Will Berthold

Lebensborn e.V. - Tatsachenroman


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      Will Berthold

      Lebensborn e.V. - Tatsachenroman

      Saga

      Lebensborn e.V. - TatsachenromanCoverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 1982, 2020 Will Berthold und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726444735

      1. Ebook-Auflage, 2020

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

      – a part of Egmont www.egmont.com

       »Ich ließ zunächst mehr inoffiziell durchblicken, daß jede unverheiratete Frau, die sich allein auf der Welt befindet, aber gern ein Kind will, sich vertrauensvoll an den Lebensborn wenden soll. Die Reichsführung SS wird das Kind adoptieren und für seine Erziehung sorgen. Ich war mir klar, daß dies einen revolutionären Schritt bedeutete . . . Aber Sie können sich vorstellen, daß wir nur wertvolle und rassisch einwandfreie Männer als Begattungshelfer verwenden . . . Man wird sehen, was wir erst aus der Sache machen, wenn der Krieg vorbei ist. Da wird es für jede deutsche Frau Ehrensache werden, wenn sie mit dreißig immer noch kinderlos ist, ihr Kind auf diese Weise zu bekommen. Dann wird sich auch niemand mehr dagegen sträuben, wenn wir die Sache nicht mehr auf freiwilliger Basis machen, sondern gesetzlich erzwingen . . .«

      Heinrich Himmler, Reichsführer der SS, am 9. Mai 1943 zu seinem Leibarzt und späteren Biographen Kersten. (Aus dem Kapitel »Die neue Bigamie« der Kersten-Memoiren.)

      Dieser Roman um mißbrauchte Mütter und verlorene Kinder stützt sich auf genaue Dokumentation durch Akten des Militärtribunals in Nürnberg, durch Aussagen von Lebensborn-Mitgliedern und von Müttern, die mit dem Lebensborn in Berührung gekommen sind, und durch eidesstattliche Erklärungen von Zeugen, die aus persönlichem Augenschein die Rassepolitik des Dritten Reiches kannten.

      1. KAPITEL

      Der Mai füllte die Luft mit Frühling. Am Nachmittag hatte es geregnet. Jetzt hingen die Dampfnebel der warmen, schwellenden Nacht in den Zweigen der Bäume wie weiße Tücher, die sich verfangen hatten. Von den Blättern fielen träge Tropfen. Um die steinernen Kandelaber der schmiedeeisernen Leuchten tanzten die ersten Mücken durch die feuchte Luft.

      Nur Schritte auf dem knirschenden Kies unterbrachen die Stille des Abends. In der Ferne schlug eine Turmuhr an. Doris lehnte sich leicht gegen den Mann. Sie fühlte den Druck seiner Hand auf ihrem Arm. Sie wußte, daß sie seine Hand nach der Trennung noch lange spüren würde: fester als weich und drängender als kühl . . .

      »Klaus«, sagte sie leise, fast bittend.

      Der Mond drehte seine Scheibe aus den Wolken. Das Licht strich über den jungen Fliegeroffizier. Er war hochgewachsen, aber schmal, sehnig, aber nicht kräftig. Seine lederne Gesichtsfarbe paßte nicht zu seinem hellen Blondhaar, so wenig wie sein Alter zu seinem Mund. Klaus Steinbach war 24 Jahre alt, und die Kerben links und rechts der Lippen stammten aus mindestens doppelt so vielen Luftkämpfen.

      »Klaus«, setzte Doris zum zweitenmal an, » . . . dieser Urlaub . . . war er schön?«

      Er blieb stehen. Das Lachen löschte die Falten in seinem Gesicht. Jetzt war er wieder der unbekümmerte Junge, dem die Mädchen in die Augen sahen, während sie an seinen Mund dachten. Der junge Oberleutnant sah besser als gut aus. Aber er wußte es nicht. Er war ein Idealtyp seiner Zeit. Er konnte nichts dafür. Er glaubte an dieses Leben des Jahres 1941, und er lebte in diesem Glauben . . .

      »Warum willst du es hören?«

      »Weil ich es wissen möchte.«

      »Und warum willst du es wissen?«

      »Weil ich es glauben möchte . . .«

      »Ja«, erwiderte er, »es war schön . . . es ist sehr schön.«

      »Und morgen mußt du wieder zurück . . .«, sagte Doris.

      »Ich kann nichts daran ändern«, antwortete er härter, als er wollte.

      »Du kommst wieder . . .«, entgegnete das Mädchen mit banger Sicherheit.

      »Zu dir«, erwiderte er.

      »Zu uns«, sagte sie. Doris hatte lange, schmale Hände. Manchmal dachte Klaus, daß sie das Schönste an ihr seien. Aber sie hatte auch lange, schlanke Beine. Und am Ende solcher Betrachtungen fand er immer alles gleich schön an ihr: die fast unnatürlich großen Blauaugen, die sich verdunkeln konnten wie der Himmel. Die unnatürlich kleinen Ohren, die in ihren Wuschelhaaren steckten wie Ornamente. Der Mund, der gleichzeitig lächelte und grübelte. Nur vor ihrer Stirn empfand Klaus Scheu. Sie war hoch und streng. Es war die Stirne eines Mädchens und einer Frau zugleich. In seinen Gedanken wenigstens oder bestimmt in seinen Träumen.

      »Was denkst du?« fragte Doris.

      Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, strich ihm mit flüchtiger Hand das Haar zurecht.

      Er straffte sich, wie immer, wenn sie ihn berührte. Aus Wilder Erwartung, wie aus verhaltener Scheu. Aber Doris merkte es nicht. Klaus sah in ihre Augen. Sie verschwammen vor ihm mit dem Dunkelblau, das die Nacht trug. Das unwirkliche Licht des Mondes versilberte den goldenen Flaum auf ihrer Stirne unter dem Haaransatz. Er mußte an sich halten, um sie nicht in seine Arme zu reißen.

      »Was hast du?« fragte sie weich.

      »Nichts«, versetzte er gepreßt.

      Sechzehn Tage, dachte der junge Offizier, und kein Tag, kaum eine Stunde ohne Doris. Sie hatten zusammen Tennis gespielt. Sie waren an den Fluß gefahren. Sie saßen im Kino nebeneinander. Und sie besuchten sich gegenseitig bei den Eltern. Sie gingen über ihre Gefühle wie über Brücken, die zum gleichen Ufer führten.

      Und doch blieb ein Rest. Er spürte diesen Rest, wenn er Doris küßte. Er küßte sie nie anders, wie er es das erstemal als Primaner getan hatte. Es war stets, als ob die Wilde Welle, die über ihm zusammenschlug, an einer gläsernen Wand aufliefe. Aber Oberleutnant Steinbach war kein Primaner mehr. Verdammt, er wollte kein Porzellan zerschlagen. Aber er wollte diese Glaswand zertrümmern. Sooft er Doris an sich zog, fühlte er ihr sanftes Ausweichen.

      Schon zu Beginn des Urlaubs. Aber heute war das Ende. Die Zeit ließ sich nicht stoppen. In diesem Moment hörte der junge Offizier im stillen Stadtpark das Dröhnen der Motoren, das Belfern der Bordkanonen, das Krachen der Bomben, das Heulen des Sturzflugs . . .

      Sie gingen weiter. Einen Moment war Klaus eifersüchtig auf die Dunkelheit, die sich um den schlanken Körper des Mädchens legte. Der Kies zerbrach unter seinen Stiefeln. Seine Hände wurden heiß. Er suchte nach Worten und fand sie nicht.

      »Ist etwas . . . mit uns?« fragte Doris.

      »Nein«, antwortete er rauh.

      Sie hakte sich bei ihm ein. Die Schwüle der Nacht hatte für sie keinen Doppelsinn. Plötzlich lachte sie leise.

      »Weißt du noch«, fragte sie, während sie mit dem Arm auf den kleinen Platz neben dem Parkweg deutete. Das Brett einer Kinderwippe lag im Mondlicht. Sie hatten den Spielplatz des Parks erreicht, » . . . wie mir der Junge die Sandformen wegnehmen wollte . . . und du ihn dafür verprügelt hast?«

      »Ja . . . ich glaube . . .«, entgegnete der Oberleutnant zerstreut. Dann brummelte er: »Wir können doch nicht immer im Sandkasten spielen . . .«

      »Eigentlich schade«, versetzte Doris lachend. Dann erst bemerkte sie seinen Trotz. Seine Augen wandten sich vom Spielplatz ab. Er starrte verbissen geradeaus. Das Mädchen betrachtete ihn von der Seite. Klaus, dachte sie: mit sechs sah er nur mein Spielzeug, mit acht meine Zöpfe, mit zwölf meinen Nacken, mit vierzehn sah er an mir vorbei, mit sechzehn sah er mir nach, und dann begegneten sich unsere Augen allmählich, und dann immer häufiger, um einander nicht wieder loszulassen.

      Sie hatten das Ende des