rasch endete, Klaus mit seltsam drängenden, ziehenden Schritten.
»Du«, sagte er heiser, »kommst du . . . ich meine . . . trinken wir bei uns noch . . . etwas?«
Die Befangenheit schnitt ihm den Faden ab. Er kam sich wie ertappt vor.
Doris erwiderte schlicht:
»Gern, Klaus.«
Plötzlich begann der Ball in seiner Brust zu springen. Er redete ohne Pause. Er kürzte den Weg mit Belanglosigkeit ab. Er hatte Angst, die Freundin könnte es sich anders überlegen. Aber sie dachte nicht daran. Sie verstand so wenig von ihm wie er von ihr. Und darum betrachteten sie beide ihre Gefühle wie ein unbegreifliches Wunder . . .
Im Hause brannte kein Licht mehr. Er ging voraus. Er dämpfte unwillkürlich seinen Schritt. Doris merkte es und wunderte sich. Heimlichkeiten waren ihr peinlich. Sie gingen über den dicken Läufer, erreichten das Zimmer, das Klaus schon als Junge bewohnt hatte, ganz oben, im Dachgeschoß.
Doris besuchte ihn nicht zum erstenmal. Langsam zog er die Tür hinter sich zu. Der junge Offizier stand ein paar Sekunden als ob er Wurzeln schlagen wollte. Er starrte das Mädchen an, betrachtete ihre Lippen, die halb kindlich, halb geöffnet waren. Sein Blick strich über den gelben Flaum auf ihren nackten Armen, die sich plötzlich wie von selbst verschränkten. Er tastete sich weiter zu dem viereckigen Ausschnitt ihres leichten Sommerkleides. Doris betrachtete ihn immer noch verwundert. Er wich ihren Augen aus.
»Setz dich doch«, sagte er mit belegter Stimme.
Gleichzeitig legte er den Arm um ihre Schultern und drückte sie auf die Couch. Er stieß mit dem Kopf an, aber er spürte es nicht. Er schmiegte sein Gesicht, seinen Mund an ihren Hals.
Doris schmollte leise. Ihre Hand umklammerte sein Armgelenk. Er rang wortlos um etwas, das sich nicht erzwingen ließ. Als er es merkte, lag er ganz still, beschämt, betroffen, geschlagen.
»Ach, Klaus . . .«, sagte Doris weich. Ihre Finger spielten mit seinen Ohren, seinen Haaren. Aber ihre Augen wanderten an ihm vorbei. Sie waren blau wie ein See im Sommer. Sie waren naß. Trotzdem nahmen sie in diesem Moment jede Einzelheit des Zimmers in sich auf. Dabei kannte Doris alles: den gemusterten Teppich. Den flachen Kacheltisch. Den bunten Aschenbecher, den sie ihm selbst geschenkt hatte. Den bequemen Klubsessel, der früher unten stand, aus dem sie als Kinder immer vertrieben wurden, weil sie mit den Schuhen nicht auf dem Leder herumsteigen sollten. Das Bücherbord, über dem, stilisiert und konserviert, das Hitlerbild hing. Daneben ein abgebrochener Luftschraubenflügel, als Souvenir der ersten Bruchlandung.
In Doris’ Augen saßen Tränen. Sie fürchtete, daß sie sein Zimmer, das für sie ein Stück Heimat bedeutete, unter seinem ungestümen Drängen Verloren hatte.
»Klaus . . .«, sagte sie bittend, während er seinen Kopf an ihrer Schulter versteckte, »versteh mich doch . . . wir wollen uns das doch aufheben . . . später nach dem Krieg . . . er ist ja bald zu Ende . . .«
Der junge Offizier schwieg.
»Es wäre so«, fuhr Doris mit der Stimme eines Kindes fort, »wie es . . . alle machen . . . so billig . . .«
Er richtete sich halb auf, stützte die Hand gegen die Schläfen.
»Morgen gehst du . . . an die Front . . . und am Abend davor . . . müßt ihr mit euren Mädchen . . .« Sie stöhnte leise und drehte den Kopf zur Seite. »Es ist so billig . . .«, wiederholte sie, »es ist wie ein Programm. Und davor habe ich Angst . . .«
»Ja«, entgegnete Klaus hart, »man kann es auch so nennen.« Und nach einer Weile sagte er: »Daß ich vielleicht nicht wiederkomme, daran hast du wohl nicht gedacht . . . und daß ich . . .«
Er brach erschrocken ab, weil ihm die Ungeheuerlichkeit noch rechtzeitig bewußt wurde. Er hatte sagen wollen: Und daß ich ein Recht darauf habe, bevor ich krepiere . . . wenigstens einmal glücklich zu sein . . .
Klaus machte sich von ihr los. Er stand schwerfällig auf. Mit fahriger Bewegung suchte er den Kognak. Er schenkte sich zuerst ein, kippte das randvolle Glas mit einem Zug hinunter.
Jetzt erhob sich auch Doris, strich ihr Kleid glatt. Er brachte sie die Treppe hinunter. Er stand vor ihr, zwischen Zorn und Verlegenheit.
Doris lehnte den Kopf an seine Brust. Er merkte, daß sie zitterte. Sie versuchte, ihn zu küssen. Aber ihre Lippen waren kühl, und sein Mund blieb verschlossen.
»Komm wieder, Klaus . . .«, sagte Doris.
Dann drehte sie sich rasch um und ging hinaus.
Er starrte ihr nach.
Noch ein paarmal schlägt der Propeller der Me 109 pfeifend durch die Luft. Dann reißt das leerlaufende Dröhnen der Maschine ab. Der Motor steht. Die Bordwarte stürzen wie schwarze Termiten über die Jagdmaschine, klettern auf die Flächen, reißen das Kabinendach auf, helfen ihrem Kommodore aus den Gurten. Unteroffiziere, Mannschaften, Offiziere des Jagdgeschwaders wetzen über den E-Hafen in Nordfrankreich, um dem Chef zu gratulieren. Bevor er landete, wackelte er dreimal mit den Tragflächen. Abschuß heißt das . . .
Oberstleutnant Berendsen winkt ab, während er sich aus der Maschine schwingt.
»Gebt mir lieber ’ne Zigarre«, schnarrt er gut gelaunt.
Er betrachtet den blauen Rauch der Brasil, die man immer für ihn bereit hält . . . falls er zurückkommt. Und dann blinzelt er in die Sonne, von der er eben auf eine Spitfire herabstieß.
»Alsdann«, sagt er und tippt lässig an die Mütze.
Seine Männer bilden eine Gasse. Er geht langsam über den Platz, im Knochensack. Er ist kleiner als seine jungen Leutnants. Sein Gesicht wirkt breit und bullig, mit einem Unterkiefer wie aus Nußbaumholz. Er ist ein Offizier nach dem Geschmack seiner Männer. Er sitzt lieber in der Kiste als am Schreibtisch, er trinkt lieber Schnaps als Wein, und er küßt lieber Schwarz als Blond. Sein Leben ist verdammt einfach: ein Draufgänger in der Luft, ein Haudegen im Suff. Sein bescheidenes Rezept lautet: fliegen, schießen, sterben und sterben lassen. Der Krieg ist ihm gleichgültig, aber Luftkämpfe interessieren ihn . . .
Das Donnern der Geschwadermaschinen, die nach ihm einfliegen, verebbt hinter ihm im Korridor der Horstkommandantur. Oberstleutnant Berendsen öffnet die Türe seines Zimmers mit einem Fußtritt gegen die Klinke, wie immer.
Der Adjutant, Hauptmann Albrecht, nimmt Haltung an.
»Nu, wie sieht’s aus?« schmettert Berendsen.
Der Adjutant hat die Unterschriftenmappe schon griffbereit.
»Nein, nein . . . lassen Sie mich doch mit dem Papierkrieg in Frieden . . . Was ist mit der zweiten Staffel?«
Hauptmann Albrecht betrachtet die Schreibtischplatte. Im Rahmen der psychologischen Behandlung seines Kommodore hätte er das lieber an den Schluß seines Berichts gesetzt. Er beginnt, die Pille zu versüßen:
»Hauptmann Wernecke hat zwei schöne Abschüsse gemeldet . . .«
»Na, großartig!«
Jetzt fährt der Adjutant trübsinnig fort:
»Aber Leutnant von Bernheim wurde leider abgeschossen.«
»So . . .«
»Oberfeldwebel Rissmann bei Bruchlandung schwer verletzt . . .«
»Auch das noch . . .«
Der Chef tigert in seinem Büro auf und ab, wie immer, wenn sich bei diesen Hiobsbotschaften seine Vorstellung vom fröhlichen Jägerleben trübt. Der Krieg wird ihm erst noch das Fürchten beibringen. Jetzt im Jahre 1941 ist für ihn der Heldentod nur Ungeschicklichkeit.
»Ist das alles?« knurrt er.
»Vorläufig«, erwidert der Adjutant vorsichtig. »Die Meldung der dritten Staffel steht noch aus . . .«
Oberstleutnant Berendsen deutet unvermittelt auf die Unterschriftenmappe.
»Na, zeigen Sie schon her . . .«
Der