Will Berthold

Lebensborn e.V. - Tatsachenroman


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der darauf brennt, sich für Führer, Volk und Vaterland zu bewähren, tut beides.

      Er unterschreibt die Beitrittserklärung zum Lebensborn.

      Er ahnt nicht, daß er einen Blankoscheck für sein eigen Fleisch und Blut ausstellt . . .

      Die Mädchen schufteten im Trainingsanzug. Sie hatten am Vortag der Besichtigung die Baracken zu scheuern. Sie taten es mit viel Wasser und ebensoviel Hysterie. Die Größe der Zeit machte es erforderlich, daß sie marschierten, schrubbten und sangen. Im gleichen Schritt und Tritt . . .

      Am Abend tobte die Lehrgangsleiterin beim Appell, weil noch ein Müllkübel nicht geleert und ein Führerbild nicht abgestaubt war. Hundert Jungführerinnen des weiblichen Reichsarbeitsdienstes standen vor den Spinden der Führerschule und beeilten sich, in ihren Gesichtern Schuld auszudrücken. Denn sie verwechselten die Angst ihrer Chefin vor der Besichtigung mit eigenem Versagen.

      Unter ihnen war die blonde Doris Korff. Sie kam vor vier Monaten zum RAD. Die ungelüfteten, engen Stuben der Baracke hatten sie den Blumenduft in der weitläufigen Villa ihrer Eltern längst vergessen lassen. Nicht ungern, denn Doris hatte das Leben der väterlichen Wohlhabenheit bereitwillig mit der Stunde der Bewährung vertauscht. Klaus stand an der Front, also hatte sie sich an eine andere Front zu begeben. Das war ihre einfache, gerade Überzeugung. Der Vater hatte vergeblich versucht, sie davon abzubringen. Aber die eigene Mütter bestärkte sie. Mit Stolz in den Augen hatte Frau Direktor Korff auf einem ihrer politischen Tees den Kränzchenfreundinnen mitgeteilt, daß ihre einzige Tochter Doris nun auch dem Vaterlande diene.

      Mit Besenstiel, Unkrauthacke und Kartoffelmesser . . .

      Doris schwang den Besenstiel, als wäre er ein Tanzpartner. Sie trug das grobe, braune Tuch wie eine elegante Abendrobe. Sie jätete so verbissen Unkraut, als gelte es, Deutschlands Feinde auszumerzen. Sie verdarb sich die Hände und verschnitt sich die Frisur. Sie verzichtete auf Parfüm und gewöhnte sich an den Mief. Sie wollte kein Mädchen sein, sondern eine Maid. Für Führer, Klaus und Vaterland . . .

      Nach zwei Monaten schon war ihr Eifer aufgefallen. Nach vier wurde er belohnt. Man ernannte Doris außer der Reihe zur Jungführerin. Dann beorderte man sie auf die Führerschule. Sonderlehrgang. Und morgen sollte die Besichtigung sein. Keineswegs die erste, und noch lange nicht die letzte. Denn die Kommissionen waren an der Barackenordnung . . .

      Erst spät in der Nacht gab sich die Lehrgangsleiterin mit dem Zustand des Lagers für den großen Tag zufrieden.

      »Na, nun bin ich aber mal gespannt, was für nette Onkels uns morgen bekieken werden«, sagte Erika, eine der beiden Stubenkameradinnen von Doris, und verschränkte dabei die Arme über dem karierten Kopfkissen.

      Lotte, die andere, lag still und steif in ihrem Bett.

      »Ich bin müde«, sagte Doris, »nun macht endlich das Licht aus.«

      »Immer so ’n Theater«, brummelte Erika, »muß das ganze Lager kopfstehen, bloß weil da ein paar Heinis kommen. Und was wolln sie besichtigen? Nichts anderes als unsere Beine . . . Ist doch jedesmal dasselbe.«

      Lotte setzte sich steil in ihr Bett. Sie trug die Gretchenfrisur zur Nacht aufgesteckt, als hätten die alten Germanen die Haarnadeln erfunden.

      »Ich verbitte mir das!« schrie sie ihre beiden Stubengenossinnen an, »daß ihr so . . . so gemein über unsere Führer sprecht . . .«

      Die Besichtigung am änderen Tag verlief ungefähr so, wie es Erika vorausgesagt hatte. Ungefähr.

      Dieses Mädchen bewies überhaupt einen Sinn fürs Praktische. Erika war nicht aus Begeisterung zum RAD gegangen, sondern aus Mangel an Begeisterungsfähigkeit. Sie hielt die Uniform für angenehmer als die Rüstung, und für das, was sie ihre Freiheit nannte, nahm sie zeitweiligen Zwang gern in Kauf. Zur Führerinnenlaufbahn hatte sie sich gemeldet, weil die Luft oben gesünder war als unten. Ihren Spind stattete sie mit Männerfotos aus, und in ihrer Freizeit verschickte sie Grüße, daß es ihr gut ginge.

      Erst im Gemeinschaftsraum merkten die Mädchen, daß diesmal die Besichtigung von einem SS-Führer geleitet wurde. Die Stühle und Mädchen standen still, als ihm die Lehrgangsleiterin meldete.

      Der SS-Offizier dankte mehr als herzlich. Dann wandte er sich dem hakenkreuzverhängten Podium zu, neben dem ganzjährig die gleichen Grünpflanzen standen, wie sie gern in Metzgerauslagen ausgestellt werden.

      »Schnieker Bursche«, sagte Erika und spitzte die fülligen Lippen.

      »Kameradinnen«, rief der SS-Führer in den Saal.

      Lotte hielt den Kopf fast andächtig schief. Auf ihrem Mausgesicht erschienen hellrote Kreisflecken, als hätte man ihr das Parteiabzeichen als Abziehbild hinaufgedrückt.

      »Ich freue mich, daß ich heute zu euch sprechen darf«, schmetterte der Schwarzuniformierte. Seine Haare, borstig kurzgeschnitten, sahen aus, als ob sie sich beim Anblick der 20 Stuhlreihen voll braun uniformierten Charmes sträuben würden.

      »Wir alle kämpfen für eine Idee, einen Gedanken, ein Werk: für den Endsieg! Ihr Mädchen, ihr jungen Frauen, ihr Führerinnen, die ihr daran teilhabt, die ihr eure ganz persönlichen Opfer dafür bringt, seid gewiß, daß es euch der Führer mit seiner Sorge in seinen einsamen Stunden täglich hundertmal vergilt . . .«

      Die geleckten, abgegriffenen Worte der Parteisprache quollen wie Nebel in den Raum. Die Mädchen überlegten nicht, wie ihnen Hitler die Tonnen abgeraspelter Kartoffelschalen je vergelten könnte, sondern sie bekamen bei dem Gedanken an des Führers blaue Augen sehnsüchtige Lippen. Nicht alle, aber der SS-Führer rechnete ohnedies nur mit einer Minderheit . . .

      »Ihr alle werdet sagen, wenn ich euch jetzt frage: Seid ihr Nationalsozialisten? Da werdet ihr sagen: ja . . . Aber seid ehrlich! Seid ihr es wirklich? Mit heißem Herzen, ganzer Hingabe, mit jeder Faser eures Lebens, eures Daseins . . .?«

      Es rauschte durch die Stuhlreihen. Ein paar helle Mädchenstimmen riefen:

      »Ja!«

      Über ihnen lag Lottes Zustimmung wie ein Supersopran.

      Der SS-Führer lächelte nicht. Er senkte den Kopf. Es sah aus, als ob er seine Ergriffenheit verbergen wollte.

      »Wenn ich euch aber nun frage«, er schlug die Augen wieder auf, und sein Blick war wie verschleiert, »wer von euch will dem Führer ein wirkliches Opfer bringen? Ein echtes, großes, einmaliges Geburtstagsgeschenk . . .? Wer würde es tun . . .?. Wer?« brüllte er mit gesteigerter Stimme in den Saal.

      Hundert Arme fuhren fast gleichzeitig in die Höhe. Der Funktionär des Systems war ebenso geschickt wie verlogen, ebenso plump wie gerissen. Er winkte lächelnd ab. Mit modulierter Stimme erklärte er den Mädchen, um was es sich handelte, ohne ihnen etwas zu erläutern.

      »Ihr sollt euch nicht leichtsinnig in etwas stürzen, zu dem ihr dann nicht stehen könnt«, sagte er. »Eure Bereitschaft ehrt euch . . . aber ihr sollt wissen, daß es ein hohes Opfer ist, das ihr bringen dürft . . . das höchste Opfer einer deutschen Frau . . . Überlegt es euch!« hetzte er weiter, »ihr habt alle Freiheit, euch zu entscheiden . . .«

      Und wieder brannte der Wille zur Bewährung in den jungen Gesichtern. Dabei hatte keine der Maiden eine Ahnung, wovon der Sprecher redete. Er benutzte die vermeintliche Offenheit als Mantel der Lüge.

      Es waren keine hundert Mädchenarme mehr, die sich in die Luft reckten. Ein paar fielen in sich zusammen wie zaghafte Flämmchen. Dann noch ein paar. Aber es waren nicht allzuviele, die im Angesicht der Kameradinnen den Mut aufbrachten, feige zu sein. Auf diesem Trick basierte die Rechnung. Der SS-Führer konnte, lächelnd mit den Fingern gegen das Pult trommelnd, das Endergebnis abwarten.

      Doris streckte die Rechte noch immer aus. Jetzt zögerte sie eine Sekunde. Sie spürte ein Kribbeln in den Fingerspitzen. Aber die neben ihr sitzende Lotte verfolgte mit hämischen Augen alle, die ihre Meldung zurückzogen.

      »Eine Schande«, zischte sie, »so eine Schande!« Lotte fand es unglaublich, daß ein deutsches Mädchen sich weigern konnte, dem Führer etwas zu schenken, was er forderte.