die Deinen ausrief. Diese Kunde, welche so wahr ist wie mein Haß gegen Dich, sendet Dir der arme, verbannte, verhöhnte und beraubte Augenarzt aus Babylon nach Aegypten.‹
»Höre diese Worte, Psamtik, und laß Dir von Deinem sterbenden Vater sagen, daß jedes Unrecht, welches Dir auf Erden eine Drachme Genuß verschafft, Deine Todesstunde mit einem Talente Verzweiflung belastet. Um Nitetis willen wird furchtbares Unglück über Aegypten hereinbrechen. Die Nachricht der arabischen Händler ist wahr. Kambyses rüstet gegen uns und wird Aegypten überfallen wie ein brennender Wüstenwind. Vieles, was ich geschaffen, woran ich den Schlaf meiner Nächte und das Mark meines Lebens setzte, wird vernichtet werden. Aber dennoch hab’ ich nicht umsonst gelebt, denn vierzig Jahre lang bin ich der sorgende Vater, der Wohlthäter eines großen Volkes gewesen. Ferne Enkel werden den Namen des Amasis als eines großen, weisen und menschenfreundlichen Königs nennen, und von meinen Bauten zu Sais und Theben mit Bewunderung lesen den Namen ihres Gründers und preisen die Fülle seiner Macht! Ja, auch Osiris und die zweiundvierzig Richter werden mich in der Unterwelt nicht verdammen, und die Göttin der Wahrheit, die Herrin der Waagschale529, wird finden, daß das Gewicht meiner guten die Last meiner bösen Thaten überwiegt!« – Der König seufzte und schwieg lange Zeit. Endlich blickte er seine Gattin mit herzlicher Innigkeit an und sagte: »Du, Ladice, bist mein treues, tugendhaftes Weib gewesen. Ich danke Dir dafür und bitte Dich für Vieles um Verzeihung. Häufig konnten wir uns nicht verstehen. Ja, es ist mir leichter geworden, mich in die Eigenart Deines Volkes hineinzudenken, als Dir, das ägyptische Wesen zu verstehen. Du weißt, wie hoch ich die Kunst Deiner Landsleute schätze, wie gern auch ich mit Pythagoras, Deinem Freunde, verkehrte, der tief eingeweiht war in Alles, was wir wissen und glauben, und Vieles davon freudig aufnahm. Er, der die tiefe Weisheit der Lehren erfaßt hatte, die mir hochheiliger erscheinen als alles Andere, was ich kenne, hütete sich wohl, der Wahrheiten zu spotten, die die Priesterschaft vielleicht zu ängstlich dem Volke verbirgt. Das beugt sich willig vor dem Unbegreiflichen und dessen Verkündern; wär’ es denn aber nicht schöner und edler, wenn man es das Wahre zu verstehen lehrte und es aufrichtete, anstatt es zu beugen? Freilich würden so die Priester weniger gehorsame Diener, die Götter aber mehr freie und würdige Verehrer finden. Mit unserem Thierdienste, Ladice, konntest Du Dich am wenigsten befreunden; aber ich meine doch, es sei richtiger und des Menschen würdiger, den Schöpfer im Geschöpfe, als in steinernen Bildsäulen anzubeten. Zudem sind eure Götter allen menschlichen Schwächen unterworfen, ja ich hätte meine Königin sehr unglücklich gemacht, wenn ich gleich dem hellenischen Zeus gelebt haben würde.«
Bei diesen Worten lächelte der König; dann fuhr er fort: »Aber weißt Du, woher das komm? Den Hellenen geht die schöne Form über Alles; darum vermögen sie den Leib, den sie für das Herrlichste alles Geformten halten, nicht von der Seele zu trennen, wie sie auch behaupten, daß ein schöner Geist nothwendig in einem schönen Körper wohnen müsse. So sind ihre Götter nichts als gesteigerte Menschen, während wir die Gottheit in der Natur und in uns selbst als körperlos wirkende Kraft erkennen. Zwischen dieser und dem Menschen steht das Thier, welches nicht, wie wir, nach dem Buchstaben, sondern nach den ewigen Gesetzen der Natur handelt530. Dieser ist nur von Menschen erdacht, jene aber verdanken der Gottheit ihren Ursprung. Und wer von uns strebt wohl so dringend nach Freiheit, dem höchsten Gute, als die Thiere? Wer lebt ohne Lehren und Anweisungen so gleichmäßig fort von Geschlecht zu Geschlecht, als jene?«
Hier versagte die Stimme des Königs, der nach kurzer Pause fortfuhr: »Ich fühle, daß es zu Ende geht, darum genug von diesen Dingen. Laß Dir, mein Sohn und Nachfolger, meinen letzten Willen aussprechen. Handle nach ihm, denn die Erfahrung spricht zu Dir! Aber ach, ich habe in meinem langen Leben hundertfach gesehen, daß alle Lebensregeln, die Andere uns mit auf den Weg geben, unnütz sind. Kein Mensch darf für einen zweiten Erfahrungen machen. Nur durch eigene Verluste wird man vorsichtig, nur durch eigenes Lernen klug! Du besteigst den Thron in gereiften Jahren, mein Sohn, und hast Zeit gehabt, über das Rechte und Unrechte, das Heilsame und Schädliche nachzudenken und Dinge verschiedener Art zu sehen und zu vergleichen. Darum gebe ich Dir keine allgemeinen Lehren, sondern begnüge mich damit, Dir einzelne nutzbare Rathschläge zu ertheilen. Ich reiche sie Dir mit der rechten Hand, aber ich fürchte, daß Du sie mit der linken aufnehmen wirst.
»Vor Allem magst Du wissen, daß ich in den letzten Monaten, trotz meiner Blindheit, nur scheinbar theilnahmlos Deinem Treiben zugesehen und Dir in guter Absicht freies Spiel gelassen habe. Rhodopis erzählte mir einst eine Fabel ihres Lehrers Aesop: ›Ein Wanderer begegnete einem Manne und fragte ihn, wie lange Zeit er brauchen würde, um bis zur nächsten Stadt zu gelangen. »Geh’ nur, geh’!« rief der Befragte. – »Ich will doch aber erst wissen, wann ich in der Stadt sein werde!« – »Geh’ nur, geh’!« – Der Wanderer entfernte sich empört und Verwünschungen ausstoßend. Nachdem er einige Schritte fortgewandert war, rief ihn der Gescholtene zurück und sagte: »Du wirst eine Stunde bedürfen, um zur Stadt zu gelangen. Ich konnte Deine Frage nicht eher richtig beantworten, als bis ich Deinen Gang gesehen!«‹
»Zu Deinem Besten merkte ich mir diese Fabel und beobachtete schweigend die Art Deines Regierungsganges, um Dir sagen zu können, ob Du zu schnell oder zu langsam wandertest. Jetzt weiß ich, was ich zu erfahren wünschte, und gebe Dir zu meinen Ratschlägen die Lehre in den Kauf: ›Prüfe Alles selbst!‹ Jeder Mensch, besonders aber ein König, hat die Pflicht, sich von Allem, was Diejenigen betrifft, für deren Wohl er zu sorgen hat, selbst zu überzeugen. Du, mein Sohn, siehst zu viel durch fremde Augen, hörst zu viel durch fremde Ohren und gehst zu wenig zu der ersten Quelle zurück. Deine Rathgeber, die Priester, wollen sicher nur das Gute; aber, – Neithotep, ich bitte Dich, uns einen Augenblick allein zu lassen.«
Sobald sich der Oberpriester entfernt hatte, rief der König: »Sie wollen das Gute, aber nur das, was ihnen gut ist! Wir aber sind nicht die Könige der Priester und Vornehmen, sondern die Fürsten des Volkes. Höre darum nicht ausschließlich auf den Rath jener stolzen Kaste, sondern überzeuge Dich selbst, indem Du alle Bittschriften liesest und treue, Dir ergebene und im Volke beliebte Monarchen anstellest, was den Aegyptern gebricht, was sie hoffen und wessen sie bedürfen. Weißt Du genau, wie es im Lande steht, dann ist es unschwer, gut zu regieren. Wähle nur die rechten Beamten; für die richtige Eintheilung des Reiches bin ich besorgt gewesen, und unsere Gesetze sind gut und haben sich bewährt. An ihnen halte Dich, und traue Keinem, der sich für klüger ausgibt als das Gesetz, denn ich sage Dir, das Gesetz ist überall und immer klüger als der Einzelne, und der Uebertreter einer Strafe werth. Das empfindet niemand tiefer als das Volk, welches sich für uns um so freudiger opfert, je williger wir unsern Einzelwillen dem Gesetze zu opfern verstehen. Du fragst nichts nach dem Volke. Seine Stimme pflegt freilich rauh zu sein; sie gibt aber gewöhnlich gesunden Anschauungen Ausdruck; sie kennt keine Lüge, und Niemand bedarf dringender der Wahrheit, als ein König. Der Pharao, welcher den Priestern und Höflingen am willigsten folgt, wird die meisten Schmeichelworte hören; derjenige, welcher die Wünsche des Volkes zu erfüllen strebt, durch seine Umgebung viel zu leiden haben, in seinem Herzen aber zufrieden sein und von der Nachwelt gepriesen werden. Ich habe in meinem Leben oft gefehlt, und dennoch werden mich die Aegypter beweinen, denn ich kannte stets ihre Bedürfnisse und war wie ein Vater auf ihr Wohl bedacht. Für einen König, der seine Pflichten kennt, ist es leicht und schön, sich die Liebe des Volkes, undankbar, den Beifall der Großen, beinahe unmöglich, die Zufriedenheit Beider zu erwerben.
»Erinnere Dich, das wiederhole ich, stets daran, daß Du und die Priester für das Volk und nicht das Volk für Dich und die Priester da ist. Ehre die Religion um ihrer selbst willen und als die wesentlichste Stütze des Gehorsams der Völker gegen die Könige; zeige aber ihren Verkündigern, daß Du sie nicht als Gefäße, sondern als Diener der Gottheit betrachtest. Sie haben es verstanden, sich im Bewußtsein der Menge über die Gottheit zu stellen und aus den Aegyptern gehorsamere Priesterknechte als Götterdiener zu machen. Dieser ihrer Jahrtausende langen Arbeit vermag keine Herrschermacht entgegen zu wirken; wohl aber können wir ihnen in den Arm greifen, wenn sie das Leben des Staates ihren Einzelzwecken unterzuordnen versuchen. Glaube mir, mein Sohn, daß die Priesterschaft stündlich bereit ist und sein wird, sobald sie die Macht ihrer Kaste gefährdet sieht,