Markus Baum

Jochen Klepper


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Rolle, nämlich in seinem lutherisch geprägten theologischen Denken), sondern Schuld im Sinn von verpflichtet sein und bleiben.

      In den Tagebüchern von 1932 an wird das eine prominente Rolle spielen: Was glaubt Jochen Klepper wem schuldig zu sein? Was den Eltern und Geschwistern, was der Frau an seiner Seite, was dem Staat, was seiner Kirche, was sich selbst? Wie versucht er diesen Verpflichtungen gerecht zu werden, wie löst er sie ein, und wie geht er mit der oft empfundenen eigenen Unzulänglichkeit um? In den Jahren nach Ende des Studiums ist sich Jochen Klepper dessen noch nicht so bewusst. Er gibt sich jedenfalls nicht pausenlos Rechenschaft darüber. Trotzdem scheint das Denk- und Handlungsmuster schon hier und da auf.

      Die Verpflichtung gegenüber den Eltern fordert ihn zu Beginn des Jahres 1927 ganz praktisch. Georg Klepper hat einen Schlaganfall erlitten, der Sohn ist zur Stelle und sieht sich vor die einmalige Herausforderung gestellt, den Vater auf der Kanzel zu vertreten. Am 30. Januar 1927, am vierten Sonntag nach Epiphanias, hält Jochen Klepper seine erste und einzige Gemeindepredigt in der heimischen Kirche in Beuthen. Er spricht über die Stillung des Sturms, und diese Erfahrung wird ihm noch zehn Jahre später eine Erwähnung im Tagebuch wert sein. Die »Wunde meines gescheiterten Theologiestudiums«27 schmerzt mehr, als er es sich selbst und anderen lange Zeit eingesteht. Und insgeheim trauert er auch dem Pfarramt und dem Kanzelerlebnis nach. Bis in seine lebhaften (mal beglückenden, oft erschreckenden) Träume hinein verfolgt ihn diese versandete Lebensspur: »Heute nacht habe ich geträumt, ich hätte in einer Kirche gepredigt, und es war ein unbeschreibliches Gefühl von Glück und Stärke, von Erfüllung. ... Aber ich kann es nicht leugnen: ich sehne mich nach Predigen«, wird er gut sechs Jahre später seinem Tagebuch anvertrauen.28 Nach außen hin beschreitet er entschlossen den neu eingeschlagenen Weg.

       Journalistisches Debüt

      Jochen Klepper schreibt feuilletonistische Artikel und bietet sie regionalen und überregionalen Zeitungen und Zeitschriften an, zunächst unter Pseudonym. »Solltest Du zufällig mit ›Georg Wilhelm‹ unterzeichnete Sachen lesen, sind sie von mir«, hat er Harald Poelchau in einem Brief vom 21. Januar mitgeteilt.29 Eine der ersten mit »Joachim Klepper« gezeichneten Arbeiten ist ein Nachruf auf Rainer Maria Rilke in gebundener Sprache. Wochen später erscheinen Artikel und Gedichte aus Jochen Kleppers Feder bereits in der Täglichen Rundschau, in den Breslauer Neuesten Nachrichten und im Fränkischen Kurier. Erstmals findet er im »Jahrbuch Deutscher Lyrik 1927« Erwähnung. Das in Essen erscheinende Deutsche Pfarrerblatt druckt am 1. März 1927 einen Artikel Jochen Kleppers zum 250. Todestag von Baruch de Spinoza, und die mondäne Frauenillustrierte Die Dame aus dem Berliner Ullstein-Verlag übernimmt ebenfalls Beiträge und bringt so Geld in die Kasse. Das braucht er auch, das braucht vor allem die Familie angesichts der Krankheit des Vaters, der für den Rest seines Lebens mit den Folgen des Schlaganfalls zu tun hat.

      Da ist sie wieder, die familiäre Verpflichtung. Und da ist ein anderes Leitmotiv, das sich von nun an durch Jochen Kleppers Leben ziehen wird: Das Bemühen um ein halbwegs sicheres Einkommen, um eine berufliche Existenz, die ihren Mann auch wirklich ernährt. Zwar wird es für ihn nie wieder so eng werden wie in der Inflationszeit. Aber ein sorgenfreies Dasein wird er auch nie genießen können. Dafür sind einerseits seine Ansprüche zu hoch (er hat ja nie etwas anderes gekannt als gehobene Bürgerlichkeit), dafür ist andererseits sein Pflichtgefühl zu ausgeprägt. Er kann es nicht ertragen, wenn die Eltern oder Geschwister jammern. Er wird zum Beispiel noch jahrelang den Bruder in Berlin unterstützen (Erhard sagt natürlich nicht nein, auch als er längst unabhängig ist). Sobald etwas Luft im Budget ist, zahlt er seine diversen Stipendien und während des Studiums erhaltenen Vergünstigungen zurück. Formal ist das nicht vorgesehen, niemand nötigt ihn dazu. Nur er selbst empfindet, dass er »zu Unrecht« gefördert worden ist, und so sucht er sich Studenten, denen er nun seinerseits unter die Arme greifen kann. Innerhalb von zwei Jahren wird er so die gesammelten erhaltenen Förderbeträge auf Heller und Pfennig begleichen.30

      Er hat durch seine Artikel mittlerweile den Fuß in der Tür zum künstlerisch-literarischen Journalismus, und er wird diesen Zugang in der Folgezeit auch konsequent ausbauen. Ein verlässliches Einkommen ist das freilich noch nicht. Das erhofft er sich von einer Anstellung bei einer der Breslauer Bibliotheken. Mehrere Bewerbungen bleiben erfolglos. Aber dann erhält er unerwartet eine Anfrage des »Evangelischen Presseverbandes für Schlesien«: Er soll dort in die Redaktion einsteigen. So kann er Rudolf Hermann in einem Brief am 8. April 1927 mitteilen: »Nun habe ich neben den einzelnen Honoraren noch das feste Einkommen. An Dienststunden bin ich nicht gebunden. Zu schreiben habe ich über das Aktuellste im Gebiet der Kunst und Kultur im Allgemeinen. Die Auswahl der Themen ist mir überlassen. Habe ich auch eine erhebliche Mehrarbeit, bin ich doch die Geldsorgen los, die viel mehr Kraft verbrauchen.«31

       Beim Evangelischen Presseverband

      Die Stelle in Breslau bedeutet nach zwei Jahren wieder Abschied vom familiären Lazarett in Beuthen. Jochen Klepper mietet sich eine Wohnung in Kleinburg in der Kurfürstenstraße. Noch kurz vor dem Jahrhundertwechsel eine luftige, auf dem Boden zweier ehemaliger Landgüter neu angelegte Villensiedlung im Süden Breslaus, ist Kleinburg mittlerweile von der Großstadt geschluckt worden. Aber es lässt sich immer noch gut leben, die Bebauung ist nicht zu dicht, der Südpark mit seinem Grün und seinem Gondelsee verspricht Erholung, und die Straßenbahn bewältigt die zweieinhalb Kilometer bis ins Herz der Stadt in wenigen Minuten.

      Der Evangelische Presseverband für Schlesien (EPS), 1914 gegründet, unterhält seit 1919 eine Geschäftsstelle. Der Verband residiert in einem vierstöckigen Bürgerhaus am Schweidnitzer Stadtgraben Nr. 29, mit Postkartenblick auf die Liebichshöhe. Jochen Kleppers Arbeitsplatz wird freilich ein eher bescheiden eingerichteter, nicht sehr heller Büroraum zum Innenhof des Gebäudetraktes hin. Den großen Arbeitstisch dort teilt er sich mit zwei Kollegen. Da ist einmal der gelernte Buchhändler Rudolf Mirbt, Sohn eines Kirchenhistorikers und leidenschaftlicher Förderer der Laienspielarbeit, der bei Jochen Kleppers Einstieg gerade die 30 überschritten hat. Und da ist vom Winter 1927 an Kurt Ihlenfeld, zwei Jahre älter als Klepper und Theologe wie dieser – mit dem Unterschied, dass Ihlenfeld gerade sein zweites theologisches Examen hinter sich gebracht hat.

      Das Hauptorgan des EPS ist das mittlerweile wöchentlich erscheinende Gemeindeblatt Unsere Kirche mit der ansehnlichen Auflage von 42 000 Exemplaren. Außerdem gibt der Presseverband volksmissionarische Traktate heraus, speist die schlesischen Zeitungen mit Nachrichten aus dem kirchlichen Leben und die Gemeindeblätter anderer Landeskirchen mit spezifisch Schlesischem. Mit all dem bekommt Jochen Klepper nun zu tun; vom Mai 1927 an erscheinen in »Unsere Kirche« fast im Wochentakt literarische, biografische, kirchengeschichtliche Beiträge aus seiner Feder.

      Als Geschäftsführer und Generaldirektor des Evangelischen Presseverbandes fungiert seit 1919 Pfarrer Walter Schwarz, Jahrgang 1886, ein tatkräftiger Mann. Ihm ist Jochen Klepper von nun an verantwortlich. Der »unermüdliche, großzügige und ideenreiche Initiator des ganzen Unternehmens« (so urteilt Kurt Ihlenfeld über ihn) lässt seiner Kreativabteilung viel Freiraum, fordert sie andererseits aber auch. Jochen Klepper zum Beispiel zieht er heran zur Redaktion seiner »volksaufklärenden« Flugblätter eher erbaulichen, tröstenden und mahnenden Inhalts. Jochen Kleppers Anteil an der Erstellung dieser Traktate ist wohl eher handwerklicher als inhaltlicher Natur. Stil und Anspruch sind grundverschieden von allem, was er zeitgleich schreibt, aber er wird nun mal als Schriftleiter der Blätter genannt. Rita Thalmann wird später abfällig urteilen: »... passt sich willig dem einfältig-konservativen Frömmigkeitsstil kirchlicher Kreise an, der in diesen Flugblättern zum Ausdruck kommt«.32 Aber was hätte Jochen Klepper machen sollen? Dagegen aufbegehren, kaum dass er die Stelle angetreten hat? Ein Tagebucheintrag zehn Jahre später verrät, dass Jochen Klepper mit Walter Schwarz nicht unbedingt auf einer Linie war. Er spricht von »meinem ersten von mir sehr abgelehnten und nicht verstandenen Chef«.33 Aber immerhin: Chef. Kurt Ihlenfeld bescheinigt Walter Schwarz, er habe zu seinen Redakteuren »die denkbar kollegialsten Beziehungen« gepflegt: »Wir drei – Mirbt, Klepper und ich – gaben ihm mit unserer so gar nicht behördenfrommen Naivität unserer Arbeitsweise