Vielen Dank! Das war großartig!« Es kostete Jenny Mühe, sich Gehör zu verschaffen.
Endlich kehrte Ruhe ein. Die gespannten Blicke aller ruhten auf Dr. Behnisch.
»Wenn ich gewusst hätte, wie gut ihr singen könnt, hätte ich die Klinik längst aufgegeben, einen Chor eröffnet und euch alle abgeworben.«
»Dann wäre ich aber mitgekommen«, erwiderte Daniel prompt.
Alle lachten und gaben Kommentare ab. Jenny ließ den Blick über die lieb gewordenen Gesichter schweifen. Mit jedem verband sie Erinnerungen an gute Zeiten. Die schlechten Tage verblassten dagegen schon jetzt. Welch gnädige Einrichtung der Natur, wie sie im Stillen befand.
Gleichzeitig fühlte sie die erwartungsvollen Blicke auf sich ruhen. Große Worte waren nicht ihr Ding. Doch ein paar Sätze war sie ihren Mitarbeitern schuldig.
»Liebe Kollegen«, begann sie stockend. »Wenn es am schönsten ist, sollte man bekanntlich aufhören. Doch wenn ich Sie so ansehe, und obwohl ich mir meinen Entschluss reiflich überlegt habe, fällt es mir doch schwer, diesen Schritt zu gehen.« Beifälliges Raunen ging durch den Saal. Doch Jenny war noch nicht fertig. »Aber ich bin froh, dass es mir gelungen ist, Daniel Norden von der Notwendigkeit zu überzeugen, meinen Platz einzunehmen. So habe ich immer einen Spion vor Ort. Seien Sie also gewarnt.« Allgemeines Gelächter war die Antwort, und sie hob ihr Glas, um den Kollegen zuzuprosten. »Ich bedanke mich bei Ihnen für die harte Arbeit und vielen Erfolge der vergangenen Jahre!« Die Gläser klangen aneinander.
Auf diesen Moment hatte Tatjana gewartet. Sie schaltete die Musikanlage ein. Leiser Barjazz erklang und untermalte die heiter-melancholische Stimmung.
Sie stand an der Theke des Kiosks und sog die Atmosphäre mit allen Sinnen auf, bis Andrea Sander zu ihr trat. Tatjana musste gar nicht sehen, dass es sich um die Assistentin der Klinikleitung handelte. Sie spürte es vielmehr an der Schwingung ihrer Schritte und roch es natürlich an ihrem Parfum. Im Hintergrund lachte Jenny Behnisch entspannt auf. Tatjana lächelte Andrea zufrieden an.
»Das haben wir ganz gut hingekriegt, was?«, kam sie um ein kleines Eigenlob nicht herum. Unwillkürlich musste sie an Danny denken. Ob seine Überraschung ähnlich stimmungsvoll ausgefallen war? Sie konnte es kaum noch erwarten, an diesem Abend seinen Bericht zu hören.
»Sie haben das gut hinbekommen«, korrigierte Andrea Sander sie in ihre Gedanken hinein.
Doch davon wollte Tatjana nichts wissen.
»Einer allein kann nicht viel erreichen. Aber wenn wir zusammenhalten, sind wir stark.«
»Das soll unser Motto für die Zukunft sein!«, erwiderte Andrea innig, nicht ohne an Volker Lammers und Dieter Fuchs zu denken, für die das Wort »Zusammenhalt« ein Fremdwort war. Es war beruhigend zu wissen, dass den beiden Querulanten eine ganze Armada von Teamworkern gegenüberstand, die das gemeinsame Projekt mit Leidenschaft verteidigten, wenn es denn nötig wäre.
Wie so oft schien Tatjana auch diesmal die Gedanken ihres Gegenübers lesen zu können.
»Sie haben recht. Gegen uns haben sie keine Chance!«, verkündete sie zu Andreas großer Überraschung. »Darauf wollen wir trinken!«, fügte sie leidenschaftlich hinzu und hob ihr Glas.
*
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Janine, als ihre Freundin und Kollegin Wendy in der kleinen Küche auftauchte. Sie stand vor den Resten der Torte, die auf dem Boden gelandet war.
Das Wartezimmer hatte sich inzwischen geleert. Der letzte Patient des Nachmittags war bei Danny Norden. Unweigerlich steuerte das Unglück auf ein furioses Finale zu.
Wendy antwortete nicht sofort. Eine Weile betrachtete sie die Kuchenreste und dachte angestrengt nach.
»Aus zwei mach eins!«, beschloss sie schließlich. Sie holte die Tortenhaube mit Tatjanas Kunstwerk aus dem Kühlschrank und stellte sie neben die Schachtel der Bäckerei auf den Tisch. »Wozu sonst hast du eine Zusatzausbildung ›Ambulantes Operieren‹ gemacht? Jetzt kannst du deine chirurgischen Fähigkeiten unter Beweis stellen.«
»Wie meinst du das?« Janine verstand kein Wort.
»Ganz einfach. Du baust aus zwei angeschlagenen Torten eine neue.« Wendy deutete auf die klaffende Wunde an Tatjanas Prachtstück. »Hier setzt du einfach ein Stück von der neuen Torte ein. Die Nähte verschließt du mit den Resten vom Schokoüberzug. Und schwupps, haben wir eine neue Torte.«
Endlich wusste Janine, worauf ihre Freundin hinaus wollte.
»Danny servieren wir natürlich ein Stück von Tatjanas Seite.«
»Selbstverständlich.« Wendy lächelte diabolisch.
Doch ein Problem blieb.
»Und wie erklären wir, dass wir noch eine Torte gekauft haben?«, stellte Janine eine berechtigte Frage.
»Das würde mich allerdings auch mal interessieren.«
Wie von der Tarantel gestochen fuhren die beiden Assistentinnen herum.
Danny Norden stand lässig an den Türrahmen gelehnt. Er hatte die Arme verschränkt und grinste die beiden an. Sie waren so in ihr Gespräch vertieft gewesen, dass sie ihn nicht gehört hatten.
»Danny!«, seufzte Janine.
»So heiße ich«, bestätigte er gut gelaunt.
»Ehrlich gesagt hatte ich gedacht, dass deine Eltern dir mehr Anstand beigebracht hätten«, fauchte Wendy vorwurfsvoll und versuchte, die Torte hinter ihrem Körper zu verstecken. »Weißt du nicht, dass man nicht lauscht?«
Danny stieß sich vom Türrahmen ab, hob abwehrend die Hände und betrat die Küche.
»Ich kann nichts dafür, dass Sie mein Rufen vorhin nicht gehört haben. Herr Schaller brauchte einen neuen Termin. Den habe ich ihm aber inzwischen selbst gegeben.«
»Heute geht aber auch alles schief«, stöhnte Janine auf. Und auch Wendy wäre vor Scham am liebsten im Erdboden versunken.
Nur mit Mühe konnte sich Danny ein Lachen verkneifen.
»Was haben Sie denn da Schönes hinter Ihrem Rücken versteckt?« Er wollte über Wendys Schulter spitzen. Doch inzwischen hatte sie eingesehen, dass das Spiel zu Ende war. Kleinlaut trat sie beiseite und gab den Blick frei auf das Malheur.
Mit stockender Stimme berichteten beide abwechselnd, was geschehen war. Danny lauschte stumm und mit undurchdringlicher Miene.
»So so, Sie wollten mich also betrügen«, stellte er fest, nachdem sie mit ihrer Geschichte am Ende angelangt waren.
»Aber nein! Wir wollten dich nur nicht enttäuschen.«
»Und das hätte ganz bestimmt auch geklappt, wenn Sie uns nicht erwischt hätten«, versicherte Janine.
Danny sah von einer zur anderen und hatte schließlich Mitleid.
»Wenn Sie sich Ihrer Sache so sicher sind … Warum versuchen Sie es dann nicht?«, fragte er.
Wendy meinte, sich verhört zu haben.
»Du willst, dass wir Tatjanas Torte trotzdem reparieren? Aber wozu?«
Danny dachte kurz nach. Er wusste genau, dass eines Tages wieder Situationen kommen würden, in denen er auf das Wohlwollen seiner Assistentinnen angewiesen sein würde. Deshalb schluckte er seine Enttäuschung herunter. Doch ein bisschen Strafe musste schon sein.
»Weil ich ein Beweisfoto fürs Familienalbum brauche. Außerdem möchte ich mich heute Abend bei Tatjana für die wundervolle Überraschung bedanken. Dabei will ich nicht lügen.«
Wendy verstand den Wink mit dem Zaunpfahl. Ihre Wangen leuchteten in schönstem Dunkelrot, als sie sich zu Janine umdrehte.
Die las die stumme Frage in ihren Augen.
»Gib mir zwanzig Minuten«, bat sie und machte sich an die Arbeit.
*
Nach