Markus Baum

Jochen Klepper


Скачать книгу

die ›Schweidnitzer‹ entlang zum Café Fahrig, wo sich so viele Breslauer Journalisten, Schauspieler, Künstler trafen, und wo wir uns auch bisweilen niederließen.«42 Jochen Klepper hat daneben auch Fühlung mit einem Zirkel von Schriftstellern und Künstlern um den Theaterkritiker Paul Rilla, Redakteur der Breslauer Neuesten Nachrichten.43 Er pflegt einen freien und wechselseitig inspirierenden Umgang mit Kollegen, Gleichgesinnten, Geistesverwandten. Andererseits behauptet Jochen Klepper in seinen Briefen an Rudolf Hermann, er habe sich eine zurückgezogene Lebensweise auferlegt (»Will möglichst inkognito hier leben« – »Kann fast gar nicht ausgehen« – »Lebe in Breslau eigentlich genauso still wie in Beuthen«).

       Ein geselliger Eigenbrötler

      Das eine lässt sich mit dem anderen nur zur Deckung bringen, wenn man es so liest: Jochen Klepper beschränkt seine sozialen Kontakte in dieser Zeit fast ausschließlich auf die berufliche Sphäre, »da mir zeitlich jeder Verkehr unmöglich ist«. Er braucht pflegeleichte Freundschaften, trifft sich zwar mit allerlei Leuten, knüpft ein enges Netz von Kontakten, aber das sind vor allem Zweckbeziehungen. Besuch empfängt er in seiner Kleinburger Wohnung so gut wie gar nicht, sie ist sein Rückzugsraum und produktive literarische Werkstatt zugleich. Das Radio ist für ihn ein Segen, »da ich fast gar nicht ausgehen kann, Musik aber soviel wie möglich haben möchte«. Wenn er sich mal ein paar Tage Auszeit gönnt, dann verbringt er diese grundsätzlich in Beuthen. »Ich bin am liebsten bei meinen Eltern« – wohl auch, um an der Entwicklung seines jüngsten Bruders teilzuhaben. Wilhelm alias Billum ist inzwischen zu einem gewitzten, dabei angenehmen Zwölfjährigen herangewachsen. Die beiden Schwestern sind ebenso wie Eberhard längst aus dem Haus. Margot hat einen Reichswehroffizier namens Eberhard Fischer geheiratet und hat einen Sohn. Hildes Ehe mit einem Vetter hat nur kurz gehalten, die Scheidung läuft. Der Vater muss sich seit seinem Schlaganfall schonen; die Mutter hat wohl oder übel das Familienmanagement übernommen und freut sich, wenn der seelenverwandte Sohn kommt. Ein leichter Schatten liegt freilich über den Besuchen daheim: die Enttäuschung, dass es mit dem akademischen Abschluss offenbar nichts wird. Aber das gesteht Jochen Klepper sich und den Seinen nicht ein – noch nicht.

      Die Ideen sprudeln nur so; viele Arbeiten bringt er gleich bei mehreren Zeitungen und Zeitschriften unter, so seine literarischen Skizzen aus der Welt des Varietés und der Schausteller, seine biografisch-künstlerischen Porträts von Asta Nielsen und seinen Artikel »Gottes und der Kinder lieber Mann« über den Clown Grock (bürgerlich Adrien Wettach, der »König der Clowns« – ein Weltstar mit allen tragischen wie glänzenden Zügen).

      Soziale, gar politische Themen bearbeitet Jochen Klepper nur selten, auch wenn sie oft mitschwingen, etwa wenn er über die Unsicherheit des Artisten- und Künstlerdaseins schreibt oder Persönlichkeiten wie August Hermann Francke würdigt, der ja die Volksbildung gefördert und damit auch die soziale Hebung der unteren Stände betrieben hat. In einzelnen Artikeln wird Jochen Klepper nolens volens zum Chronisten des sozialen Niedergangs. Aber er betreibt keinen Enthüllungsjournalismus, will nicht aufrütteln oder gar aktiv eine Veränderung der Verhältnisse herbeiführen. Sein Eintritt in die SPD hängt mit seiner inneren Nähe zur religiös-sozialen Bewegung zusammen, er versteht sich ausdrücklich als religiöser Sozialist (und nur mit diesem Attribut).44 Ein Kollege und Freund aus EPS-Zeiten wird ihm später attestieren: »Wir Theologen des Presseverbandes waren mehr oder weniger durch eine dynamische, oft antiinstitutionelle Lutherauffassung miteinander verbunden. Das Paradox hatte es uns angetan. Es muss wohl etwas davon auch Kleppers Weg in die Partei erleichtert haben, die Parallele zwischen Luthers ›Ich bin kein Lutheraner‹ und Marxens ›Ich bin kein Marxist‹.«45

      Jochen Kleppers Mitgliedschaft bei den Sozialdemokraten öffnet ihm außerdem die Tür zur auflagenstarken parteieigenen Zeitung Vorwärts. Vom Mai 1928 an druckt der Vorwärts einige, nicht viele, seiner Artikel und Essays ab. Dass die Genossen solche Beiträge nicht besonders großzügig honorieren, ist (noch) kein Problem.

      Mit volkstümlichen und volkskundlichen Themen (»Die heidnische Jungfrau vom Glatzer Schloss. Vergessene Sagen«; »Der schlesische Volkscharakter«) schafft es Jochen Klepper in die Wochenendbeilagen der regionalen Zeitungen und in Zeitschriften wie den Boten aus dem Riesengebirge. Für die Schlesischen Monatshefte seines ehemaligen Kunstgeschichtsdozenten Franz Landsberger schreibt er nun auch regelmäßig. Das Geschäft brummt. Und so ringt sich Jochen Klepper zu einem »der für das Leben wohl entscheidendsten Entschlüsse« durch: »Da meine schriftstellerische Arbeit mich vollkommen erhält und sogar wie in jedem akademischen Beruf für meine Zukunft vorsorgen lässt; ich mich außerdem, seit ich nur noch künstlerisch und ganz für mich arbeite, wohl und befriedigt fühle, habe ich nun mit der Theologie Schluss gemacht«, teilt er am 24. April 1928 seinem Mentor Rudolf Hermann mit. Nicht ohne beschwichtigend nachzuschieben: »Was ich in der Theologie gewollt habe, bleibt mir ja nach wie vor.«46 Ganz abgehakt und restlos verarbeitet hat er die Sache freilich noch nicht. Knapp drei Jahre später wird er – wiederum an Rudolf Hermann gerichtet – notieren: »Über mein abgebrochenes Theologiestudium bin ich eigentlich erst jetzt ganz hinweg.«

      Theologischer Sachverstand im Verein mit Kunstsinn qualifizieren Jochen Klepper jedenfalls für die Betreuung der Rundfunkgottesdienste, so genannter »Morgenfeiern«, beim Breslauer Sender. Er versieht diese Aufgabe zusammen mit Rudolf Mirbt im Auftrag des Evangelischen Presseverbandes. Daneben laufen im Programm der »Schlesischen Funkstunde« seit dem Frühjahr 1928 gelegentlich auch Novellen und Geschichten aus seiner Feder. Zu seiner Genugtuung darf er sie selbst vortragen, hat er doch eine Weile mit der Schauspielerei geliebäugelt, aber ein Vorsprechen beim berühmten Bühnen- und Filmschauspieler Rudolf Lettinger (sein Bruder Erhard hat den Kontakt hergestellt) hat ihm eigentlich alle Hoffnung geraubt – seine Stimme ist für die Bühne nicht tragfähig genug. Und nun die beschwingende Erkenntnis: Fürs Radio taugt sie allemal!

       Luther

      Den Theologen wird Jochen Klepper nie verleugnen können. Kurt Ihlenfeld wird sich später erinnern: »In den Gesprächen des kleinen Kreises von jungen Breslauer Theologen, zu dem wir beide gehörten, und der sich gerne im Café Vogel in der Ohlauer Straße ein Stelldichein gab, ist von lutherischer Theologie oft die Rede gewesen – und wir befanden uns in einer merkwürdigen Übereinstimmung hinsichtlich dessen, was wir an Luther erkannt und gewonnen zu haben meinten. Es war in dem vielen Abgeleiteten, womit die Theologie sonst belastet war, die Erfahrung eines Tief-Ursprünglichen ... Wir waren ja zugleich empfänglich für das dichterische Wort, wir sogen den Honig der Wahrheit aus einer Erkenntnis, die sich uns von woanders her erschloss als aus der Wissenschaft allein. Luther selber sprach zu uns über die Jahrhunderte hinweg als ein Lebendiger. Luthers deus absconditus [Der verborgene Gott, Anmerkung des Verfassers], sein pecca fortiter [sündige tapfer] ebenso wie die Formel des simul justus simul peccator [zugleich gerecht und Sünder] waren uns Chiffren eines ungeheuren Lebens unter dem göttlichen Geheimnis. Es gab Momente in unseren Gesprächen, in denen diese Chiffren den Charakter von Geheimzeichen unserer Freundschaft gewannen.« Wenn Kurt Ihlenfeld hier von Freundschaft spricht, dann sicher nicht im Sinn einer herzlichen, unverbrüchlichen, von nichts getrübten Männerfreundschaft durch dick und dünn. Dafür waren Jochen Klepper und er bei allen gemeinsamen Interessen und bei ihrer gemeinsamen künstlerisch-literarischen Mission und Vision dann doch zu unterschiedlich. Sondern: »Das uns einigende Vertrauen hatte sicher seinen tiefsten Grund in jener theologischen Gemeinsamkeit unseres Luthererlebnisses.«47 Nach einem intensiven Jahr enger Zusammenarbeit trennen sich die Wege vorerst, Kurt Ihlenfeld wird ordiniert und im Oktober 1928 auf eine Pfarrstelle im niederschlesischen Waldenburg48 berufen. Die Verbindung zwischen ihm und Jochen Klepper bleibt bestehen, weniger auf persönlicher Ebene, aber im Rahmen des Eckart-Kreises und der publizistischen Arbeit am Eckart (Ihlenfeld wird 1933 Herausgeber der Zeitschrift).

      Ihlenfelds Stelle im Evangelischen Presseverband bleibt einige Monate vakant, bis im Herbst 1929 ein Nachfolger kommt. Der neue Kollege Jochen Kleppers heißt Kurt Meschke und ist ebenfalls Pfarrer. Wie erlebt er die neue Arbeitsstelle und seinen Mitstreiter? »Wir waren jeder auf seine Weise Randsiedler der Kirche, die wir uns unter