Patricia Vandenberg

Chefarzt Dr. Norden Paket 1 – Arztroman


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um. »Ihr wisst, wo ihr mich erreichen könnt, falls ihr mich braucht«, sagte er, ehe er endgültig verschwand.

      *

      Wie immer im Winter hatte sich die Dunkelheit schon früh über die Welt gelegt. Obwohl es nach Sonnenuntergang kühler geworden war, lag aber immer noch eine Ahnung von Frühling in der Luft. Ein frischer Hauch blähte die Vorhänge und streifte Sarinas Wangen. Sie öffnete die Augen und sah hinüber zu Jannis. Er saß auf einem Stuhl neben dem Bett und starrte vor sich hin.

      »Woran denkst du?«

      Wie aus einem Traum erwacht, zuckte er zusammen.

      »An nichts«, schwindelte er.

      »Kein Mensch kann an nichts denken«, widersprach Sarina. Inzwischen waren die Bauchschmerzen kaum mehr zu spüren, sodass sie sich wieder auf andere Dinge konzentrieren konnte. Zum Beispiel auf ihre Beziehung. »Jetzt sag schon! Ich dachte, wir hätten keine Geheimnisse voreinander.«

      Jannis haderte mit sich.

      »Sarina, bitte. Darüber reden wir lieber ein andermal … wenn es dir besser geht. Im Augenblick hast du schon Probleme genug.«

      »Darf ich das bitte selbst entscheiden?«, fragte sie gereizt und ängstlich zugleich. »Raus mit der Sprache! Wie heißt sie?«

      Jannis sah sie verständnislos an.

      »Wie heißt wer?«

      »Na, das Mädchen, an das du die ganze Zeit denkst.« Aus Sarinas Augen blitzte die nackte Eifersucht.

      Ihr Freund konnte es kaum glauben.

      »O Mann, ich halte das nicht mehr aus!« Er sprang vom Stuhl auf und trat ans Fußende des Bettes. »Also schön: Ich sage dir, worüber ich nachgedacht habe. Aber beschwere dich hinterher bitte nicht.«

      Sarina presste die Lippen aufeinander, sagte aber kein Wort.

      »Ich habe über unsere Beziehung nachgedacht. Darüber, dass es so nicht weitergehen kann.« Wie um sich Mut zu machen, ballte er die Hände zu Fäusten. »Ich denke, wir sollten uns trennen.«

      Sarina sagte immer noch nichts. Erst nach und nach begriff sie das ganze Ausmaß seiner Worte.

      »Ich habe es immer geahnt«, stammelte sie endlich. »Du hast eine andere.«

      Jannis verdrehte die Augen.

      »Nein, es gibt keine andere. Ehrlich gesagt habe ich im Moment die Schnauze voll von Mädchen. Schließlich kann ich nicht wissen, ob mir die nächste nicht auch wieder solche Szenen macht wie du. Und darauf kann ich echt verzichten. Das ist so was von anstrengend«, brach plötzlich all seine Wut aus ihm heraus, die sich über Wochen angestaut hatte. Schwer atmend hielt er inne.

      Sarina starrte ihn aus großen Augen an.

      »So schlimm bin ich?«, fragte sie so hilflos, dass er nur noch wütender wurde.

      »Wenn du wüsstest … «, rief er und stürmte Richtung Tür. Panisch sah Sarina ihm nach. Sie wusste: Wenn er jetzt ging, wäre es für immer. Dann würde sie ihn nie wiedersehen. Dieser Gedanke war zuviel für sie. Sie schlug die Decke zurück, zwang die Beine über die Bettkante und wollte loslaufen. Ihm folgen, ihn aufhalten, um Verzeihung anflehen.

      »Geh nicht, Jannis! Es tut mir leid!«, rief sie, als sie einen stechenden Schmerz spürte, der ihr den Atem raubte. Mit einem Schrei stürzte sie zu Boden. Da war Jannis schon auf dem Flur unterwegs. Im ersten Moment dachte er an eine Falle. Doch dann erinnerte er sich an ihre Schmerzen am Nachmittag. Seine Schritte wurden langsamer. An der Stationstür angekommen, kehrte er schließlich um und lief zurück ins Zimmer. Als er Sarina ohnmächtig auf dem Boden liegen sah, hielt er die Luft an. Dann wandte er sich ab und stürzte los, um eine Schwester zu suchen.

      *

      »Glaubst du, er kommt überhaupt zurück?« Diese Frage stellte Janine eine Stunde, nachdem ihr Chef in Richtung Klinik aufgebrochen war. Sie stand in der Küche am schön dekorierten Tisch, der nur auf Danny wartete.

      Wendy saß am Schreibtisch hinter dem Tresen und beschäftigte sich mit Abrechnungen. Bei dieser Frage blickte sie hoch.

      »Er wird uns doch nicht einfach so sitzen lassen«, erwiderte sie.

      »Vielleicht aus Rache?«

      »Danny? Nein, so ist er nicht.« Entschieden schüttelte Wendy den Kopf. »Das ist nicht seine Art.«

      »Es ist auch nicht unsere Art, ungezügelt über anderer Leute Torten herzufallen«, gab Janine zu bedenken.

      Wieder sah Wendy auf. Diesmal wirkte sie nachdenklich.

      »Stimmt auch wieder«, räumte sie ein. »Du meinst also, wir warten vergeblich?«

      Janine zuckte mit den Schultern. Gedankenverloren betrachtete sie die Torte, die zwischen Blumen und Glückwunschkarte auf dem Küchentisch thronte.

      Sie hatte ganze Arbeit geleistet. Das Flickwerk war nur zu erkennen, wenn man genau hinsah. Im Normalfall wäre sie stolz gewesen auf ihre Arbeit. Doch mit dieser Vorgeschichte konnte sie sich nicht freuen.

      Diese Gedanken gingen ihr durch den Kopf, als sie einen Schatten im Augenwinkel bemerkte. Sie hob den Kopf und entdeckte Danny, der den Gartenweg Richtung Praxis hochging. Auch wenn seine Miene düster war, lächelte sie erleichtert.

      »Nein, ich habe gerade meine Meinung geändert.«

      Im nächsten Augenblick öffnete sich die Tür, und Danny stapfte herein. Schnell verließ Janine die Küche und schloss die Tür hinter sich.

      »Da bist du ja wieder!« Unterdessen war Wendy vom Schreibtisch aufgesprungen und begrüßte ihren Chef freudig. »Wir hatten schon Angst, du kommst nicht mehr.« Zuvorkommend nahm sie ihm die Jacke ab und hängte sie an die Garderobe. Dann griff sie nach seiner Hand.

      »Ich hätte gar nicht erst gehen sollen«, murrte er. Verstimmt, wie er war, bemerkte er die Sonderbehandlung nicht und ließ sich bereitwillig mitziehen.

      »Doch, doch. Das war schon gut. So hatten wir wenigstens genügend Zeit, uns auf den feierlichen Moment vorzubereiten.« Wendy ließ Dannys Hand los und stellte sich neben ihre Freundin und Kollegin. »Mein lieber Danny!«, begann sie feierlich. Ihre Wangen leuchteten vor Verlegenheit und Freude. »Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Damals warst du gerade mal so hoch.«

      Ohne Wendy anzusehen, versetzte Janine ihr einen Knuff in die Seite.

      »Du hast versprochen, nicht sentimental zu werden«, erinnerte sie sie.

      Für einen kurzen Moment vergaß Danny seinen Ärger und schmunzelte.

      »Ehrlich gesagt erinnere ich mich nicht daran«, gestand er. »Aber ich weiß noch genau, wie Sie mich ausgeschimpft haben, als sie auf einem meiner Spielzeugautos ausgerutscht und durch die halbe Praxis gesegelt sind.«

      »Oh, richtig! Das hätte ich fast vergessen.« Damals war Wendy furchtbar böse gewesen. Doch inzwischen konnte sie über diesen Streich lachen. »Wenn mir damals jemand erzählt hätte, dass du einmal mein Chef sein würdest, hätte ich ihn für verrückt erklärt.«

      Diesmal war es an Danny, sentimental zu werden.

      »Wenn Sie mir versprechen, es niemandem weiterzuerzählen, verrate ich Ihnen ein Geheimnis.«

      »Soll ich euch allein lassen?«, fragte Janine.

      »Nicht nötig.« Er schüttelte den Kopf. »Das geht Sie genauso etwas an.« Er machte eine Pause und musterte seine beiden Assistentinnen. »Ehrlich gesagt fühle ich mich hier gar nicht als Chef. Für mich ist das Praxisteam ein Stück weit Familie. Und wie in einer Familie hat mal hat der eine recht, mal der andere. Wir streiten und versöhnen uns wieder. Wir freuen uns über Erfolge und trauern gemeinsam über Patienten, die wir verloren haben. Wie bei uns zu Hause. Ich könnte mir keine Menschen vorstellen, mit denen ich lieber arbeiten würde.« Er hatte seine kleine Rede beendet und lächelte in die Runde.

      Vor