— Da kann die Naiv Illustrationen liefern!“
„Ich hörte von den Verwüstungen, die dies kleine, so harmlos aussehende Wässerchen oft schon angerichtet hat!“
„Man hat uns sogar ein schönes und frommes Wunder im Naivtal gezeigt, das sich bei dem letzten Hochwasser abgespielt hat.“
„Sie meinen das mit dem gnadenreichen Muttergottesbild!“
„Ganz recht! Eine steinerne Statue der Mutter Gottes!“
„Die Wasser sind voll rasender Wucht zu Tal gestürzt, alles, was sich ihnen in den Weg stellte, herabreissend und zerstörend. — Als die Fluten das Muttergottesbild erreichten, das frei auf der Wiese im Grund stand, teilten sie sich in zwei Ströme, die rechts und links neben dem Heiligenbild vorbeibrausten und die Madonna, wie auf einer kleinen, grünen Insel, inmitten der rasenden Gebirgswasser, unbeschädigt stehenliessen. — Da lacht einen halt das Gnadenbtld so wunderselig an, wann man jetzt dahergeht und es zwischen all seinen Blumen stehen sieht, als wollt’s sagen: ‚Dahier der kleine Herrgott Jesus Christ, der hebet nur sein Patscherl und befiehlt dem Wasser und Sturm noch ebenso gewaltiglich, wie ehemals auf dem See Genezareth!‘“
Ein Augenblick feierliche Stille.
Der Wind strich durch die Baumkronen, und Gras und Halme neigten sich tief zur Erde.
„Später blühen an diesem Fleck die schönsten Alprosen, die man schauen kann.“
„Oh! Was liegt dort im Geröll?“
Mit schnellem Schritt eilte Lobelia herzu, neigte sich und hob ein seltsam schneckenförmig gewundenes Horn empor.
„Alle Wetter, Kind! Das muss von einem Urtier aus der Gletscherzeit stammen!“
„Ein Widderhorn!“
„Vielleicht von dem mythologischen Gespann, das der Wala goldenen Wagen über den Himmel zog!“
„Grad’ haben wir von ihr gesprochen, Gnädige, und haben Ihnen den schönen Namen gegeben! Nun findens plötzlich ein gar seltenes Zeichen ihrer Huld.“
„Ja, ja!“ lachte der Oberst sehr animiert, „das hat sie dir extra zugeworfen, Mädel! Heb’s zum Andenken auf.“
Alle standen und schauten.
„Welch schöne Zeichnung! Wie ebenmässig gewunden!“
„Der Gletscherschnee hat diese Rarität wohl seit grauen Jahren geborgen.“
Wie ein Schauer der Andacht geht es einem über den Leib, wenn man vor dem armseligen Rest eines Geschöpfes steht, das längst in Staub zerfallen, während die Alpen wie gigantische Marksteine der Zeit noch emporragen zu einem Himmel, der wieder auf die Berge niederschaut, unveränderlich und unvergänglich, eine Urewigkeit, die mit leuchtenden Sternen in das All schreibt: ‚Kennst und suchst du deinen Schöpfer, Menschenkind? Hier bin ich. Dein Herr und dein Gott!‘
Zweites Kapitel
„Noch ein paar Schritte bergauf, dann müssen wir hinter jenem Felsvorsprung die Senne sehen, wo wir hoffentlich unser Mittagessen verzehren können.“
„Und mit welchem Appetit!“
„Man glaubt gar nicht, was diese kräftige, frische Bergluft austut!“
„Gut, dass die Rucksäcke dann leichter werden.“
„Dafür wollen wir sorgen!“
„Da drüben! Da schauens über das niedere Knirksholz das Dach rauslugen?“
„Die Senne!“
„Nun aber mal trapp!“
„Ich vermisse das einladende Rauchwölkchen über dem Schornstein.“
„So ein Feuerl brennt schnell!“
„Haust ein Senn droben?“
„Du mei! Fünf Mannerleut’ und a paar Weiberl! Mit so viel Vieh gibt’s an ausgiebige Arbeit!“
Herr Aloys stiefelte mit seinen langen Beinen gewaltig bergauf, und als man sich so weit genähert hatte, dass man unter dem felssteinbeschwerten, grünmoosigen Dach die Fensterscheiben unter den schrägen Sonnenstrahlen blinken sah, blieb der Österreicher stehen und legte beide Hände hohl um den Mund.
„Holdrihohoho! — Halliho!“
Das war ein Jodler, der Gäste anmeldet, und der meist mit einem fröhlichen Juhschrei beantwortet wurde. Man stand momentan und lauschte. Alles blieb still.
„Na, tritt denn kei Zenzerl unter die Tür, Ausschau zu halten?“
„Die ganze Senne sieht noch recht tot und öde aus!“
Noch einmal jodelte Herr Sturmlechner sein Signal hinauf.
Nichts rührte und regte sich.
Ein paar Vogelstimmen schrien aufgeschreckt aus dem Geklüft herüber.
„Seltsam, — jetzt erst merkt man, wie weltfern, wie einsam wir hier sind!“
Man war an die Senne herangekommen. Grabesstill lag sie inmitten der schroff aufsteigenden, wild zerklüfteten Felsen, an denen sich die Schneerillen tief hinab bis auf die Matten zogen.
Man klopfte an den Türen.
Keine Antwort.
Man versuchte in die blindverstaubten, regen- und schneeverwaschenen Fenster zu sehen.
Keine Seele zu erblicken.
Ein Eindringen ohne Axt und Gewalt unmöglich.
„Wenn wir uns nur ein bisschen warm hinsetzen könnten!“
Sturmlechner deutete nach einem Heustadel, der, ein wenig höher als die Sennhütte gelegen, von der ziemlich steil abfallenden Halde herniederwinkte.
Es war ein spitzes Schutzdach, aus grün bemoosten Stämmen roh zusammengefügt, unter dem sich ein offner Heuboden befand.
Zum Schutz gegen Wildfrass war der Boden wie eine Art Pfahlbaute erhöht, von einer Reihe Stämmen im Viereck gestützt, unter denen im Sommer oder Herbst die Geiss Schutz bei Regen und Gewitter suchten.
„Hurra! Das Heu ist noch nit vom Stadel abgetragen. Da finden wir ein ganz behaglich weich und warmes Nestchen!“
„Ganz recht! Wir breiten die Plaids aus.“
„Die Sonne hat schon den ganzen Vormittag warm auf das Heu geschienen.“
„Gewiss ein köstlicher Duft!“
„Wie sollen wir aber hinaufkommen?“
„Schauens nöt das Hühnerleiterl zur Seite, Gnädigste? Da steigt ma halt auf!“
Lobelia lachte.
„Die Poesie lässt nichts zu wünschen übrig. Hoffentlich kracht nicht die kippliche Sache unter uns zusammen!“
„Wenn das Fräulein Lobelia da heraufschwebt, so ist’s halt Jakobs Himmelsleiter, an der die Engel auf und niedersteigen!“ schmunzelte Herr Aloys galant.
Er fasste an die Leiter und rüttelte daran.
„Na, an bisserl schief und morsch ist die Sach’ wohl, aber ich vermein’, so leichte Ware wie uns halt sie noch aus.“
Die Herren kletterten Probe und kamen wohlbehalten oben an.
„Hier ist es ideal! Grossartig! Das Heu wie von der Sonne geheizt! ‚Reich‘ mir die Hand, mein Leben — dass ich dir helfen kann!‘“ scherzte Herr von Welten, neigte sich und bot der Nichte die Hand entgegen.
„Nimm erst mal hier den Rucksack, Onkelchen!“
„Hat ihm schon!“
„So; eins ... zwei ... drei — jupplala!“
„Oben wären wir!“