behütete.
»Es ist eher so, dass die Kosmokraten die Grenzen abstecken«, sagte Stalker darauf, und das in einem Tonfall, der Adams hellhörig werden ließ. Doch schon mit dem nächsten Satz wechselte er das Thema und schwärmte von den »Wundern von ESTARTU«.
Reden konnte Stalker wie kaum ein anderer. Einlullen ließ sich Adams davon nicht; er sorgte jedenfalls dafür, dass Stalker in den folgenden Wochen nie allein im Stalhof war. Stets musste wenigstens einer seiner drei Vertrauten anwesend sein. Stalker wurde eine von NATHAN abgesicherte Unterkunft zugewiesen, in die er sich zurückziehen konnte, sobald andere Hanse-Sprecher in den Stalhof kamen.
Adams verfolgte die Aktivitäten des Dekalogs der Elemente sehr viel aufmerksamer als zuvor, weil er nun nach Querverbindungen zu Stalker suchte. Dass er nicht einmal Andeutungen für mögliche Zusammenhänge aufspürte, beruhigte ihn. Besonders erleichtert war er, als sich Beweise dafür fanden, dass Kazzenkatt persönlich die Aktionen in der Eastside leitete. Damit fiel eine schwere Last von seinen Schultern.
»Kazzenkatt kannst du wenigstens nicht sein«, sagte er daraufhin zu Stalker, und sie lachten beide darüber.
Adams fasste immer mehr Zutrauen zu Stalker, auch wenn er manches an ihm als störend empfand. Stalker war der perfekte Verführer, zumindest erkannte Adams diese Wirkung. Stalker schaffte es jedenfalls, Adams für Dinge zu begeistern, die zuvor für ihn undenkbar gewesen wären. Schon das Risiko, einen Fremden im Stalhof unterzubringen, wäre er früher nie eingegangen. Stalker hatte ihn außerdem dazu gebracht, NATHAN zu manipulieren. Das war Verführung durch Motivation, nicht durch Beeinflussung.
»Ich hätte dich Mephisto nennen sollen«, sagte Adams scherzhaft.
»Stalker ist treffender«, erwiderte Sotho Tal Ker, und Adams glaubte ihm, dass er es tatsächlich so meinte. Adams fragte sich nur, in welcher Beziehung diese Bezeichnung auf ihn zutraf; es gab da mehrere mögliche Auslegungen.
Adams beruhigte sich schließlich damit, dass Stalker ihn nur verleiten konnte, Dinge zu tun, die er früher nie für möglich gehalten hätte, weil er selbst es so wollte. Weil er endlich das Schneckenhaus verlassen wollte, in dem er immer gelebt hatte. Etwas von Stalkers Selbstsicherheit färbte auf ihn ab. Und das lag eben weniger an der Verführungskunst des Fremden als an Adams' Bereitschaft, endlich die eingetretenen Pfade zu verlassen.
Sie verstanden sich mit jedem Tag besser. Adams speicherte alle Daten, die er von Stalker über ESTARTU erhielt, unter der Bezeichnung »Neuorganisation der Kosmischen Hanse zur Erschließung großer extragalaktischer Märkte«.
Dann kam es zu dem Warner-Zwischenfall, und dieser stellte ihre Beziehung auf eine harte Probe. Als Adams Stalkers Manipulationen erkannte, war er nahe daran, die ganze Sache platzen zu lassen. Er tat es nicht, und damit verstrickte er sich immer tiefer in Manipulationen, bis es keinen Ausweg mehr für ihn gab und ihm keine andere Wahl blieb, als die Angelegenheit bis zum Ende durchzustehen.
Nun stand das Finale vor dem Rat der Kosmischen Hanse bevor. Es würde die größte Entscheidung in Homer G. Adams' Leben bringen, so oder so.
Entweder er erlebte einen totalen Triumph – oder seine bitterste Niederlage. Eine dritte Möglichkeit gab es nicht.
3. Fernweh II
Tausende Raumschiffe aller Milchstraßenvölker waren der Endlosen Armada ins Solsystem gefolgt. In welchem Sonnensystem die Armadaeinheiten auch auftauchten, überall hatten sich ihnen Raumschiffe angeschlossen.
Angehörige aller Völker folgten der Endlosen Armada nach Terra, weil die Aktivierung dieses Chronofossils nicht nur für die Menschen Bedeutung hatte, sondern für die gesamte Milchstraße. Diese Überzeugung, so schien es, verbreitete die Armada während ihrer Durchquerung der Milchstraße. Nahezu alle kamen im Schlepp der Endlosen Armada – und sie erlebten das letzte Aufbäumen der Chaosmächte mit, als der Dekalog der Elemente die Finsternis in die Schlacht warf ...
Als alles vorbei war, wurden sie Zeuge der Aktivierung des bislang wichtigsten Chronofossils. Dieses Erlebnis vermittelte allen ein neues Gefühl der Zusammengehörigkeit, sie fühlten sich plötzlich als Galaktiker, als große Völkergemeinschaft. Die Saat der GAVÖK, der Galaktischen Völkerwürde-Koalition, ging nun erst richtig auf.
Dann kam die Zeit des Abschieds für die Endlose Armada. Das Umfeld des Solsystems lichtete sich nach und nach, weil zuerst das gewaltige Loolandre mit dem Armadaprinzen Nachor auf die Reise ging und eine Armadaeinheit nach der anderen folgte. Ein über Tage andauernder Prozess hatte begonnen ...
Nur die ungezählten Raumschiffe, die der Armada zum Solsystem gefolgt waren, blieben zurück. Ihre Passagiere spürten, dass noch etwas kommen würde, auf das sich zu warten lohnte ...
Lediglich ein einzelnes Raumschiff löste sich aus der Nähe des irdischen Mondes und schwenkte auf den Kurs der Endlosen Armada ein. Es war ein gewaltiges, hantelförmiges Schiff, das in den lunaren Werften überholt worden war. Die SOL hatte den Auftrag, die Endlose Armada auf ihrer Reise über unglaubliche 200 Millionen Lichtjahre hinweg zu begleiten.
4. Schicksalssplitter
Argentina Galdo:
Mit dem Verschwinden der Virensäule aus Madrid war Argentina Galdos letzte Hoffnung geschwunden, ihren Geliebten je wiederzusehen. Gregor Manda war der Sturmreiter von Madrid gewesen. Argentina hatte ihn kennengelernt, als sie die Virensäule vor dem Palacio Real aufgesucht und statt mit dem Virenimperium mit dem Sturmreiter Kontakt bekommen hatte. Von da an waren Gregor und sie in seiner spärlich bemessenen Freizeit immer beisammen gewesen.
Dann war die Finsternis über die Erde hereingebrochen, und Argentina hatte weit weniger um das Chronofossil Terra gebangt als um ihren Geliebten. Leider war mit dem Großteil des Virenimperiums und der Finsternis auch Gregor verschwunden. Niemand konnte Argentina sagen, was aus ihm geworden war, er galt als vermisst.
Schließlich erhob sich die Virensäule, löste sich auf und schwebte als Wolke in den terranischen Orbit empor. Damit verschwand Argentinas letzte Hoffnung, Informationen über den Verbleib des Geliebten zu erhalten.
Sie würde Gregor nie wiedersehen. Argentina war wie benommen, nahm ihre Umgebung kaum noch richtig wahr und kümmerte sich vor allem nicht mehr darum, was die Galaxis bewegte. Die Endlose Armada, dieser gewaltige Heerzug aus Abermillionen von Raumschiffen, konnte ihr gestohlen bleiben. Sie war blind für die immer noch gigantischen Virenwolken, die Terra umgaben, und sie war taub für deren mentales Wispern.
Argentina Galdo durchstreifte verloren die ausgedehnte Parklandschaft Casa de Campo. Ihr fiel gar nicht auf, dass sie immer öfter Menschen begegnete. Da waren Einzelgänger wie sie, aber zunehmend häufiger auch Gruppen von Terranern und Angehörigen anderer Völker. Für Argentina waren alle irgendwie Luft, sie nahm keine Notiz von ihnen.
Erst als sie zu einem größeren See kam, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Am Ufer hatten sich schon viele Leute eingefunden, und es wurden immer mehr. Sie widmeten sich eigentlich nicht dem See, sondern starrten in die Höhe.
Argentina folgten den Blicken und sah, dass eine ausgedehnte Virenwolke langsam herabsank. In diesem Moment, als sie von ihrem Schmerz abgelenkt wurde, vernahm sie das seltsame Wispern.
Mach dich frei!, flüsterte es in ihr. Sei ungebunden! Löse dich von allen Banden und wirf die Fesseln ab! Sei einfach nur du!
Argentina öffnete ihren Geist weiter und gab sich dem lautlosen Flüstern hin. Es half ihr über ihre Einsamkeit hinweg. Sie fühlte sich auf einmal nicht länger verloren, sondern irgendwie den vielen unbekannten Menschen zugehörig. Zum ersten Mal seit Langem gebrauchte sie wieder bewusst ihre Sinne. Sie sah und hörte.
Die Virenwolke senkte sich auf den See herab. Sie erschien wie feiner Nebel, vermittelte jedoch zugleich den Eindruck materieller Beschaffenheit. Nebelfinger griffen zum Ufer und bildeten stabile Brücken.
Die Menschen zögerten, diese Übergänge zu betreten – oder verstanden sie die Einladung nicht?