verteilen. Ich werde Klaus näher sein. Ich bin ihm diese Meldung schuldig, dachte sie . . .
Der Werber zählte noch einmal die Hände. Dann stellte er die Geburtstagsliste zusammen. Die Mädchen mußten einzeln vortreten und sich eintragen. Die Falle schnappte zu . . .
Lautlos zunächst. Es ging wie am Fließband. Während der Offizier seine Rede gehalten hatte, bauten seine bis dahin unsichtbaren Helfer in den drei angrenzenden Barackenräumen Schreibtische und Geräte auf.
Wenn die Arbeitsmaiden am Podium ihre Namen nannten, wurden sie in den Nebenraum geschleust. Doris sah auf dem Aktendeckel die Aufschrift ›Lebensborn‹. Es sagte ihr nichts.
Dann standen zwei Ärzte im weißen Kittel vor ihr. Unter den Mänteln starrten die Militärstiefel hervor, aus den Kragen die SS-Runen. Es kamen jeweils fünf Mädchen in den ersten Raum.
»Schöner Gabentisch«, sagte Erika leise zu Doris und deutete auf die ärztlichen Instrumente.
Die Ärzte hantierten wortlos. Vor den Augen der Mädchen tanzten Meßgeräte. Zirkel wurden an die Hinterköpfe gesetzt. Seltsame Holzleisten gegen die Stirn gepreßt. Die Männer in den weißen Kitteln murmelten Zahlen, die sie von ihren Geräten ablasen, warfen sie ihren Schreibern zu wie ein Kammerbulle den Rekruten zu kurz geratene Uniformstücke.
Doris versuchte, den Ärzten in die Augen zu sehen. Aber sie begegnete nur ausdruckslosen Blicken, die wohl ihren Kopf, aber nicht das Gesicht zur Kenntnis nahmen. Nur den Schädel. Er wurde betastet wie eine Ware. Minutenlang.
»Nordisch«, konstatierte einer der Ärzte befriedigt.
»Guter Kopf«, erwiderte der andere, »ideale Form.« Er sagte es nicht zu Doris, sondern zu seinem Kollegen, als spräche er nicht über ein Mädchen, sondern über einen Gaul beim Roßmarkt.
»Da hinaus«, sagte der Schreiber.
Doris und Erika betraten den nächsten Raum.
Die kesse Berlinerin flüsterte:
»Wußte gar nicht, daß bei der SS lauter Spezialisten für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten sind.«
»Schädelmessung haben wir in der Schule auch schon gehabt«, entgegnete Doris tapfer.
Jetzt waren Ärztinnen da. Die Mädchen mußten sich ausziehen. Die Untersuchung war gründlich und dauerte lange.
Schließlich standen sie alle wieder angekleidet auf dem Flur, Dann wurden mehr als die Hälfte abberufen. Sie waren geprüft und für tauglich erklärt worden. Lotte keuchte:
»Gott sei Dank, sie haben mich doch genommen!«
Es blieben noch 14 Mädchen übrig, die die Kommission für würdig befunden hatte, im Namen der deutschen Frau dem Führer ein Opfer zu bringen. Sie sahen einander ratlos an. Sie konnten nicht ahnen, was ihnen bevorstehen sollte.
»Donnerwetter«, sagte Erika auf einmal. Ihr Blick ging schnell von einer Kameradin zur anderen. »Blondinen bevorzugt, wie?« stieß sie hervor. »Alle blond . . . alle blaue Augen . . . alle groß?«
Die Arbeitsmaiden starrten sich an. Sie erschraken auf Kommando wie junge Katzen, die sich erstmals im Spiegel begegnen.
»So ein Zufall.« Lotte lächelte hohl.
»Bei mir schon«, grinste Erika, »mein Alter hat ’ne Glatze, meine Mutter ist fuchsrot, und meine Brüder sind pechschwarz . . . Glück muß der Mensch haben . . . und blond muß er sein!« Die anderen Maiden schwiegen betreten.
Der SS-Führer erschien wieder.
»Sie können sich gratulieren«, trompetete er, »Sie sind angenommen ., . wir bleiben in Verbindung.«
Die Kommission fuhr wieder ab. Die Mädchen gingen zurück auf ihre Stuben. Am ersten Tag nach der Untersuchung rätselten sie noch. Am zweiten gaben sie es auf. Am dritten hatten sie es vergessen. Am vierten schrubbten sie wieder Böden, putzten wieder Bohnen und hackten wieder Kartoffeln. Sie lernten, wie man RAD-Führerin wird, und was es heißt, junge Mädchen bei sinnloser Arbeit sinnvoll zu kommandieren.
Acht Tage später stürzte Erika zu Lotte und Doris atemlos in die Stube.
»Die haben uns ’reingelegt!« schrie sie außer Fassung. Sie sah die stets beleidigte Lotte und stieß sie an. »Weißt du, was du unserem Führer schenken sollst, du Schneegans?« Ihre Stimme überschlug sich. »Ein Kind sollst du ihm schenken.«
Doris betrachtete die Stubenkameradin wie eine Verrückte.
»Ihr glaubt’s wohl nicht?« zischte Erika. »Ich hab’s selbst gelesen . . . in der Schreibstube.«
Doris schüttelte den Kopf.
»Wir kommen alle in ein Heim«, rief Erika . . . »Die Männer sind auch schon bestellt . . . und dann«, ihre Stimme wurde wieder überlaut und häßlich. »Und dann, na . . . gute Nacht! Viel Vergnügen . . . Bruthennen seid ihr, weiter nichts.«
»Halt den Mund!« fuhr Lotte sie an.
»Das gibt es nicht«, erwiderte Doris leise. Sie hatte recht. Nur wußte sie noch nicht, daß man recht haben und trotzdem irren kann . . .
Sie wischte die Gedanken aus ihrem Bewußtsein. Das war dummes Geschwätz der Miesmacher.
Am nächsten Tag erschien SS-Sturmbannführer Heinz Westroff-Meyer auf der RAD-Schule und versammelte die ausgewählten vierzehn Maiden, alle blond, alle blauäugig, alle übereinssiebzig groß, um sich.
Die Auserwählten saßen in einer Reihe wie verängstigte Hühner nach einem Gewitter. Sie teilten den Blick zwischen dem Barackenboden und dem Sturmbannführer Westroff-Meyer. Sie trugen grobe Röcke in der häßlichsten Farbe, die es gibt, und dazu weiße Blusen, aus denen sich wie hilflos die gebräunten Arme schälten. Die Zeit schrieb ihnen vor, Schuhe mit flachen Absätzen zu tragen und Lieder mit platten Texten zu singen. Vorne, am rechten Flügel: Lotte, gläubig, beinahe verzückt; daneben Doris, ängstlich, beinahe entsetzt; hinter ihr Erika, belustigt, beinahe verächtlich. Dann das Rudel der anderen elf Mädchen, alle blond, alle groß, alle blauäugig, alle jung, alle idealistisch, alle dazu ausersehen, zwischen die Mühlsteine des Systems zu geraten.
»Kameradinnen«, begann der Sturmbannführer, »ich komme aus Berlin . . . ich soll euch den persönlichen Dank des Führers für euer einmaliges Opfer übermitteln.«
Ihr Stolz kämpfte mit ihrer Unruhe. Sie horchten und hofften, freudebang, doch ahnungsschwer.
»Die Stunde der Bewährung ist gekommen. Ihr fahrt morgen in den Einsatz. Ich will versuchen, ihn euch zu erklären . . .«
Seine dunkelbehaarte Hand, die an einem seltsam dünnen rosa Gelenk hing, bewegte sich unruhig am Lederkoppel.
»Die arische Rasse verblutet in einem Schicksalskampf gegen den bolschewistischen Untermenschen. Wir werden diesen Krieg gewinnen! Aber unter großen Opfern. Es gilt, das Volk und seine Rasse zu erhalten . . .!«
Der Sturmbannführer brach ab. Sein Blick zielte nach den Augen der Mädchen, schnell und durchdringend. Die roten Schmisse in seinem Gesicht zuckten. Sein Karpfenmaul wurde zum Torpedorohr. Seine Lippen katapultierten die Maiden, die wie hypnotisiert auf ihren Schemeln saßen.
»Ihr werdet ab morgen an einem Sonderlehrgang teilnehmen. Ihr werdet auf Männer stoßen, die sich im Kampf bereits bewährt haben und deren rassische Substanz von uns ebenso geprüft wurde wie die eure. Ihr dürft stolz darauf sein, daß ihr zur Elite, zur höchsten Auswahl, die es geben kann, gehört . . .«
Jetzt mußte Westroff-Meyer ins Detail gehen. Er mußte diesen 14 Mädchen das ungeheuerliche Programm mitteilen, das seine Organisation, der Lebensborn, ›durchführen‹ wollte. In diesem Moment war er nicht mehr der dunkelhaarige, olivhäutige Cäsar mit dem hehren, hohlen Pathos, sondern er wirkte ganz schlicht wie eine in die Ecke getriebene Ratte.
Doris schaltete ab. Die rassehygienische Berieselungsanlage tropfte an ihr vorbei. In diesem Moment sah sie Klaus, den Oberleutnant der Luftwaffe, vor sich. Er lächelte ihr