesen Zauberstock in die Hand nehme.“

      „Dass du nie deinen Aberglauben aufgeben willst, Gibo!“ meinte Bomba mit einem gutmütigen Lächeln. „Aber komm jetzt; es ist schon später Nachmittag, wir müssen uns eine Unterkunft für die Nacht suchen.“

      Die beiden Gefährten setzten die ungewisse Wanderung fort, und einige Stunden später erinnerte nur noch ein sauber abgenagtes Skelett an den Kampf, der hier vor kurzem stattgefunden hatte. Die großen Dschungelameisen hatten ihre Arbeit schon getan.

      *

      In dieser Nacht suchten die Dschungelwanderer in einem dicken Dornengestrüpp Zuflucht. Als sie am Morgen erwachten, stärkten sie sich durch ein Frühstück von geröstetem Fleisch, Nüssen und süßen Urwaldfrüchten. Dann setzten sie die Wanderung fort, und es war schon später Nachmittag, als sie plötzlich ein unerwartetes Bild vor sich sahen. Bomba ging wie üblich voran und hieb mit der Machete eine Lianensperre auseinander, als er plötzlich erstaunt stehenblieb. Vorsichtig schob er einen Zweig beiseite und schaute auf das Bild, das sich ihm bot.

      Ein schmaler, düsterer Dschungelpfad verlor sich vor ihnen ins Ungewisse. Giftige Sumpfblumen mit leuchtend roten Glockenkelchen strömten einen betäubend süßen Duft aus, und der Pfad war so von großblättrigen Unkrautpflanzen und wucherndem Gestrüpp überwachsen, dass er kaum passierbar erschien. Der Boden war weich und schlüpfrig und senkte sich jäh abwärts.

      „Das muss der Weg zum ‚Unterirdischen Fluss’ sein“, sagte Bomba mit hoffnungsfroher Stimme. „Sobrinini sprach von einem Pfad, der steil abwärts führt.“

      „Er kann steil abwärts führen in den Untergang“, meinte Gibo düster. „Ganz so sieht er aus.“

      Bomba wandte sich heftig zurück.

      „Du kannst heimlaufen“, sagte er schroff. „Du kannst zu den Squaws in deine Maloca zurückkehren und ihnen beim Holzsammeln und Mattenflechten helfen.“

      Beschämt senkte der Indianer den Blick.

      „Ich will dir folgen, Bomba“, murmelte er. „Aber denke daran, dass wir nur zu zweit sind. Und die Geister wimmeln hier zu Tausenden herum.“

      „Es gibt keine Geister“, sagte Bomba und begann den Weg zu