Will Berthold

Lebensborn e.V. - Tatsachenroman


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sich wie Nebel um sie.

      Ihre Hand zitterte, als sie die Unterschrift leistete, mit dem brennenden Vorsatz, nichts zu tun, was ihre Liebe zu dem Fliegeroberleutnant Klaus Steinbach gefährden könnte. Sie schrieb ihren Namen in steilen, spitzen Buchstaben, ohne das Formular genau durchzulesen.

      Bald sollte eine Zeit kommen, zu der sie die verschlüsselten Bedingungen auswendig wußte. Die Klauseln sollten zu Fallstricken ihres Lebens werden, zu festen Fesseln.

      3. KAPITEL

      Das riesige Haus, in dem sich die turbulenten Ereignisse der nächsten Wochen abspielen, liegt im Warthegau. Der Lebensborn e. V. hat dem Bau eine Zentralheizung aufgezwängt, wie er dem deutschen Volke das blonde Element aufpfropfen will.

      Bis zur nächsten Kleinstadt sind es acht Kilometer. Ursprünglich war das Heim ein Nervensanatorium. Es ist umgeben von gemähten Feldern. Aus den Bäumen hinter dem Garten rieselt das dürre Laub. Es ist warm. Die sinkende Sonne vergoldet die Dahlienköpfe, die in dicken Rabatten die Kieswege umsäumen. Die hohen Glastüren zur Terrasse sind geöffnet. Die schwebenden Fäden des Altweibersommers tanzen zu flirrendem Mädchenlachen, zu Gesprächsfetzen, zu kehligen Männerstimmen, zu dem Klirren von Porzellan, zu dem Klappern der Bestecke.

      Der Speisesaal ist im Erdgeschoß untergebracht. Sturmbannführer Westroff-Meyer sitzt mitten unter seinen Gästen, die Arme lässig auf die Tafel gestützt, so, als ob er sich selbst nur gewaltsam daran hindern könnte, die Hände in Zufriedenheit zu reiben. Sein Gesicht drückt stereotypes Wohlwollen aus. Sein Mund bewegt sich in munter-harmlosem Gespräch. Über seine Schultern werfen die ölgemalten Augen des Führers einen heroischen Blick auf die gewaltige Kaffee-Tafel. In dieser Umgebung wirkt Hitler, als ob er Hunger hätte . . .

      Der Heimleiter hat die erste Begegnung seiner Lebensborn-Kandidaten organisiert. Um die Peinlichkeit zu vermeiden, arrangierte er diese Kaffeestunde für etwa 50 Teilnehmer in Blond. Kuchenschlacht heißt der Brauch, den der Nationalsozialismus zu seiner Gesellschaftsform erhob. Vom Pimpfen bis zum Amtswalter, von der NSV bis zur Arbeitsfront ist sie das gängige Mittel, um Kameradschaft und NS-Kultur, Lebensfreude und Freßsucht, Sportgeist und Gemütlichkeit zu pflegen. In diesem Falle soll aus Bergen von Streuselkuchen sogar die staatlich geförderte Liebe sprießen.

      Bunte Reihe am hufeisenförmigen Tisch. Die Mädchen zum Teil in Zivil. Die Männer ausnahmslos in Uniform. Das Gros stellt die SS. Und der Lebensborn hat tatsächlich auch hier eine strenge Auswahl getroffen . . . so fehlen eigentlich die Schlägertypen der Totenkopfverbände. An ihre Stelle kommandierte man die Soldaten von der Front als Teilnehmer dieser seltsamen Tagung. Fast sieht es so aus, als ob das EK I das niedrigste Eintrittsgeld sei.

      Die Dienstgrade reichen vom Uscha bis zum Hauptsturmführer. Die Schulterstücke rangieren hinter der Schädelform. In einer Ecke sitzen zwei Heeresoffiziere. Drei Stühle sind noch frei, reserviert für geladene Gäste der Luftwaffe. Die schnellste Waffengattung der Wehrmacht hat sich, wie üblich, verspätet.

      Doris sitzt in der Mitte. Zuerst wagt sie es kaum, sich umzusehen. Ihre Hände sind feucht und zittern. Der Kaffee schmeckt bitter, der Kuchen nach Sacharin. Ihre weiße RAD-Ausgehbluse trägt sie wie ein Opferhemd.

      »Wir beginnen mit dem offiziellen Teil erst, wenn wir vollzählig sind«, sagt Westroff-Meyer. Er sitzt vierschrötig in einem Armstuhl, schon optisch ein allmächtiger Kuchenpräsident.

      Der Mann, der rechts von Doris sitzt, trägt die Uniform eines Hauptsturmführers. Sein Selbstbewußtsein ist ein Meter 88 groß. Auf der linken Seite seines Waffenrockes hat er fast alles, was der Krieg an Auszeichnungen bietet. Er heißt Horst Kempe und wirkt im Gespräch fast verlegen. Er fühlt sich zunächst nicht ganz wohl am Platz.

      Vor drei Tagen führte er noch eine Kompanie Sturmpioniere gegen die Russen. Man holte ihn weg. Er trug es mit dem Fatalismus des Frontoffiziers, dem alles recht ist, außer Zigarettenmangel. Er wäre lieber bei seinen Männern geblieben. Als er erfuhr, warum man ihn abberufen hatte, fluchte er zuerst, und dann grinste er. Er ist ein Typ, der immer vorne steht, an der Front sowohl wie im Wirtshaus, der beim Skat am höchsten reizt und am Schießplatz am kürzesten zielt.

      Er beugt sich nach links, betrachtet die Tischkarte, die vor Doris liegt.

      »Doris«, sagt er, »hübscher Name.«

      Sie zuckt die Schultern.

      »Biste schüchtern?« berlinert Kempe.

      »Mitunter.«

      »Komischer Laden hier, was?« versetzt der Hauptsturmführer grinsend.

      Doris nickt. Er betrachtet sie von der Seite. Sie gefällt ihm. Sie gefällt allen. Kempe kämpft gegen seine Empfindungen wie gegen Partisanen. Er möchte etwas Nettes sagen, sucht nach Worten, runzelt die Stirn, zerquetscht den Fluch zwischen den Zähnen, denkt an seine Einheit und stäubt sich Puderzucker von der Uniformjacke.

      Er berührt ihre Hand wie aus Versehen.

      Doris zuckt zusammen wie unter einem Stromstoß.

      »Entschuldigen Sie«, sagt der Hauptsturmführer unbeholfen.

      Er wendet sich nach rechts, an Lotte. Sie trägt ihr Feiertagsgesicht. In den letzten zwei Tagen, seit sie weiß, für welchen Zweck sie ausgewählt ist, ging mit der RAD-Jungführerin eine Verwandlung vor. Ihr durchschnittliches Mausgesicht wirkt auf einmal fast hübsch. Die dicken Zöpfe ihrer Gretchenfrisur hat sie in einem Kranz um den Kopf gewunden. Sie trägt ihn wie eine Krone.

      »Sie kommen von der Front?« sagt sie zu Kempe.

      »Ja«, erwidert der Hauptsturmführer zerstreut.

      Sie deutet auf sein EK I.

      »Für was haben Sie das bekommen?« fragt sie.

      »Weeß nich . . .«, brummt er, »ick war der einzige Offizier des Bataillons, der es noch nich hatte.«

      Lotte betrachtet ihn betroffen.

      »Aber das muß man sich doch verdienen.«

      »Sicher«, antwortet Kempe. Er grinst gutmütig. »Wissen Se«, setzt er hinzu, »da vorn is es janz einfach . . . entweder man krepiert, dann braucht man keenen Orden. Oder man wird verwundet, dann bekommste ihn beim nächstenmal. Oder man lebt noch, dann kriegt man ihn . . . « Er lacht lautlos. »Und daß ick noch lebe, daran zweifeln Se doch wohl nich?«

      »Ja . . . aber . . .?« stottert Lotte.

      »Keen aber«, erwidert er. » . . . Noch’n Stück Kuchen?«

      »Nein, danke. . . . Ein EK I ist doch die Ehrung für eine Tat?«

      »Sicher«, versetzt der Hauptsturmführer mit Freude an der Ironie. »Aber Taten vollbringen wir doch alle – oder?«

      Sturmbannführer Westroff-Meyer sieht ärgerlich auf seine Armbanduhr. Im gleichen Moment baut sich eine Ordonnanz vor ihm auf, steht stramm und meldet ihm etwas.

      »Führen Sie die Herren gleich herein«, schnarrt der Heimleiter.

      Niemand achtet auf den Zwischenfall. Nach der zweiten Tasse Kaffee ist die erste Verwirrung etwas aufgetaut. Das Gespräch plätschert jetzt. Ganz alltäglich. Vom Lebensborn wird nicht gesprochen . . .

      Doris sieht auf. Ihr abwesender Blick streift die Tür, durch die drei Luftwaffenoffiziere kommen. Luftwaffe auch, denkt sie und betrachtet den Hauptmann, der in den Raum tritt und mit lässiger Ehrenbezeigung stehenbleibt, gefolgt von einem jungen Leutnant, der ungeniert die anwesenden Mädchen mustert, bevor er den auf sie zukommenden Sturmbannführer grüßt. Hinter ihm steht ein Oberleutnant, dessen Gesicht noch halb verdeckt ist und der jetzt fast zögernd näherkommt, dessen junge Augen zu der ledernen Haut nicht passen wollen, der fast mürrisch wirkt.

      Er sieht aus wie Klaus, denkt Doris.

      Da schreckt sie zusammen.

      Es ist Klaus Steinbach, der Oberleutnant der Jagdflieger.

      Vor vier Tagen hatte Klaus seinen letzten Luftkampf bestritten. Er war Staffelkapitän