rollte mit den Augen.
»Ich bin dein Anleiter. Hör wenigstens ein Mal, ein einziges Mal auf das, was ich dir zu sagen habe.«
»Schon gut. Reg dich nicht so auf.« Das, was Sophie jetzt am wenigsten brauchen konnte, war ein Streit.
Leicht machte Matthias es ihr allerdings nicht.
»Oberste Priorität: Lass die Prüfungsfrage auf dich wirken und antworte dann erst. Und falls es Unklarheiten gibt: Frage nach! Bitte.«
»Hier sind wir! Da drüben ist mein Lieblingsschmuckgeschäft.«
»Wie kannst du jetzt an Schmuck denken?«, schimpfte Matthias.
»Da wird ein Parkplatz frei.« Sophie deutete auf den Wagen vor dem Ärztehaus. Das orangefarbene Blinklicht leuchtete weithin. »Wenn das kein gutes Omen ist.«
Matthias blieb stehen und wartete, bis der Parkplatz frei war. Seine Fingerspitzen trommelten auf dem Lenkrad.
»Du sollst nachfragen! Hast du das gehört?«, wiederholte er seine Anweisung.
»Jahaaa. Ich bin doch nicht schwer von Begriff.«
»Ich meine es ernst. Dein Stolz in allen Ehren. Aber die Prüfung zu bestehen, ist mindestens genauso wichtig.« Er kurbelte am Lenkrad, um den Wagen in die Lücke zu bugsieren.
»Ich frage nach, wenn ich etwas nicht verstanden habe«, versprach Sophie. »Auch wenn ich mir das nicht vorstellen kann.«
Matthias stellte den Motor ab. Er öffnete den Sicherheitsgurt und drehte sich zu Sophie um.
»Ich hätte nie gedacht, dass ich nervöser sein werde als du«, gestand er und strich ihr eine Strähne aus der Stirn. »Aber du bist der erste meiner Assistenzärzte, der die Facharztprüfung macht.«
»Wenn ich durchfalle, bekommst du die Kündigung vom Chef«, scherzte Sophie.
»Das mit ziemlicher Sicherheit nicht. Trotzdem würde ich an mir zweifeln.«
Täuschte er sich oder war ihr Lächeln spöttisch?
»Keine Sorge. Ich werde dir keine Schande machen.«
Matthias überlegte noch, was er darauf antworten sollte, als Sophie die Tür aufstieß.
»Wenn ich mich jetzt nicht beeile, bekomme ich gar nicht erst die Chance, nicht zu bestehen.« Sie schickte ihm eine Kusshand.
Krachend fiel die Tür ins Schloss.
»Viel Glück!«, rief Matthias ihr nach.
Doch Sophie hörte ihn nicht mehr.
*
»Nemaye! Nein! Das ist nicht dein Ernst.« Eva Tuck schüttelte den Kopf. Ihr ganzer Körper klimperte, als wäre eine Schmuckschatulle auf den Boden gefallen. »Das kannst du nicht machen!«
»Meine Güte! Jetzt mach es mir doch nicht schwerer, als es ohnehin schon ist«, schimpfte ihr Mann. »Ich verlasse dich und damit basta!«
»Aber warum?« Eva wollte nicht weinen. Ausgerechnet heute hatte sie keine wasserfeste Wimperntusche aufgetragen. »In guten wie in schlechten Zeiten, hast du das schon vergessen?«
»Hör mir doch auf mit diesem altmodischen Unsinn!«, wütete Manfred weiter. »Ich bin viel älter als du und demnächst ein Krüppel. Aber du, du hast noch dein ganzes Leben vor dir.«
»Hör du auf damit!« Eva staunte selbst über ihren Tonfall. »Was soll ich mit einem ganzen Leben ohne dich?«
»Du meinst wohl mit einem Krüppel.« Manni lachte abfällig. »Schau dich doch an!« Er griff nach ihrer Hand. Betrachtete die langen Fingernägel. Pink lackierte Pfeilspitzen. »Wie willst du denn mit diesen Krallen einen Krüppel pflegen? Nein.« Er ließ ihre Hand fallen und schüttelte den Kopf. »Das will ich gar nicht miterleben. Genauso wenig, wie ich erleben will, dass du mich wegen eines anderen, gesunden Mannes verlässt.«
»Aber …«, wollte Eva aufbegehren.
»Kein Aber! Raus jetzt!«
Die Mitarbeiter im Schwesternzimmer horchten auf. Was war das?
Im nächsten Moment fiel eine Tür krachend ins Schloss. Schritte stöckelten über den Flur und wurden schnell leiser.
»Die Barbiepuppe, unverkennbar«, schloss Schwester Astrid messerscharf.
»Nur kein Neid«, erwiderte ihr Kollege, der Pfleger Jakob. »Es kann ja nicht jeder so scharf aussehen wie Frau Tuck.«
»Schluss damit!« Mit einem Machtwort beendete Schwester Elena diese Diskussion. »Statt sich den Mund über unsere Patienten und deren Angehörige zu zerreißen, sollten Sie lieber nach dem Rechten sehen.« Sie stand vom Schreibtisch auf und ging zur Tür. »Eigentlich dachte ich, Sie wären über das kleine Einmaleins der guten Pflege hinaus.« Ohne eine Antwort abzuwarten, machte sie sich auf den Weg zu Manfred Tuck. Sie öffnete die Tür. Und erschrak. Mit zwei, drei Schritten war sie am Bett.
»Um Gottes willen, Herr Tuck!«
Mit weit aufgerissenen Augen lag Manfred im Bett. Er zuckte am ganzen Körper. Elena legte ein Kissen unter seinen Kopf. Sprach beruhigend auf ihn ein und wartete darauf, dass er sich wieder beruhigte. Ein Krampfanfall, verursacht durch ein Meningeom, war keine Seltenheit. Sie wusste, dass sie nicht viel mehr tun konnte, als abzuwarten. Schneller als vermutet zeigte die Strategie Wirkung. Mannis Glieder entspannten sich. Sein Atem beruhigte sich. Er blinzelte ins schwindende Licht des Tages.
»Schwester …« Seine Blicke irrten im Zimmer umher. »Ist sie weg?«
»Ihre Frau ist vor ein paar Minuten gegangen.« Elena griff nach seinem Handgelenk und sah auf die Uhr. »Sie wirkte sehr verstört.« Sie legte seinen Arm zurück auf das Bett und half Manfred, sich zuzudecken. »Darf ich fragen, was passiert ist?«
Erschöpft von dem überstandenen Anfall lag er einfach nur da und blickte hinüber zum Fenster. Von hier aus sah er nur ein Stück grauen Himmel und die Wipfel der Bäume im Klinikgarten. Mit an den Rändern gewellten Blättern. Der Sommer lag in den letzten Zügen. Bald würde er sein buntes Kleid anziehen, ein letztes Fest feiern, bevor die Welt die Farben verlor. Genau wie sein Leben.
»Ich habe mich von Eva getrennt«, gestand er tonlos.
»Wie bitte?«
»Hören Sie schlecht? Dann sollten Sie mal einen Ihrer HNO-Ärzte aufsuchen. Wozu ist das hier eine Klinik?«
Schwester Elena legte die Hand auf seine Schulter.
»Warum haben Sie Ihre Frau verlassen?«
Ihre sanfte Stimme verfehlte ihre Wirkung nicht.
»Das fragen Sie noch? Ich habe einen Gehirntumor. Soll sich eine junge, schöne Frau wie Eva an einen alten Krüppel verschwenden? Sie hat auch nur ein Leben.« Manfred fuhr sich über die Augen. »Ich kann mir gut vorstellen, wie das wird. Die mitleidigen Blicke der Leute. Evas Mitleid mit mir. Ihr Überdruss. Meine Eifersucht. Mit wem war sie beim Shoppen? Wer hat die neue Handtasche bezahlt? Riecht sie nach Herrenparfum?«
»Herr Tuck …«
»Eines Tages werde ich Eva hassen für all das, wofür ich sie heute liebe. Das hat sie nicht verdient.«
»Finden Sie nicht, dass Ihre Frau in dieser Sache auch noch ein Wörtchen mitzureden hat?«
Manfred Tucks Lachen jagte Elena einen Schauer über den Rücken.
»Ich bitte Sie, Schwester. Das Leben ist kein Groschenroman. Wir wissen doch beide, dass eine Frau wie Eva einen alten Mann wie mich nicht aus Liebe geheiratet hat.« Er schüttelte den Kopf. »Zum einen war es für Eva eine schöne Selbstbestätigung, den kapitalen Zwölfender – also mich – erobert zu haben. Zum anderen hat sie dadurch nicht nur einen Mann, sondern auch gesellschaftliche Achtung und Macht erhalten. Ein nicht zu verachtender Nebeneffekt.« Sein Lächeln war maskenhaft. »Aber was ist mit Achtung, der Selbstbestätigung, wenn ich zum Pflegefall werde?«
Im