besseren Neuen das Thor des Reiches. Frevler brechen schnell mit dem Hergebrachten, Narren finden nur Fremdes und Neues wünschenswerth; beschränkte Thoren oder eigennützige Bevorzugte klammern sich unbedingt an das Alte und nennen den Fortschritt Sünde; Weise bemühen sich, durch die Vergangenheit Bewährtes festzuhalten, schadhaft Gewordenes zu beseitigen, Gutes, möge es stammen, woher es wolle, aufzunehmen. Darnach handle, mein Sohn! Die Priester werden Dich rückwärts drängen, die Hellenen Dich vorwärts zu treiben versuchen. Schließe Dich dem einen oder dem anderen Theile an; hüte Dich aber, in der Mitte stehen zu bleiben und heute diesen, morgen jenen nachzugeben. Wer zwei Sessel zugleich benutzen will, kommt auf die Erde zu sitzen. Eine Partei sei Dein Freund, die andere Dein Feind, denn versuchst Du es mit Beiden zu halten, so werden sehr bald Beide Deine Feinde werden. Die Menschen sind einmal so, daß sie Diejenigen hassen, welche ihren Gegnern Gutes erweisen.
»In den letzten Monaten, welche Dich selbstständig regieren sahen, hast Du durch Dein unseliges Hin- und Herschwanken beide Theile verletzt. Wer bald vorwärts, bald rückwärts geht wie die Kinder, kommt zu spät zum Ziele und ermüdet vorzeitig. Ich hielt es mit den Hellenen und trat den Priestern entgegen, bis ich meine letzte Stunde nahen fühlte. Im lebendigen Treiben des Lebens schienen mir die tapferen und klugen Griechen besonders brauchbar; zum Sterben aber bedarf ich Derer, welche den Paß in die Unterwelt ausstellen. Mögen mir die Götter verzeihen, daß ich selbst in der letzten Stunde meinen Mund so leichtfertig klingenden Worten nicht zu verschließen vermag. Sie haben mich gemacht, wie ich bin, und müssen mich nun auch ebenso hinnehmen. Ich rieb mir die Hände, als ich König wurde; mögest Du die Hand auf’s Herz legen, wenn Du den Thron besteigst! Rufe Neithotep wieder herein, ich muß euch Beiden noch etwas sagen!«
Als der Oberpriester an seiner Seite stand, strecke der König ihm die Hand entgegen und sprach: »Ich scheide ohne Groll von Dir, obgleich ich meine, daß Du Deine Pflichten als Priester besser zu erfüllen verstandest, wie die als Sohn Deines Vaterlandes und als Diener Deines Königs. Psamtik wird Dir, denk’ ich, williger gehorchen, als ich; Eins aber lege ich euch Beiden an’s Herz: Entlaßt die hellenischen Söldner nicht eher, als bis ihr die Perser mit ihrer Hülfe bekriegt und hoffentlich geschlagen haben werdet! Meine Weissagung von vorhin hat keinen Werth; man verliert die gute Laune und sieht ein wenig schwarz, wenn’s an’s Sterben geht. Ohne die Hülfstruppen werdet ihr rettungslos verloren sein; mit ihnen ist es nicht unmöglich, daß die ägyptischen Heere siegen. Seid klug und macht die Ionier darauf aufmerksam, daß sie am Nile für die Freiheit ihrer eigenen Heimath kämpfen. Der siegreiche Kambyses wird sich nicht mit Ägypten begnügen, während eine Niederlage der Perser auch den geknechteten Ioniern die Freiheit bringen kann. Ich wußte, daß Du mir zustimmen würdest, Neithotep, denn im Grunde meinst Du es doch wohl gut mit Aegypten. Jetzt bitte ich Dich, mir die heiligen Gebete vorzulesen. Ich fühle mich sehr erschöpft; bald ist’s vorbei. Könnte ich nur der armen Nitetis vergessen! Hatte sie das Recht uns zu verfluchen? Die Todtenrichter und Osiris mögen sich unserer Seelen erbarmen! – Setze Dich hierher, Ladice, und lege die Hand auf meine heiße Stirn; Du aber, Psamtik, schwöre in Gegenwart dieser Zeugen, daß Du Deine Stiefmutter hochhalten und ehren willst, als wärst Du ihr eigenes Kind. Armes Weib! Du solltest mich bald aufsuchen bei Osiris. Was willst Du noch ohne Gatten und Kinder auf dieser Erde? Wir haben Nitetis wie unsere eigene Tochter auferzogen, und dennoch werden wir um ihretwillen so schwer bestraft. Aber ihr Fluch trifft uns allein; nicht Dich, Psamtik, nicht Deine Kinder! Bringt mir jetzt meinen Enkel! Ich glaube, daß das eine Thräne war. Nun, man pflegt sich gewöhnlich von kleinen Dingen, an die man sich gewöhnt hat, am schwersten zu trennen!«
Ein neuer Gast war am selben Abend bei Rhodopis eingetroffen; Kallias, der Sohn des Phaenippus531, den wir bereits als Erzähler des Verlaufs der olympischen Spiele kennen gelernt haben.
Der muntere Athener kam soeben aus seiner Heimath zurück und war, als alter, bewährter Freund, mit Freuden von der Greisin aufgenommen und in das Geheimniß des Hauses eingeweiht worden.
Knakias, der alte Sklave, hatte zwar die Empfangsfahne seit zwei Tagen mit in’s Haus genommen, wußte aber, daß Kallias seiner Herrin stets willkommen sei und führte ihn deßwegen ebenso schleunig zu ihr, wie er jeden anderen Besucher zurückwies.
Der Athener wußte viel Neues zu erzählen und führte endlich, als sich Rhodopis in Geschäften entfernte, Sappho, seinen Liebling, in den Garten, um dort mit ihr scherzend und neckend nach dem sehnlich erwarteten Geliebten auszuschauen. Als er länger und länger ausblieb und die Jungfrau besorgt zu werden begann, rief er die alte Melitta, die beinahe noch ängstlicher als ihre Herrin nach Naukratis blickte, und ersuchte sie, das Saitenspiel, welches er mitgebracht hatte, in den Garten zu bringen.
Nachdem er die schöne, ziemlich große Laute von Gold und Elfenbein der Jungfrau überreicht hatte, sagte er lächelnd: »Dieses herrliche Instrument hat sein Erfinder, der göttliche Anakreon, auf meinen Wunsch eigens für mich machen lassen. Er nennt es Barbiton532 und entlockt ihm wunderbare Töne, die selbst nach im Schattenreiche fortklingen werden.533. Ich habe dem Dichter, der sein Leben wie ein großes, den Musen, dem Eros und dem Dionysus dargebrachtes Opfer verbringt534, von Dir erzählt und ihm versprechen müssen, Dir folgendes Liedchen, das er für Dich ersonnen, als ein Geschenk von ihm zu überbringen. Höre:
Tantalus Tochter ward gebannt
Zu Felsgestein im Phrygerland,
Und als ein Vogel flog vor Zeiten
Pandion’s Kind in alle Weiten;
»Ich aber möcht’ ein Spiegel sein,
Dann säh’st Du stets in mich hinein;
Ich würde gern zu Deinem Kleid,
Dann trügest Du mich allezeit
»Ich wollte, daß ich Wasser wär’,
Dann plätschert’ ich rings um Dich her;
Auch möcht’ ich gern, o Mägdelein,
Um Dich zu salben, Balsam sein!
»Zum Gürtel dient’ ich gerne Dir,
Zur Perle, Deines Halses Zier,
Zum Schuh, den Du Dir angeschnürt,
Damit mich nur Dein Fuß berührt’535!«
»Zürnst Du dem unbescheidenen Sänger?«
»Wie sollt’ ich! Dem Dichter muß man schon eine Freiheit gestatten!«
»Und noch dazu solchem Dichter!«
»Der einen so meisterhaften Sänger zum Ueberbringer seiner Lieder wählt!«
»Schmeichlerin! Ja, als ich zwanzig Jahre jünger war, wurde meine Stimme und mein Vortrag mit Recht gerühmt; jetzt aber . . . .«
»Du willst nur neues Lob ernten; ich lasse mir aber nichts abzwingen! Doch möchte ich gern wissen, ob dieses sogenannte Barbiton mit seinen weichen Klängen auch für andere Lieder als die des Tejers geeignet ist?«
»Ganz gewiß! Nimm’ das Plektrum536 und versuche selbst, die Saiten zu schlagen, welche freilich für Deine zarten Finger etwas schwer zu bemeistern sind537.«
»Ich kann nicht singen, denn ich bin der Ausbleibenden wegen gar zu unruhig!«
»Oder Du fühlst mit anderen Worten, daß Dir vor Sehnsucht die Stimme versagt. Kennst Du das Lied Deiner lesbischen Muhme, der großen Sappho, welches die Stimmung schildert, in der Du Dich in diesem Augenblick aller Wahrscheinlichkeit nach befindest?«
»Ich glaube nicht.«
»So