wollte, um die Flucht zu ergreifen, fühlte er sich festgehalten. Eine Menge von Wieseln, die sich in den Höhlungen verborgen hatten, waren hervorgekommen, hatten sich in seine Kleidung verbissen und hielten ihn. Jetzt sprangen von der Wiese aus nacheinander eine Reihe von Eichhörnchen mit mächtigen Sätzen auf den Baum, darunter war ein schönes schneeweißes, das setzte sich vor Johannes auf die Hinterbeine, hielt wie flehend seine Pfötchen zu ihm empor und sah ihn so ausdrucksvoll an, daß der Knabe wohl verstand, es bitte ihn, zu bleiben, wo er sei. Seine Furcht minderte sich bei dem Anblick dieses schönen Tieres, das so sanft und freundlich aussah, und er wartete nun mit Verwunderung, wie die Dinge ablaufen würden.
Kaum war dies seltsame Fahrzeug in dem verrufenen Walde angelangt, als es die Fischottern an das Land führten und sich sämtliche Tiere eilfertig an das Ufer begaben, wo sie sich in demselben Augenblick in Zwerge verwandelten. Sie trugen graue Röcklein und spitze grüne Hüte, nur der, der als weißes Eichhörnchen erschienen war, hatte ein purpurrotes Hütchen, das mit einer feinen Goldkrone geziert war. Dieser sprach zu Johannes: »Wir haben auf diese Weise versucht, dich in den Wald zu bringen, weil wir außerhalb dessen nur als Tiere erscheinen dürfen und dann der Sprache nicht mächtig sind. Wir müssen dich aber um einen Dienst ersuchen, den nur ein Sonntagskind deiner Art vollbringen kann, denn du vermagst uns aus großer Not zu befreien. Allein es muß freiwillig und ohne Hoffnung auf Lohn geschehen. Bist du deshalb gesonnen, uns zu helfen, so folge uns, wir flehen dich darum an.«
Alle die kleinen Zwerge machten so rührende Gesichter und hoben die Hände bittend empor, daß Johannes nicht widerstehen konnte und ans Land stieg. Seine kleinen Führer trippelten und liefen vor ihm her, und so gingen sie auf einem schmalen und niedrigen Erdrücken entlang, der von der Versumpfung verschont geblieben war, zu dem höher gelegenen Orte, auf dem wie auf einer Insel die Wohnungen der Zwerge gelegen waren. Ängstlich schaute der Knabe unterwegs seitwärts auf die trügerisch begrünten Schlammflächen, zwischen denen an einzelnen Stellen schwarzes Wasser hervorblinkte, denn ein seltsam unheimliches Gären und Rühren war darin bemerkbar, und widerliches Gurgeln und Schmatzen tönte daraus hervor. Einmal, als einer der kleinen Zwerge stolperte, ein wenig den Abhang hinabtaumelte und dabei dem Morast zu nahe kam, fuhr blitzschnell ein langer, glänzend schwarzer Arm daraus hervor, ergriff das Männchen am Fuß und wollte es mit sich ziehen, allein dieses hatte zu seinem guten Glück einen Strauch erfaßt, langte mit der anderen Hand in ein Täschchen an seinem Gürtel und streute ein rotes Salz auf den Arm, worauf dieser eiligst losließ und wieder untertauchte, während an demselben Ort ein Prusten und Schnauben und Gewinsel ertönte und Wasser und Morast hoch aufspritzten. Zugleich rührte und regte es sich nah und fern in der schlammigen Fläche; widerliche, flache Köpfe wie von ungeheuren Fröschen tauchten hie und da auf und stierten mit gierigen roten Augen auf die Zwerge hin, während sie ein häßliches, bellendes Gequäk anstimmten und sich zuweilen schwarze, triefende Fäuste drohend aus dem Schlamme reckten.
Unterdes hatte sich der Weg bereits verbreitert, und bald langte der kleine Zug auf dem ausgedehnten, flachen Hügel an, wo sich die Wohnsitze der Zwerge befanden. Hier lagen zwischen uralten Eichen mächtige, bemooste Steinblöcke neben-und übereinander, und als der kleine Rothut an einen mit seinem Stäbchen klopfte, drehte sich dieser wie eine Tür zur Seite und legte den dunklen Eingang in eine unterirdische Höhle frei.
Als Johannes eine Reihe von Stufen hinabgestiegen war, gelangte er mit dem Zwerge in eine niedrige Säulenhalle, deren Wände und Decke im Lichte der brennenden Lampen gar wunderbar schimmerten und blitzten, denn sie waren mit natürlichen Kristallbildungen in allen Farben und bunten, geschliffenen Steinen sehr zierlich und künstlich ausgelegt. An der Wand, die der Tür gegenüberlag, stand ein kleiner Thronsessel, mit Purpursammet und Goldbrokat überzogen, und davor im Halbkreis eine Reihe von geringeren Lehnstühlen. Johannes mußte sich in der Mitte dieser Reihe auf eine Anzahl von Polstern setzen, dem Rothut, der den Thron bestieg und offenbar der König der Zwerge war, gerade gegenüber.
Als nun alle saßen und eine Zeitlang feierliche Stille geherrscht hatte, begann der König wie folgt: »Du hast soeben selbst gesehen, lieber Johannes, welchen Gefahren wir ausgesetzt sind und welche widerliche und häßliche Gesellschaft sich in unserem Walde angesiedelt hat. Statt des rieselnden Geplauders fröhlicher Quellen findet man jetzt nur das brodelnde Gären des Ungeziefer brütenden Schlammes, statt des lustigen Gesanges lieblicher Vögel das häßliche Quäken und Gurgeln greulicher Unholde, statt der frischen, von Blumen und Kräutern würzig duftenden Luft dumpfen Modergeruch und schädliche Fieberdünste. Ich will dir erzählen, wie dies gekommen ist. In jenem seit alter Zeit verrufenen und gemiedenen Moorsumpf, den ihr das Teufelsmoor nennt, lebt schon lange ein Volk von Sumpfgnomen unter der Herrschaft ihres Königs Egelborst. Schon lange hatte dieser seine Begierde zur Ausdehnung seines widerlichen Reiches auf unseren grünen Quellwald gerichtet, allein solange wir uns im Besitze des goldenen Handringes befanden, vermochte er keine Macht über diese Gegend zu gewinnen, da ihr Besitz an dieses Kleinod gebunden ist. Wir wußten, daß er bestrebt war, diesen Ring in seine Macht zu bringen, und waren auf unserer Hut. Wir hatten ihn in unserer Schatzkammer hinter sieben eisernen Türen, wie wir meinten, sicher genug, verborgen. Jedoch eines Tages fand sich ein fremder Stammesgenosse bei uns ein, der vorgab, von seinem Volke ausgeschickt zu sein, um Edelsteine einzutauschen, da es dort an solchen mangele. Er führte einen Sack voll kostbarer Perlen mit sich, dergleichen wir damals wenig in unserem Besitze hatten, während unser Schatz an Edelsteinen sehr reich war. Zwar hatte dieser Fremde ein finsteres und tückisches Aussehen und eine seltsam schwärzliche Gesichtsfarbe, auch auffallend glatte und schlangenhafte Bewegungen, allein wir schrieben dies auf seines fremden Stammes Art und schenkten ihm dennoch Vertrauen, zumal da seine Perlen ohne Tadel waren und er seine Worte gar gut und zierlich zu setzen verstand. Nachdem wir ihn also nach Gebühr bewirtet hatten, nahmen wir ihn mit in unsere Schatzkammer, wo er große Verwunderung über unsere Reichtümer bezeigte und nicht genug des Lobes finden konnte über die Zierlichkeit der goldenen und silbernen Geräte und die ausgesuchte Herrlichkeit der edlen Gesteine. Da wir keinen Argwohn hegten, so zeigten wir ihm alles, auch den kostbaren Handring, ohne ihm allerdings dessen Bedeutung mitzuteilen. Er schien ihm auch wenig Beachtung zu schenken, und dann begann der Handel, wodurch wir uns in den Besitz seiner Perlen setzten, während er eine Anzahl auserlesener Edelsteine dafür in Empfang nahm. Wir glaubten einen guten Kauf gemacht zu haben und begaben uns darauf aus der Schatzkammer in unseren festlichen Speisesaal, um den Handel nach alter Sitte mit einem Trunk von unserem hundertjährigen Kometenwein zu beschließen. Doch als wir dort anlangten, vermißten wir plötzlich den Fremden. Niemand hatte gesehen, wo er hingekommen war, und alles Suchen und Rufen war vergebens. Eine düstere Ahnung bemächtigte sich meiner, ich kehrte mit den Meinen in die Schatzkammer zurück und fand meine Befürchtung nur zu sehr begründet, denn der goldene Handring, unser bestes Besitztum, war fort. Es war offenbar, daß der Fremde ein Abgesandter des Königs der Sumpfgnomen, wenn nicht dieser selbst gewesen war, der sich auf diese Art unter der Maske eines Zwerges unseres Schatzes bemächtigt hatte. Wir wußten ja, daß er im Besitze des Steines Mutabilis war, der ihn befähigte, jegliche beliebige Gestalt anzunehmen, wenn auch nicht in dem Maße, daß alles Gnomenhafte aus seinem Wesen verwischt wurde. So erklärte sich uns auch sein tückisches, schwärzliches Aussehen, die schlangenhafte Beweglichkeit und die kalte Feuchte seiner Glieder, die mich, als ich ihm die Hand reichte, bis ins Innerste durchschauert hatte.
Die schnellfüßigsten unserer Genossen waren ihm sofort in der Richtung des Moorsumpfes nachgesetzt, allein vergeblich, denn es gelang ihnen nur, seiner ansichtig zu werden, als er bereits dort angelangt war und jauchzend, den blitzenden Ring über dem Haupte schwingend, in das schwarze Schlammwasser sprang, während seine scheußlichen Untertanen überall die platten Köpfe hervorgestreckt hatten und ein höhnisches Gezeter und quäkendes Triumphgeheul anstimmten.«
Als der König der Zwerge seine Geschichte so weit erzählt hatte, schwieg er eine Weile, und es entstand eine Stille, während derer die anderen Zwerge mit bedrückten Mienen vor sich hin sahen. Dann fuhr der König in seiner Erzählung fort: »Von dieser Zeit an begann das Unheil in unserem Walde. Die Sumpfgnomen, durch kein Machtgebot mehr behindert, dämmten allmählich die Quellen ab und verstopften die Abflüsse, so daß sich die frischen, duftenden Gründe in gärende Moräste verwandelten, die jetzt dem widerlichen Volke erwünschte Wohnsitze darbieten. Und immer weiter dehnen sie ihr Reich aus. Einige unserer tiefer gelegenen Wohnungen stehen bereits