vor sich.
Seitwärts schlängelt sich ein Fusspfad herab, der nach dem Ifinger und den Schluften abstreckt.
Zwei Tiroler Buben sprangen in wilder Hast, atemlos vom Laufen und Schreien, daher.
Sie fuchtelten wild mit den Armen durch die Luft.
„Hört’s, ihr Mannerleut’! Stillgestanden, hört’s!“
„Ja du mei, — da brennt’s!“
„Mach’s raus! — Gib’s a Auskunft!“
„Is a Malheur passiert?“
Keuchend standen die Flüchtigen.
„Anderl! Bist jo der Anderl!“
„Sell scho! — Und — droben — droben an der Klamm hab’n ma a Bär aufgespürt!“
„A Bar in der Masul?“
„Alle Heiligen soan unsre Zeugen!“ schrie der Anderl und wechselte vor Entsetzen immer noch die Farben — bald weiss wie Schnee, bald wie im Fieber sah er aus.
„Derzählt’s, Bub’n! Derzählt’s!“
„Der Bauer hat uns naufi g’schickt, mal Umschau zu halten. Auf’m Stadel haben wir noch zentnerweis’ das Heu, und hier drunten wird’s knapp.“
„Ja, ja — ganz recht!“
„Und — da habt’s an Bär geschaut?“
„Wie wir so die Senn und den Stadel observiert ham — nachen hörn wir so an narrisches Gebrummel in der Schlucht drunten.“
„Was soll’s denn sein?“ meinte der Hias, „steig’n mer mal hinauf und schauen, was es da gibt. — An an Bär hat keiner nöt denkt von uns.“
„Und kraxelt auf die Felsen? Jesus Maria, sell konnte nöt guat wären!“
„Wie mer oben hinaufkommen, — ma braucht’ sich nit weit vorzurecken, — sehen wir unten am Wasser an Riesenpetz, so an Höllenvieh wie an Ochs, der tratscht da im Geschlürf herum.“
„Der Anderl tat vor Schreck laut aufkreischen, sonst hätt’ er uns nöt derschaut.“
„Nu aber guckt er hoch — und richt’ sich auf und schlagts an Gebrüll auf —!“
„‚An Stutzen hab i nöt, aber aufbrennen tu i dem vermaledeiten Mistvieh doch oans!‘ tobt der Hias, als ob ihn akkurat der Böse plagt, und packt an grossen, damisch schweren Felsblock und schiebt und rollt ihn, und mit an Gekrach, wie wann der Fels z’sammensackt, poltert der Stoan in die Schlucht auf den Bär drauf!“
„Bub’n! Sell soll ma glauben?“
„Weiter! Da ward er aber furig, der Sakra?“
„So an Gebrüll hat’s no kan Seel’ gehört, wie der aber aufgeschlagen hat! Und ob’s ihn nu getroffen hat — —“
„Sell is gewiss! An die Schuft hat’s ihn trefft!“
„I sag’ mir: ‚Wann der jetzt no klettern kann, dann sin ma alle zwo beide hin!‘ — und nehmens die Bein in die Hand, und nun aber nach Meran, alle Schützen und die Kaiserjäger alarmiern!“
„Die Jaga! — sput’s uns!“
„I lauf’ mit!“
„Malefiz! Dös i ka Büchsen hab’! I rennt’ spornstreichs nach der Masul herein!“
„Jesses! Mei unglückseliges Dearndel!“
„Was ficht di an, Vinzenz?“
„Die Herrischen sind ja in die Schlucht!“
„Der Aloys Sturmlechner!“
„Wenn’s der Bär auswittert und in seiner Wut annimmt, soans verloren!“
„Heilige Mutter Gottes, nur dös nit!“
„So an sauberes Madel!“
„Zu Hilf’! Kommts ihr all zu Hilf’!“
„Schreits die Manner z’samm’!“
„Holts an Waffen!“
„Laufts, ihr Leut’! laufts!“
Wie ein Rasender stürmte Vinzenz voran zu Tal.
Die Burschen folgten in wildem Tumult.
Wer ihnen begegnete, hörte nur die eine Schreckensnachricht: „An Bär ist in der Masul aufgespürt! — Drei Fremde soan noch hinunter’gangen!“
Wie ein Lauffeuer gellte die Schreckensnachricht durch Meran.
Aber die Zeit stand nicht still; die Sonne war schon längst hinter die Alpen gesunken, als sich eine Schar beherzter Männer zusammengefunden hatte, um im Verein mit etlichen Kaiserjägern und Kurgästen, die sich freiwillig gemeldet hatten, die Bärenjagd zu bestehen.
Es ist und bleibt ein heldenhaftes Wagnis, solch einem Ungeheuer in unwirtlichem und kaum übersichtlichem Terrain entgegenzutreten, und das Entsetzen, dass zwei unbewaffnete Herren und eine junge Dame der wütenden Bestie in Sicht gekommen sein konnten, erfüllte ganz Meran.
„In der Dunkelheit kann man nicht vordringen.“
„Undenkbar, einen Kampf aufzunehmen, wenn man nicht die Hand vor Augen sieht!“
„Und doch darf man nicht zögern!“
„Es gilt drei Menschenleben!“
„Man muss alsbald hinauf und gleich beim ersten Morgengrauen die Spur suchen!“
„Der Vinzenz meint, die Touristen wären nach der Sennhütte hinauf.“
„Wer sind die Herrschaften?“
„Kennt man Namen?“
„Du liebe Zeit, ja! Der Oberst von Welten mit seiner Nichte, einem so bildhübschen Mädchen, das schon allgemein aufgefallen ist.“
„Herr Sturmlechner macht ihnen den Cicerone!“
„Wo wohnen sie?“
„Im Tiroler Hof.“
„Nein, nein! Im Parkhotel. Die so leidende Gattin vom Oberst ist daheimgeblieben und soll beinah Krämpfe haben vor Angst und Aufregung!“
„Gott erbarm’ sich, so eine arme Dam’.“
„Die Jäger rücken aus!“
„Dös is ka Kinderspiel, wanns dös Revier umstellen wollen.“ —
Die Strasse nach Mais schritten rüstig die beherzten Männer, von Jagdeifer und dem Verlangen beseelt, rechtzeitig den Bedrängten Hilfe zu bringen.
Die Touristen waren nicht heimgekehrt, und bange Sorge erfüllte alle Seelen, ob sich wohl in jener Todeinsamkeit einer herrlich schönen, aber so weltfernen Gegend das grausigste Drama abgespielt habe, das gedacht werden kann.
Schwarz und schweigend lag der Wald.
Kein Laut nah und fern. Nur der Wind sauste daher, und in den Zweigen knackte und raschelte es, wenn Vögel oder kleines Getier, Eichkätzchen oder gar ein Marder von Ast zu Ast huschten.
Das Gewehr im Anschlag, drängten die Beherzten sich mutig Schritt um Schritt voran.
Angestrengtes Lauschen. Jeder Laut war ein Ereignis.
Die Felsen hemmen den Schall so sehr; es ist beinah unmöglich, ein noch so starkes Gebrüll bis hierher zu hören.
Der Himmel färbt sich im Osten mit zartem, flimmerndem Grau, das erst nur matten Schein in die tiefen Schatten wirft.
Welch eine Geduldsprobe! Welch eine nervenmordende Wartezeit!
Die Herren und Männer fiebern vor Aufregung. Jeder einzelne glaubt, den eignen Herzschlag hören zu müssen.