Stefan Zweig

Verwirrung der Gefühle, und andere Novellen


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von dem er nichts wußte, dessen Größe er aber ahnen mußte, flößte ihm eine achtungsvolle Furcht vor dieser Frau ein, die willenlos in seinen Armen lag. Wie ein Verbrechen erschien es ihm, ihren Körper zu berühren, der zu schwach war, den mindesten Widerstand leisten zu können; nach und nach kam ihm dann auch zu Bewußtsein, daß er sehr großartig dabei handle, und diese kindliche Freude an einem seltsamen Erlebnis stärkte seine Willenskraft. Er ließ einen Wagen holen und begleitete sie, nachdem er von ihr die Adresse erfahren hatte, bis zum Hause hin, wo er sich mit freundlichen und beruhigenden Worten verabschiedete.

      Als Erika sich wieder in ihrem Zimmer befand, war auch der letzte Rest des Rausches verflogen. Nur das Geschehene der letzten Stunden war ihr unklar und verschwommen, aber sie dachte nicht mit scheuer Ängstlichkeit zurück, sondern mit friedevoller Ruhe. In diesen glühenden Tränen war ihre ganze junge Seele gewesen mit all ihrem Schmerz: mit der großen drückenden Liebe, mit der wilden und brennenden Schmach und der letzten, beinahe vollbrachten Erniedrigung.

      Langsam kleidete sie sich aus.

      Alles hatte so kommen müssen; denn es gibt Menschen, die nicht zur Liebe geboren sind, denen nur die heiligen Schauer der Erwartung blühen, weil sie zu schwach sind, die schmerzhaften Seligkeiten der Erfüllungen zu tragen.

      Erika dachte über ihr Leben nach. Sie wußte nun, daß die Liebe nicht mehr zu ihr kommen würde, und daß sie ihr nicht entgegengehen dürfe; die Bitterkeit des Entsagens nahte ihr zum letzten Male.

      Einen Augenblick zögerte sie noch in geheimer unverständlicher Scham; doch dann löste sie die letzten Hüllen vor dem Spiegel.

      Sie war noch jung und schön. In ihrem blütenweißen Körper lag noch die hellschimmernde Frische früher Jahre, in sanfter, fast kindlicher Rundung bebten ihre Brüste, die in wilder innerer Erregung sich hoben und senkten, leise und zart in rhythmisch verfließendem Linienspiel. Stärke und Geschmeidigkeit prunkte in den Gliedern, alles war geschaffen und bereit, eine schenkende Liebe kraftvoll zu empfangen und zu erhöhen, Seligkeiten zu geben und zu nehmen im wechselnden Spiel, dem heiligsten Ziele entgegen zu schaffen und das verklärte Wunder der Schöpfung in sich zu erleben. Und das alles sollte ungenützt und unfruchtbar vergehen, wie die Schönheit einer Blume, die ein Wind verweht, ein taubes Korn im unübersehbaren Garbenfelde der Menschheit?

      Eine milde versöhnliche Resignation kam über sie, die Hoheit der Menschen, die durch den größten Schmerz gegangen. Und auch den Gedanken, daß diese blühende Jugend einem, einem einzigen bestimmt gewesen sei, der sie begehrt und verachtet habe, auch diese letzte schwerste Prüfung fand keinen Groll mehr bei ihr. Wehmütig löschte sie das Licht und sehnte sich nur mehr nach dem leisen Glück milder Träume.

      Diese wenigen Wochen umgrenzten das Leben der Erika Ewald. In ihnen lag alles beschlossen, was sie erlebte, und die vielen späteren Tage gingen an ihr vorüber, gleichgültig wie Fremde. Ihr Vater starb, die Schwester heiratete einen Beamten, Verwandte und Freunde trugen Glück und Unglück, nur in ihre einsamen Stunden ließ sie das Schicksal nicht mehr ein. Ihr konnte das Leben nichts mehr anhaben mit seiner stürmischen Gewalt; die tiefe Wahrheit war ihr bewußt geworden, daß der große heilige Friede, um den sie gerungen, nicht anders errungen wird, als durch einen tiefen läuternden Schmerz, daß es kein Glück gebe für den, der nicht den Weg der Leiden gegangen ist. Aber diese Weisheit, die sie dem Leben abgerungen, blieb nicht kalt und unfruchtbar; die Fähigkeit zur spendenden Liebe, die einst ihr Wesen in heißen Konvulsionen erschüttert, zog sie nun zu den Kindern hin, die sie Musik lehrte und denen sie vom Schicksal und seinen Tücken erzählte, wie von einem Menschen, vor dem man sich hüten muß. Und so gingen ihre Monate, Tag für Tag dahin.

      Und wenn der Frühling ins Land kam und warmer segnender Sommer, dann überströmten auch ihre Abende von inniger Schönheit …

      Sie saß dann am Klavier beim offenen Fenster. Von außen zitterte ein feiner würziger Duft herein, wie ihn der erste Frühling bringt, und das Brausen der Großstadt war fern wie ein Meer, das seine stürmischen Fluten gegen die weißen Gestade wirft. Im Zimmer trällerte der Kanarienvogel die lustigsten Läufe, und draußen vom Gang hörte man die Knaben des Nachbars mit ihren tollen, übermütigen Spielen. Wenn sie aber zu spielen begann, dann wurde es draußen still; leise, ganz leise ging dann die Tür auf, und ein Knabenkopf nach dem anderen schob sich herein, um andächtig zu horchen. Und Erika fand wehmütige Melodien mit ihren weißen schmalen Fingern, die immer heller und durchleuchtender zu werden schienen, dazwischen leise Phantasien, bei denen verhallte Erinnerungen anklangen.

      Und einmal, als sie so spielte, kam ihr ein Motiv, dessen sie sich nicht entsinnen konnte. Und sie spielte es immer wieder, bis sie es jählings erkannte; das Volkslied, die wehmütige Liebesweise, mit der er sein Liebeslied begonnen …

      Da ließ sie die Finger sinken und träumte wieder von der Vergangenheit. Ganz ohne Groll und Neid waren ihre Gedanken. Wer weiß, ob es nicht das Beste gewesen, daß sie sich damals nicht gefunden … Und ob sie sich vertragen? Wer kann es wissen? … Aber … – sie schämte sich beinahe des Gedankens – ein Kind hätte sie gerne von ihm gehabt, ein schönes goldlockiges Kind, das sie hätte wiegen und warten können, wenn sie allein war, ganz einsam war …

      Sie lächelte. Was für dumme Träumereien das doch waren!

      Und tastend suchten ihre Finger wieder das vergessene Liebesmotiv …

      Vergessene Träume

       Inhaltsverzeichnis

      Die Villa lag hart am Meer.

      In den stillen, dämmerreichen Piniengängen atmete die satte Kraft der salzhältigen Seeluft und eine leichte beständige Brise spielte um die Orangenbäume und streifte hie und da, wie mit vorsichtigen Fingern, eine farbenbunte Blüte herab. Die sonnenumglänzten Fernen, Hügel, aus denen zierliche Häuser wie weiße Perlen hervorblitzten, ein meilenweiter Leuchtturm, der einer Kerze gleich steil emporschoß, alles schimmerte in scharfen, abgegrenzten Konturen und war, ein leuchtendes Mosaik, in den tiefblauen Azur des Äthers eingesenkt. Das Meer, in das nur selten weit, weit in der Ferne, weiße Funken fielen, die schimmernden Segel von einsamen Schiffen, schmiegte sich mit der beweglichen Weise seiner Wogen an die Stufenterrasse an, von der sich die Villa erhob, um immer tiefer in das Grün eines weiten, schattendunklen Gartens zu steigen und sich dort in dem müden, märchenstillen Park zu verlieren.

      Von dem schlafenden Hause, auf dem die Vormittagshitze lastete, lief ein schmaler, kiesbedeckter Weg wie eine weiße Linie zu dem kühlen Aussichtspunkte, unter dem die Wogen in wilden, unaufhörlichen Anstürmen grollten und hie und da schimmernde Wasseratome heraufstäubten, die beim grellen Sonnenlichte im regenbogenfunkelnden Glanz von Diamanten prahlten. Dort brachen sich die leuchtenden Sonnenpfeile teils an den Pinienwichseln, die dicht beisammen wie im vertrauten Gespräche standen, teils hielt sie ein weitausgespannter japanischer Schirm ab, auf dem lustige Gestalten mit scharfen, unangenehmen Farben festgehalten waren.

      Innerhalb des Schattenbereiches dieses Schirmes lehnte in einem weichen Strohfauteuil eine Frauengestalt, die ihre schönen Formen wohlig in das nachgiebige Geflecht schmiegte. Die eine schmale, unberingte Hand hing wie vergessen herab und spielte mit leisem, behaglichem Schmeicheln in dem glitzernden Seidenfelle eines Hundes, während die andere ein Buch hielt, auf das die dunkeln, schwarzbewimperten Augen, in denen es wie ein verhaltenes Lächeln lag, ihre ununterbrochene Aufmerksamkeit konzentrierten. Es waren große, unruhige Augen, deren Schönheit noch ein matter verschleierter Glanz erhöhte. Überhaupt war die starke, anziehende Wirkung, die das ovale, scharfgeschnittene Gesicht ausübte, keine natürliche, einheitliche, sondern ein raffiniertes Hervorstechen einzelner Detailschönheiten, die mit besorgter, feinfühliger Koketterie gepflegt waren. Das anscheinend regellose Wirrnis der duftenden, schimmernden Locken war die mühevolle Konstruktion einer Künstlerin, und auch das leise Lächeln, das während des Lesens die Lippen umzitterte und dabei den weißen, blanken Schmelz der Zähne entblößte, war das Resultat einer mehrjährigen Spiegelprobe, aber jetzt schon zur festen, unablegbaren Gewohnheitskunst geworden.

      Ein leises Knistern im Sande.