Georg Ebers

Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie


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den Bogen von Ebenholz mit der Linken und die fingerdicke Sehne von Löwendärmen mit der Rechten, holte aus tiefster Brust Athem, krümmte den gewaltigen Rücken und zog und zog und raffte all’ seine Kraft zu ungeheurer Anstrengung zusammen und spannte seine Sehnen an, bis sie zu reißen und die Adern auf seiner Stirn zu springen drohten, und verschmähte es nicht, selbst mit den Füßen zu arbeiten, um mit ihrer Hülfe das Ungeheure zu bewerkstelligen; aber Alles war vergebens, denn nach einer Viertelstunde voll übermenschlicher Anstrengung ließen seine Kräfte nach, schnellte das Ebenholz, welches er schon weiter als Darius gebogen hatte, zurück und spottete all’ seiner ferneren Versuche. Endlich, als er sich völlig erschöpft fühlte, warf er den Bogen wüthend zur Erde nieder und rief: »Der Aethiope ist ein Lügner! Kein Sterblicher hat diese Waffe je gespannt! Was meine Arme nicht vermögen, das vermag kein anderer Arm! In drei Tagen brechen wir nach Aethiopien auf. Dort will ich den Betrüger zum Zweikampfe herausfordern und euch zeigen, wer der Stärkere ist von uns Beiden. Hebe den Bogen auf, Prexaspes, und bewahre ihn wohl, denn ich gedenke den schwarzen Lügner mit seiner Sehne dort zu erdrosseln. Dies Holz ist wahrlich fester als Eisen! Wer es zu spannen vermöchte, den wollt’ ich gern meinen Meister nennen, denn der wäre in der That von besserer Art, als ich!«

      Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als Bartja in den Kreis der versammelten Perser trat. Reiche Gewänder umwallten seine herrliche Gestalt, und seine Züge strahlten vor Glück und selbstbewußter Kraft. Freundlich winkend, durchschritt er die Reihen der Achämeniden, die den schönen Jüngling mit froher Bewunderung grüßten, schritt geraden Wegs auf seinen Bruder zu, küßte sein Gewand und rief, indem er ihm frei und heiter in die finsteren Augen schaute: »Ich habe mich ein wenig verspätet und bedarf Deiner Entschuldigung, mein hoher Herr und Bruder. Oder sollt’ ich doch zu rechter Zeit gekommen sein? Ja, wahrlich, ich sehe noch keinen Pfeil in der Scheibe und schließe daraus, daß Du, der beste Schütze der Welt, Deine Kraft noch nicht versuchtest! Du siehst mich fragend an? Nun, ich will nur gestehen, daß mich unser Kind ein wenig aufgehalten hat. Das Püppchen lachte heut’ zum ersten Male und war so lieb mit seiner Mutter, daß ich darüber Zeit und Stunde vergaß. Spottet nur über meine Narrheit, kann ich mich doch selbst kaum freisprechen! Sieh’ nur, das kleine Ding hat mir wahrhaftig den Stern von der Halskette gerissen! Nun, ich denke, lieber Bruder, daß Du mir einen neuen verehren wirst, wenn mein Pfeil den Mittelpunkt des Zieles durchbohrt. Darf ich gleich mit dem Schießen beginnen, ober willst Du, mein König, den Anfang machen?«

      »Gib ihm den Bogen, Prexaspes!« erwiederte Kambyses, den Jüngling keines Blickes würdigend.

      Als Bartja das Geschoß in Empfang genommen hatte und im Begriffe war, Bogen und Sehne sorglich zu prüfen, lachte der König spöttisch aus und rief: »Ich glaube, beim Mithra, daß Du dies Geschoß, wie die Herzen der Menschen, mit süßen Blicken Dir gefällig zu machen versuchst! Gib nur Prexaspes den Bogen zurück! Es spielt sich leichter mit schönen Weibern und lachenden Kindern, als mit dieser Waffe, welche der Kraft ächter Männer spottet!«

      Die meisten Achämeniden brachen bei dieser wunderbaren Kraftprobe in lauten Jubel aus, während die nächsten Freunde des Siegers erbleichten und schweigend bald den vor Wuth zitternden König, bald den vor Stolz und Selbstbewußtsein strahlenden Bartja anschauten.

      Kambyses bot einen wilden, Entsetzen erregenden Anblick dar. Es war ihm, als habe der in die Scheibe dringende Pfeil sein eigenes Herz, seine Würde, seine Kraft, seine Ehre durchbohrt. Funken sprühten vor seinen Augen, in seinen Ohren brauste es, als peitsche neben ihm der Sturm die brandenden Wogen, während seine Wangen glühten und sich seine Rechte krampfhaft um den Arm des neben ihm stehenden Prexaspes klammerte. Dieser wußte den Druck der königlichen Hand wohl zu deuten und murmelte: »Armer Bartja!«

      Endlich gelang es dem Könige, die nöthige Fassung wieder zu gewinnen. Schweigend warf er seinem Bruder eine goldene Kette zu, befahl seinen Großen, ihm zu folgen, und verließ den Garten, um in seinen Gemächern ruhelos auf und ab zu wandern und seinen Groll im Wein zu ersäufen. Plötzlich schien er einen Entschluß gefaßt zu haben, befahl allen Höflingen, außer Prexaspes, die Halle zu verlassen, und rief ihm, als sie allein waren, mit trunkenen Blicken und heiserer Stimme zu: »Dies Leben ist nicht länger zu ertragen! Schaffe meinen Feind aus der Welt, und ich will Dich meinen Freund und Wohlthäter nennen.«

      Prexaspes erbebte, warf sich vor dem Herrscher nieder und hob seine Hände flehend zu ihm empor; Kambyses war aber zu berauscht und von seinem Hasse zu sehr verblendet, um diese Bewegung des Höflings zu verstehen. Er glaubte, daß der Botschafter durch jenen Fußfall seine Ergebenheit bezeugen wolle, winkte ihm, sich vom Boden zu erheben, und flüsterte, als wenn er sich seine eigenen Worte zu vernehmen fürchtete: »Handle schnell und geheimnißvoll! Niemand außer Dir und mir darf, so lieb Dir Dein Leben ist, von dem Tode des Glückspilzes wissen. Geh’ hin und nimm Dir nach vollbrachter Arbeit soviel Du willst aus der Schatzkammer! Sei auch vorsichtig, denn der Knabe hat einen starken Arm und versteht die Kunst, sich Freunde zu gewinnen. Denke, wenn er Dich mit glatten Worten versuchen wird, an Dein Weib und Deine Kinder!«

      Bei diesen Worten leerte er einen neuen Becher voll ungemischten Weins, taumelte unsicheren Schrittes durch das Thor des Gemaches und rief, indem er Prexaspes den Rücken zuwandte, und als wenn er zu sich selbst spräche, mit heiserer Kehle, mit schwerer Zunge und drohender Faust: »Wehe Dir und den Deinen, wenn der Weiberheld, der Glückspilz, der Ehrendieb am Leben bleibt!«

      Als er längst den Saal verlassen hatte, stand Prexaspes noch immer regungslos auf dem alten Platze. Der ehrgeizige, aber nicht unedle Despotendiener war niedergeschmettert von der Furchtbarkeit der ihm zuertheilten Aufgabe. Er wußte, daß ihm und den Seinen, wenn er sich den verbrecherischen Plan des Königs auszuführen weigern würde, Tod oder Ungnade drohe; doch, er liebte Bartja, und sein ganzes Wesen empörte sich bei dem bloßen Gedanken, eine gemeine Mordthat begehen zu sollen. Ein furchtbarer Kampf entspann sich in seinem Innern, der in ihm forttobte, als er den Palast schon längst verlassen hatte. Auf dem Wege zu seinem Hause begegnete er Krösus und Darius. Er versteckte sich vor ihnen hinter das vorspringende Thor eines großen ägyptischen Hauses, denn er meinte, sie müßten ihm ansehen, daß er den Pfad des Verbrechens wandle. Als sie an ihm vorübergingen, vernahm er, wie Krösus sagte: »Ich habe Bartja wegen seiner unzeitigen Kraftprobe streng getadelt, und wir müssen den Göttern danken, daß sich Kambyses nicht in einem Anfalle von Jähzorn an ihm vergriffen hat. Jetzt ist er meinem Rathe gefolgt und mit seinem Weibe nach Sais gefahren. Der König darf ihn in den ersten Tagen nicht wieder sehen, denn sein Groll könnte bei seinem Anblicke leicht von neuem erwachen, und ein Herrscher findet zu jeder Zeit ruchlose Diener . . .«

      Bei diesen letzten, verhallenden Worten zuckte Prexaspes schmerzlich zusammen, als habe Krösus ihn selbst der Schändlichkeit bezichtigt, und beschloß, möge kommen, was da wolle, seine Hände nicht mit dem Blute eines Freundes zu beflecken. Nun ging er wieder in hochaufgerichteter Haltung einher, bis er zu der ihm angewiesenen Wohnung gelangte. An der Thür derselben sprangen ihm seine beiden Söhne entgegen, die sich von dem Spielplatze der Achämeniden-Knaben, welche dem Reichsheere und dem Könige, wie immer, gefolgt waren, fortgestohlen hatten, um ihren Vater auf einen Augenblick zu begrüßen. In seltsamer, ihm selbst unverständlicher Rührung drückte er die schönen Kinder an seine Brust und umarmte sie nochmals, als sie erklärten, wenn sie nicht bestraft werden wollten, zum Spielplatze zurückkehren zu müssen. In seiner Wohnung fand er seine Lieblingsgattin mit ihrem jüngsten Kinde, einem holden kleinen Mädchen, spielend. Da erfaßte ihn abermals jene unerklärliche Rührung. Diesmal bezwang er sie, um seinem jungen Weibe sein Geheimniß nicht zu verrathen, und zog sich bald in sein Gemach zurück.

      Indessen war die Nacht hereingebrochen.

      Schlaflos wälzte sich der schwer Versuchte aus seinem Lager umher; der Gedanke,