Stefan Zweig

Verwirrung der Gefühle, und andere Novellen


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erkannte, wie schlecht und wie wertlos!

      Ihr fröstelte. Sie wollte an nichts mehr denken. Sie ging wieder tiefer in die Stadt hinein … irgendwohin … nach Hause zu. … Nein – nicht nach Hause! Mit Furcht dachte sie daran. Dort war alles so finster und eng und dumpf, dort lauerten in allen Ecken Erinnerungen, die mit hämischen Fingern auf sie deuteten, dort war sie dann ganz allein mit ihrem großen Schmerz, dort konnte er seine schwarzen Flügel dicht ausbreiten, sie umfassen und eng, ganz eng an sie pressen, daß ihr der Atem verginge.

      Aber wohin? Wohin? Die Frage zermarterte ihr das Hirn. Sie wußte nichts anderes mehr, ihr ganzes Denken konzentrierte sich in dieses eine Wort. –

      Neben ihr lief ein Schatten.

      Sie achtete nicht darauf.

      Sie merkte es auch nicht, als er sich hart gegen den ihren neigte und mit ihm eine Zeitlang parallel lief. Jemand ging neben ihr, ein Freiwilliger, und betrachtete ihr Gesicht angelegentlich in dem Momente, als sie vor einer Laterne vorbeikamen. Erst wie er sie höflich ansprach, fuhr sie jäh aus ihren Gedanken auf. Sie brauchte einige Momente, um die Situation, in der sie sich befand, erst recht zu erfassen und antwortete nicht.

      Der Freiwillige, ein Kavallerist, sehr jung noch und ein bißchen ungeschickt, ließ sich durch ihr Schweigen nicht einschüchtern, sondern redete in einem halb vertraulichen Ton, aber mit einer gewissen Reserve weiter. Offenbar war er mit sich nicht recht im klaren, mit wem er es eigentlich zu tun hätte; sie hatte ihm nicht geantwortet und war doch so vornehm – solid gekleidet. Und andererseits wieder dieses einsame langsame Spazierengehen spät in der Nacht – ganz recht bekam er’s nicht heraus. Aber er redete unbekümmert weiter.

      Erika schwieg. Instinktiv hatte sie ihn abweisen wollen, aber alle Dinge von früher hatten sie auf seltsame Gedanken gebracht. Sie wollte doch jetzt ein anderes Leben beginnen, nicht mehr dieses traumvolle Dahindämmern und müßige Sichsehnen, das ihr tausend Leiden geboren, es sollte ja für sie ein neues Leben beginnen, heiß verwegen und voll wilder Gewalt. Und dann dachte sie wieder an ihn – eine Rache wollte sie nehmen, eine furchtbare Schmach. Dem ersten besten, der gekommen, wollte sie sich verschenken; weil er sie verschmäht, die Erniedrigung auskosten bis zum letzten bittersten und vielleicht tödlichen Tropfen. Alles wurde rasch in ihr Plan und Entschluß, eine grausame Selbstpeinigung, die eine neue Schmach wählt, um die alte brennende zu vergessen … wie sie zurecht kam, die Gelegenheit … ein junger Mensch, ganz jung, der nichts davon verstand, nichts wußte, der sollte es sein, der erste beste …

      Und plötzlich antwortete sie ihm mit so hastiger Liebenswürdigkeit, er dürfe sie begleiten, daß er beinahe wieder schwankend wurde, mit wem er es zu tun hätte. Aber ein paar Fragen, das Opernglas, das sie vom Konzert mitbrachte und ihr vornehmes Benehmen, veränderten seine oberflächliche Haltung zu ihr. Er blieb recht befangen. Eigentlich war er noch ein halbes Kind, das in einer Uniform sich so seltsam ausnahm, wie in einem kriegerischen Maskenkostüm; und seine bisherigen Abenteuer waren so simpler Natur gewesen, daß sie keine Abenteuer mehr waren. Zum ersten Mal sah er sich einem wirklichen Rätsel gegenüber. Denn manchmal blieb sie Minuten still und unbeweglich, überhörte alle Fragen und ging wie im Traum, bis sie dann plötzlich wie mit einer provozierten Zärtlichkeit, die sie im Augenblick vergessen hätte, mit ihm lachte und scherzte; aber manchmal wollte es selbst ihm so erscheinen, als sei im Lachen ein falscher Ton.

      Und in der Tat kostete es Erika nicht geringe Mühe, die Rolle einer Entgegenkommenden und Leichtsinnigen zu spielen, während ihr die tollsten Gedankenreihen durch den Kopf schwirrten. Sie wußte, was das Ende sein würde, und sie wollte es, aber eine geheime Angst beschlich sie immer wieder, daß sie gegen sich selbst frevle. Aber das Bedürfnis nach Rache, das sich positiv nicht betätigen konnte, hatte hier ein Mittel gefunden, sich zu entfalten, wenn auch in einer falschen Richtung, die die Spitze gegen sich selbst kehrte, aber es war so überströmend und machtvoll, daß sich ihre frauenhaften Empfindungen vergebens dagegen aufbäumten. Mochte geschehen, was da wolle, sollte eine Reue kommen … nur nichts wissen von jener Schmach … nur vergessen, wenn auch in einem Rausch, einem künstlichen und einem verderblichen … aber nur nicht mehr daran denken müssen …

      So nahm sie auch gern den Vorschlag des Freiwilligen an, mit ihr in ein Restaurant in ein separiertes Zimmer zu gehen, obwohl sie dumpf ahnte, was das bedeutete. Aber sie wollte nicht daran denken … nur nicht sich immer besinnen müssen …

      Zuerst kam ein kleines Souper, dem sie aber nicht zusprach. Aber Wein trank sie, in gieriger Hast, Glas auf Glas, um sich zu betäuben. Ganz gelang ihr es noch nicht. Manchmal übersah sie die ganze Situation mit furchtbarer Klarheit. Sie betrachtete ihr Gegenüber. Das war eigentlich der Rechte, besser hätte sie sich ihn nicht wünschen können: ein guter Kerl, von einer gesunden rotwangigen Derbheit, ein bißchen eitel und nicht zu klug … der würde nie ahnen, was in dieser Nacht geschehen sei, was für eine Rolle er gespielt in einem armen gequälten Menschenleben … der würde sie übermorgen vergessen haben. Und das wollte sie …

      In solchen Augenblicken der Überlegung bekamen ihre Augen einen träumerischen Ausdruck, und in ihrem Gesichte zeichnete sich der düstere Schatten eines inneren Schmerzes. Dann kam sie langsam ins Träumen hinein … ihre Finger zitterten leise … sie hatte alles vergessen, und die fernen versunkenen Bilder wollten langsam, ganz langsam wieder auftauchen …

      Dann erweckte sie wieder plötzlich ein Wort oder eine Berührung. Eine Sekunde brauchte sie immer, um sich wieder recht in alles hineinzufinden, aber dann faßte sie wieder ein Weinglas und leerte es auf einen Zug. Und dann noch eines und noch eines, bis sie spürte, wie ihr der Arm schwer herabsank …

      Der Freiwillige hatte sich inzwischen herübergesetzt und ziemlich dicht an sie angedrückt. Sie merkte es noch, aber scherzte ruhig weiter …

      Allmählich aber begann sie die Wirkung des Weins zu fühlen. Ihr Blick wurde unsicher und sah wie durch trübe Wolken eines schweren breitverströmenden Dunstes; und die zärtlichen und überredenden Worte, die sie vernahm, schienen irgendwo von weiter, weiter Ferne herzukommen, ganz verschwommen und verloren. Ihre Zunge begann zu lallen, und sie merkte, wie trotz aller Bestrebungen ihr Gedankengang sich verwirrte und ein Blitzen und Surren vor ihren Augen funkelte, gegen das sie sich nicht zu wehren wußte. Aber mit der Müdigkeit, die sie immer enger und zärtlicher umfaßte, kam auch jene Schwermut wieder, halb die lallende unmotivierte Melancholie der Trunkenen, und halb der Schmerz, der schon den ganzen Abend ihre Brust durchstürmte und sich noch immer nicht Bahn gebrochen hatte. Sie war ganz in ihr Leid verloren, stumpf und gefühllos gegen die Außenwelt, taub gegen alle Worte und sanften Liebkosungen.

      Der junge Bursch verstand ihr Verhalten nicht ganz und eine Unsicherheit überkam ihn, was er mit ihr beginnen sollte; er hielt sie für betrunken, wollte sie jedoch bewegen, wach zu werden, weil er sich schämte, ihre Trunkenheit sich zunutze zu machen. Aber ihre Apathie war nicht durch Zureden, noch durch schmeichelnde Küsse zu lösen; er fächelte ihr Kühlung zu; als er aber versuchte, ihr Kleid zu öffnen, geschah etwas Unerwartetes, das ihn erschreckte.

      Denn im Augenblicke, da er sie umfaßte, fiel sie ihm plötzlich in die Arme und begann furchtbar zu weinen. Es war ein unendlich schreckvolles und leidvolles Schluchzen, nicht das wehmütige Duseln eines Trunkenen, sondern in ihrem Weinen war eine elementare Gewalt; wie ein Raubtier war es, das jahrelang im Käfig gefesselt war und mit einem Male in wilder Gewalt die Schranken durchbricht, es war ihr ganzer heiliger und tiefer Schmerz, der ihr nun dunkel bewußt gewesen war und sich jetzt in bebenden Schauern erlöste. Erika weinte aus tiefster Brust, alles, alles schien jetzt gut zu werden, da diese glühende Last der Tränen und die drückende Bürde der nichtentladenen Erregungen sich wie in mächtigen Gewitterstößen von ihr losrang; sie weinte und weinte, jähe Schauer liefen über ihren hilflos angeschmiegten Körper, aber die heißen Quellen ihrer Augen schienen nicht versiegen zu wollen; es war, als spülten sie all das bittere Leid mit sich hinweg, das sich langsam angesetzt hatte wie wachsende Kristalle, die sich verhärten und nicht weichen wollen. Nicht ihre Augen weinten, ihr ganzer schmaler und biegsamer Leib erbebte unter den harten Stößen, und ihr Herz erbebte mit.

      Der junge Mann war diesem jähen und peinlichen Ausbruche gegenüber gänzlich hilflos. Er suchte sie zu beruhigen, strich ihr leise und zärtlich über die dunklen Flechten;