sie in ihrem Heißhunger geschlagen hatten. Einmal angefangen, hatten sie einfach nicht aufhören können.
»Und Danny schon gar nicht überreichen«, jammerte Wendy. »Wie konnte das nur geschehen?«
Über diese Frage dachten beide nach, während sie hektisch die Spuren ihres mittäglichen Gelages beseitigten. Zum Glück hatte Tatjana die Torte in einer Haube geliefert, sodass sie das Corpus Delicti einfach verschwinden lassen konnten. Mit dem schlechten Gewissen war das nicht so einfach.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Janine, nachdem die verräterischen Teller gespült waren und wieder an ihrem Platz im Schrank standen.
Wendy hatte die Zeit genutzt, um über eine Lösung nachzudenken.
»Wir kaufen eine neue Torte im ›Schöne Aussichten‹. Die Figuren können wir ja von der anderen nehmen. Die sind fast alle noch da.«
»Prinzregententorte macht Tatjana nur auf Bestellung«, erwiderte Janine deprimiert. Auf diese Idee war sie auch schon gekommen, hatte sie aber wieder verworfen.
»Dann holen wir sie eben woanders. Danny ist ein Mann. Der merkt das eh nicht«, antwortete die langjährige Assistentin der Praxis Dr. Norden kurzerhand.
Janine dagegen war skeptisch.
»Bist du sicher?«
»Hast du eine bessere Idee?«
Janine zuckte mit den Schultern.
»Wir könnten die Wahrheit sagen«, machte sie einen vorsichtigen Vorschlag, den Wendy mit einem Schnauben ablehnte.
»Ausgeschlossen. Wie stehen wir denn dann da?«
»So, wie wir sind.« Janine ging hart mit sich ins Gericht. »Zwei verfressene, ungezügelte Weibsbilder, die sich nicht im Griff haben.«
Dieses gnadenlose Urteil wollte Wendy so nicht stehen lassen.
»Das war ein Notfall. Wir hatten Hunger!«
»Wir haben Brötchen!« Janine deutete auf die Tüte, die noch immer unangetastet in der Ecke auf der Arbeitsplatte stand.
Wendy suchte nach einer Antwort, fand aber keine. So verließ sie kurzerhand die Küche und kehrte an den Tresen zurück. In weniger als zwanzig Minuten würde die Nachmittagssprechstunde beginnen. Danny musste in den nächsten Augenblicken zurückkommen. Sie setzte sich an den Schreibtisch. Janine folgte ihrer Freundin und Kollegin und sah sie fragend an.
Allein dieser Blick war eine Herausforderung für Wendy.
»Was denn?«, fauchte sie. »Kein normaler Mensch kann Tatjanas Kunstwerken widerstehen. Das hast du ja selbst zu Genüge bewiesen. Und jetzt fährst du los und kaufst eine neue Torte. Ich denke mir inzwischen eine Geschichte für Danny aus.«
Janine fiel von einer Ohnmacht in die nächste.
»Du willst den Chef anlügen?«
»Natürlich nicht. Nur die Wahrheit ein bisschen aufhübschen.« Wendy zwinkerte ihr zu. »Und jetzt raus mit dir! Sonst ist es zu spät und wir müssen die Karten auf den Tisch legen.«
*
Anders als erwartet, war Danny Norden mitnichten auf dem Weg in die Praxis. Nachdem er den Notfall versorgt hatte, erreichte ihn der Anruf von Sarina Staller. Gleich im Anschluss war er in die Klinik gefahren, um mit seinem Vater zu sprechen. Die Hände in den Hosentaschen versenkt, stapfte er zornig vor Daniels Schreibtisch auf und ab.
»Frau Staller ist völlig verunsichert. Wie kommt Matthias dazu, ihr zu erzählen, dass ich ihr eine völlig unnötige Operation empfohlen habe?«
»So hat er das nicht formuliert.« Daniel konnte nicht anders, als Dr. Weigand in Schutz zu nehmen.
Danny hielt vor seinem Schreibtisch inne und sah ihn an.
»Dad, vor diesem Gespräch hatte ich eine Patientin, die mir vertraut hat. Und jetzt ist Sarina ein Nervenbündel. Dabei war ich froh, sie endlich so weit zu haben, bevor Schlimmeres passiert.«
Um Zeit zu gewinnen, trank Dr. Norden einen Schluck Kaffee.
»Ich verstehe ja deinen Unmut«, versuchte er, das Gemüt seines Sohnes zu kühlen. »Und glaube mir: Niemand hier stellt deine Kompetenz in Frage. Im Übrigen wird sich Sarina beruhigen und die für sie passende Entscheidung treffen.«
Danny dachte kurz nach, dann setzte er seinen rastlosen Marsch fort.
»Sarinas Angst vor einer Operation ist die eine Sache. Es gibt da noch ein anderes Problem.«
Daniel musterte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Du meinst ihren Arbeitgeber?« Daniel hatte noch in seiner Zeit in der Praxis davon gehört.
Danny nickte.
»Nachdem sie in letzter Zeit fast ununterbrochen krank gemeldet ist, scheint er nach einer Möglichkeit zu suchen, sie loszuwerden. Die Firma hat heute in der Praxis angerufen.« Er seufzte. »Es versteht sich von selbst, dass Janine keine Informationen herausgegeben hat.«
Daniel Norden leerte seine Tasse und stellte sie zurück auf den Tisch.
»Das alles konnte Matthias aber nicht wissen.«
»Natürlich nicht.« Danny beendete seine Wanderung endgültig und ließ sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch fallen. »Er hätte respektieren sollen, dass Sarina Staller meine Patientin ist. Wenn er sich an meine Anweisung gehalten hätte, läge sie spätestens morgen im OP und wäre ihre Schmerzen ein für alle Mal los. Genauso wie die Sorge um ihren Arbeitsplatz.« Er schlug ein Bein über das andere und verschränkte die Hände ineinander. »Matthias ist ein hervorragender Arzt, der einfach nur seine Arbeit machen sollte. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Beruhigt es dich, wenn ich dir verspreche, mich höchstselbst darum zu kümmern?«, fragte Dr. Norden senior mit einem Augenzwinkern. Er beugte sich vor. »Wie war denn eigentlich heute früh dein Empfang in der Praxis?«, erkundigte er sich, teils, um seinen Sohn abzulenken, teils, um seine Neugier zu stillen.
Danny legte den Kopf schief und dachte nach.
»Ganz normal.« Erst jetzt fiel ihm wieder Tatjanas Ankündigung vom Morgen ein. »Es war alles wie immer.«
Überrascht lehnte sich Daniel Norden wieder zurück.
»Das wundert mich jetzt schon ein bisschen«, murmelte er. »Ich hatte andere Informationen.«
»Ach ja? Und welche?«
Daniel lächelte geheimnisvoll.
»Das wirst du schon selbst herausfinden müssen.«
*
Während sich Vater und Sohn unterhielten, saß Matthias Weigand am Bett von Sarina Staller.
»Jannis und ich sind erst seit einem Jahr ein Paar.« Sie saß im Bett und ließ den Blick nach draußen schweifen. Der freundliche Morgen hatte sich in einen klaren Tag mit angenehm milden Temperaturen verwandelt. Durch das gekippte Fenster drang das Zwitschern der Vögel. Eine Ahnung von Frühling erfüllte die Luft. »Wir haben uns bei Tough Mudder kennengelernt.«
»Tough Mudder?«, fragte Matthias verständnislos.
»Ein Hindernislauf im Matsch«, erklärte Sarina mit leuchtenden Augen, als gäbe es nichts Schöneres. »Ich bin Achte bei den Frauen geworden. Das fand er richtig cool. Er sagt oft, dass er sich immer ein Mädchen wie mich gewünscht hat. Eine, die mit ihm mithalten kann.« Nach und nach verschwand das Strahlen wieder von ihrem Gesicht. »Aber jetzt kann ich ja schon seit Monaten nichts mehr mitmachen. Ich habe echt Angst, dass ihm bei irgendeinem Event eine andere über den Weg läuft, die ihn beeindruckt.« Sie lehnte sich zurück und starrte missmutig vor sich hin. Plötzlich gab sie sich einen Ruck und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Matthias Weigand. »Ich bin froh, dass Dr. Norden mich hierher in die Klinik geschickt hat. Endlich passiert etwas. Und wenn ich nicht unters Messer muss, geht’s mir gleich noch viel besser.«
»Das