den kleinen Kreis der Menschen, die mich in all den Jahren nicht nur beruflich, sondern auch privat treu begleitet haben.« Wie so oft in den vergangenen Tagen überfiel sie eine Sentimentalität und Melancholie, die sie nie vermutet hätte.
Hinter der Tür stieß Tatjana die ehemalige Haushälterin der Familie Norden triumphierend in die Seite.
Lenni erschrak und hätte um ein Haar laut aufgeschrien. Tatjana bemerkte es und presste ihr in letzter Sekunde die Hand auf den Mund, sodass nur ein leises Prusten zu hören war.
Andrea Sander reagierte blitzschnell und hustete.
»Sie werden sich doch nicht etwa erkältet haben?«, erkundigte sich Daniel besorgt.
Tatjana und Lenni schickten ein Stoßgebet in den Himmel. Ein paar Minuten später zogen sich die alte Chefin und der neue Chef zur Lagebesprechung ins Chefbüro zurück. Diese Gelegenheit nutzten die beiden zur Flucht.
»Das war ganz schön knapp«, stöhnte Lenni auf dem Flur. »Für solche Aufregungen bin ich definitiv zu alt. Das macht mein Herz nicht mehr mit.«
Tatjana dagegen lachte zufrieden.
»Ach was!«, widersprach sie. »Gerade du bist doch der beste Beweis dafür, dass ein bisschen Wirbel jung hält. Und jetzt los! Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Sonst werden wir bis heute Abend nie und nimmer fertig.«
Das ließ sich Lenni nicht zwei Mal sagen und legte noch einen Zahn zu.
Auf dem Rückweg in den Klinikkiosk hätten die beiden um ein Haar eine Visite überrannt. Die vorwurfsvollen Blicke der Ärzte, Schwestern und Pfleger folgten ihnen. Doch das kümmerte weder Tatjana noch Lenni in diesem Augenblick.
Große Ereignisse warfen nun einmal ihre Schatten voraus.
*
»Hab ich dich endlich gefunden, Süße!« Ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen, betrat Jannis Peters das Krankenzimmer, in dem seine Freundin untergebracht worden war. Er trat an Sarinas Bett und gab ihr einen Kuss. »Wie fühlst du dich?«
»Nicht anders als in den vergangenen Tagen und Wochen auch«, erwiderte sie missmutig mit einem Blick auf die Sporttasche, die er mitgebracht hatte. »Hast du meine Sachen alle gefunden?«
»Ich habe deinen halben Kleiderschrank und die ganze Badezimmerausstattung dabei.« Er packte die Tasche mit beiden Händen und stemmte sie wie ein Gewichtheber mehrmals über dem Kopf auf und ab. »Gar keine so schlechte Idee … Falls ich mal keine Geräte zur Hand habe.« Jannis freute sich sichtlich über seine Kreativität.
Sarina konnte nur den Kopf schütteln über ihren sportfanatischen Freund.
»Ich wäre schon froh, überhaupt mal wieder richtig laufen zu können.«
Jannis trat an den Schrank und begann, den Inhalt der Tasche einzuräumen.
»Du hast mir doch erzählt, dass Danny Norden für die Operation ist. Wenn alles gut geht – und das wird es bestimmt –, bist du bis zum Sportcamp wieder fit.«
»Sportcamp!« Sarina verdrehte die Augen. »Hast du nichts anderes im Kopf? Zum Beispiel meine Gesundheit?«
Jannis legte einen Trainingsanzug, Socken und Unterwäsche in den Schrank.
»In den letzten Wochen geht es immer nur darum!« Plötzlich klang er ärgerlich. »Es wird Zeit, dass endlich was passiert. Du hättest dich schon längst operieren lassen können. Ich habe diese Aufschieberei wirklich langsam satt.«
Diesen Vorwurf hatte Sarina schon mehr als einmal gehört und ignorierte ihn gekonnt.
»Ehrlich gesagt gefällt mir die Idee von Dr. Weigand viel besser«, murmelte sie versonnnen vor sich hin. »Ein paar Spritzen in den Rücken, und alles ist wieder gut.«
»Ach!« Jannis fuhr herum. Er machte gar nicht erst den Versuch, seine Eifersucht zu verbergen. »Gefällt er dir etwa? Sieht er gut aus?«
»Sei nicht albern!«, funkelte Sarina zurück. Allmählich verlor sie die Geduld mit ihrem Freund.
Im ersten Moment hatte Jannis eine scharfe Antwort auf den Lippen. Zum Glück besann er sich eines Besseren. Er kam ans Bett und küsste Sarina.
»Tut mir leid«, seufzte er und stupste ihr mit dem Zeigefinger auf die Nase. »Ich würde mir einfach wünschen, mal wieder was mit dir zu unternehmen. Fitness, Joggen gehen, Radfahren … Irgendwas. Du warst das erste Mädel, das mit mir mithalten konnte. Das war so schön.«
»Das wünsche ich mir doch auch.« Sie griff nach seinen Händen und drückte sie an ihre Wangen. Ihr Blick suchte den seinen. »Wir haben noch so viel vor.«
In diesem Moment traf Jannis eine Entscheidung.
»Deshalb rufst du jetzt Danny Norden an! Der weiß bestimmt, welcher Weg der beste ist.« Er streckte den Arm nach dem Handy auf dem Nachttisch aus und reichte es seiner Freundin. »Und wenn er bei der Operation bleibt, bringst du es so schnell wie möglich hinter dich. Dann ist bald alles wieder wie früher.«
Sarina zögerte. Dann nahm sie ihm das Mobiltelefon aus der Hand und wählte Danny Nordens Handynummer.
*
Der Verwaltungschef der Behnisch-Klinik saß an seinem Schreibtisch, als es klopfte. Irritiert sah er auf die Uhr. Er war erst einer halben Stunde mit der scheidenden Klinikchefin Dr. Jenny Behnisch verabredet. Vorher erwartete er keinen Besuch. Wer mochte das also sein?
Die Frage beantwortete sich von selbst, als Dr. Lammers hereinkam.
»Volker!«, begrüßte Dieter seinen alten Freund lächelnd. Die beiden hatten sich vor vielen Jahren bei einem Segeltörn kennengelernt, eine angenehme Zeit miteinander verbracht und sich schließlich wieder aus den Augen verloren. Der Zufall wollte es, dass sie sich an der Behnisch-Klinik wiedergetroffen hatten. Schnell stellten die beiden Männer fest, dass sie in erster Linie ihre Unbeliebtheit bei den Kollegen verband. Ab und zu trafen sie sich in dem einen oder anderen Büro, um über die mangelnde Wertschätzung der Kollegen zu lästern. Das geschah aber immer abends nach Dienstschluss bei einem oder zwei Gläsern Hochprozentigem. So war es mehr als verwunderlich, den Stellvertreter der Pädiatrie bei Tageslicht und noch dazu an einem besonderen Tag wie diesem in seinem Büro anzutreffen. »Was treibt dich um diese Uhrzeit hierher?«
»Hast du kurz Zeit?« Lammers wirkte nervös.
»Eine halbe Stunde. Dann will deine Ex-Chefin noch ein paar Dinge mit mir besprechen. Sie kann es einfach nicht lassen.« Verständnislos schüttelte Dieter den Kopf. »Pflichtbewusst bis zur letzten Sekunde.« Er sah Lammers dabei zu, wie er sorgfältig die Tür hinter sich schloss, an den Schreibtisch trat und auf dem Stuhl davor Platz nahm.
»Nicht mehr lange und wir sind diesen Quälgeist los.«
Dieter Fuchs wiegte den Kopf.
»Ich fürchte, dieser Norden ist mindestens vom gleichen Kaliber. Wenn nicht noch schlimmer.«
Volkers Augen blitzten auf.
»Wir scheinen uns wieder mal einig zu sein«, bemerkte er zufrieden. »In diesem Fall wird dich meine Neuigkeit besonders interessieren.«
Neugierig beugte sich der Verwaltungsdirektor nach vorn. Dass Dr. Norden die Nachfolge von Jenny Behnisch antrat, passte ihm ganz und gar nicht. Er hatte auf einen nüchternen Pragmatiker wie Volker Lammers gehofft, der kein überflüssiges Theater um seine Patienten machte. Nicht auf einen Idealisten und Menschenfreund, wie dieser Norden einer war.
»Ich bin gespannt.« Er ließ Lammers nicht aus den Augen.
Dieser genoss dieses Spiel sichtlich. Ausgiebig betrachtete er seine sorgfältig gefeilten Fingernägel, ehe er antwortete.
»Ich habe neulich zufällig einen alten Freund getroffen. Sagt dir der Name Karl Schmiedle etwas?«
Über diese Frage musste Fuchs nicht lange nachdenken.
»Einer unserer Stadträte.«
»Ganz