der seinesgleichen in dem gefährlichen Handwerk nicht hatte. Er besaß Gewandtheit und Kaltblütigkeit, Kühnheit und List in besonders hohem Grad, und ein Walfisch mußte schon recht tückisch, ein Pottfisch besonders listig sein, um seiner Harpune zu entrinnen.
Ned-Land war etwa vierzig Jahre alt, hochgewachsen — über sechs englische Fuß — äußerst kräftig, wenig mitteilsam, manchmal heftig und, wenn man ihn reizte, leicht zornig. Er fiel unbedingt auf.
Kommandant Farragut hatte klug getan, diesen Mann für sein Schiff zu gewinnen, der allein mit Auge und Arm die ganze Mannschaft aufwog.
Zweites Kapitel
Auf gut Glück
Die Fahrt des „Abraham Lincoln“ verlief lange ohne jeden Zwischenfall. Er durchfuhr alle nördlichen Meeresstriche des Stillen Ozeans, lief die signalisierten Walfische an, kreuzte in raschen Wendungen hin und her, ließ keinen Punkt von Japan bis zur amerikanischen Küste undurchsucht. Aber es gab nichts, nichts als das unermeßliche, öde Meer! Nichts, was einem riesenhaften Narwal, einem unterseeischen Inselchen, einer schweifenden Klippe noch sonst etwas Übernatürlichem geglichen hätte.
Da trat ein Rückschlag ein. Die Entmutigung machte zuerst einer Ungläubigkeit Platz. Es entstand an Bord eine Stimmung, die aus drei Zehntel Scham und sieben Zehntel Zorn bestand. Wie war man doch „einfältig, sich für eine Chimäre gewinnen zu lassen“. Jeder dachte nur mehr in den Stunden der Mahlzeit oder des Schlafes daran, die so sinnlos geopferte Zeit wieder nachzuholen.
So verfiel man von einem Extrem ins andere. Die wärmsten Verfechter der Unternehmung wurden nun zu den ärgsten Schmähern. Die Reaktion befiel alles, vom untern Schiffsraum bis zum Salon der Offiziere, und wäre nicht der Kommandant Farragut so hartnäckig gewesen, so hätte sich die Fregatte wieder entschieden nach Süden gewendet.
In diesem Sinne machte man dem Kommandanten Vorstellungen. Der aber hielt wacker stand. Die Matrosen verhehlten nicht ihre Unzufriedenheit, und der Dienst litt darunter. Ich will nicht sagen, daß an Bord ein Aufruhr entstand, aber der Kommandant Farragut fand doch, nachdem er geraume Zeit widerstanden, sich veranlaßt, wie einst Kolumbus, drei Tage Geduld zu verlangen. Wenn im Verlauf von drei Tagen das Ungeheuer sich nicht zeigte, sollte der „Abraham Lincoln“ die Heimkehr nach den europäischen Meeren antreten.
Dieses Versprechen wurde am 2. November gegeben. Es hatte zunächst zur Folge, daß der Mut der Mannschaft sich wieder hob. Der Ozean wurde wieder gründlich beobachtet; die Fernrohre kamen wieder in Tätigkeit. Es war wie eine letzte Herausforderung an den Riesen-Narwal.
Während der nächsten zwei Tage hielt sich der „Abraham Lincoln“ bei schwachem Dampf. Man gab sich alle Mühe, die Aufmerksamkeit des Tieres, falls es sich in dieser Gegend befände, zu erregen. Es wurden ungeheure Stücke Speck am Schleppseil ausgeworfen — zur großen Befriedigung der Haifische. Die Boote fuhren in allen Richtungen um den „Abraham Lincoln“, während er aufbraßte, und ließen keinen Punkt undurchsucht. Aber der Abend des 4. November kam heran, ohne daß das unterseeische Geheimnis sich enthüllte.
Am folgenden Tag, dem 5. November, lief der Termin ab. Nach diesem Termin mußte der Kommandant Farragut, seinem Versprechen gemäß, die Fahrt nach Südosten richten und die nördlichen Gegenden des Stillen Ozeans verlassen.
Die Fregatte befand sich damals unter dem 31° 15’ nördlicher Breite und 136° 42’ östlicher Länge. Die Landschaften Japans waren kaum zweihundert Meilen entfernt. Die Nacht nahte, es schlug schon acht Uhr. Die Mondscheibe, in ihrem ersten Viertel, war von Gewölk verschleiert. Das Meer schlug ruhige Wellen.
In diesem Augenblick befand ich mich vorn an Steuerbord, aufs Geländer gelehnt. Conseil, der in meiner Nähe stand, schaute vor sich hin. Die Mannschaft, auf den Tauen hockend, forschte am Horizont, der allmählich enger und düsterer wurde. Die Offiziere, mit ihren Nacht-Lorgnetten bewaffnet, beobachteten die zunehmende Dunkelheit.
„Na, Conseil“, sagte ich zu meinem braven Diener, „nun ist noch zum letzten Mal Gelegenheit, zweitausend Dollars einzustreichen.“
Ehe Conseil antworten konnte, ließ sich eine laute Stimme vernehmen. Ned-Land rief: „Hoiho! der fragliche Gegenstand unterm Wind, quer vor uns!“
Sofort stürzten Mannschaft, Kommandant, Offiziere, Matrosen und Schiffsjungen hin zum Harpunier, selbst die Ingenieure verließen ihre Maschine, die Heizer ihr Feuer. Es wurde Befehl zum Einhalten gegeben, und die Fregatte fuhr nicht weiter, als ihre Kraft noch reichte.
Es herrschte völlige Dunkelheit, und so trefflich des Kanadiers Augen waren, so fragte ich mich doch, wie er denn nur sehen gekonnt und was er gesehen. Mein Herz klopfte zum Zerspringen.
Aber Ned-Land hatte sich nicht geirrt, und wir alle sahen den Gegenstand, auf den er mit der Hand wies.
Zwei Kabellängen vom „Abraham Lincoln“ entfernt schien das Meer an der Oberfläche beleuchtet. Es war nicht bloß ein Phosphoreszieren, man konnte sich nicht irren. Das einige Klafter unter dem Wasserspiegel verborgene Ungeheuer warf den sehr starken, aber unerklärlichen Glanz an die Meeresoberfläche, von dem schon mehrere Kapitäne berichtet hatten. Diese prächtige Ausstrahlung mußte von dem Träger einer starken Leuchtkraft herrühren. Die auf der Meeresfläche erleuchtete Stelle bildete ein ungeheures, sehr langes Oval, in dessen Zentrum ein glühender Brennpunkt von unerträglichem Glanz Strahlen warf, die, stufenweise schwächer, allmählich erloschen.
„Eine Anhäufung phosphoreszierender Elementarteilchen“, rief einer der Offiziere.
„Nein“, ich widersprach mit Überzeugung. „Niemals können die Pholaden und Salpen ein so starkes Licht erzeugen. Dieser Glanz ist seiner Natur nach elektrisch . . . Übrigens, sehen Sie, sehen Sie! Es ändert seine Stelle; bewegt sich vor-, rückwärts! Da! Es stürzt auf uns los!“
Allgemeines Geschrei auf der Fregatte.
„Still!“ befahl Kommandant Farragut. „Steuer unterm Wind, Maschine rückwärts!“
Die Matrosen stürzten sich auf das Steuer, die Ingenieure zu ihrer Maschine.
Der „Abraham Lincoln“ drehte sich links, beschrieb einen Halbkreis.
„Steuer rechts! Maschine voran!“ rief Farragut.
Die Befehle wurden ausgeführt, und die Fregatte entfernte sich rasch von der leuchtenden Stelle.
Besser, sie wollte sich entfernen, aber das Wundertier näherte sich mit doppelter Geschwindigkeit.
Wir waren außer Atem. Bestürzung machte uns stumm und unbeweglich. Das Tier spottete unser; es schwamm um die Fregatte herum und umzog sie mit elektrischen Streifen. Dann entfernte es sich zwei bis drei Meilen, indem es einen phosphoreszierenden Streifen hinter sich ließ, wie die Lokomotive ihre Dampfwirbel. Es wollte nur aus der Entfernung seinen Anlauf nehmen und schoß plötzlich vom dunklen Horizont aus mit furchtbarer Schnelligkeit auf den „Abraham Lincoln“ los, hielt jedoch in einer Entfernung von zwanzig Fuß auf einmal an, verschwand, als wäre die Quelle der glänzenden Ausströmung mit einem Male versiegt! Darauf kam es auf der andern Seite des Schiffes wieder zum Vorschein, sei es, daß es um dasselbe herum oder darunter schwamm. Jeden Augenblick konnte ein Zusammenstoß erfolgen, der uns vernichtet hätte.
Ich wunderte mich allgemach über die Manöver der Fregatte. Sie floh, griff nicht an. Sie wurde verfolgt, statt zu verfolgen, und ich sagte dem Kommandanten meine Meinung. Seine sonst so festen Züge zeigten eine unbeschreibliche Bestürzung.
„Herr Arronax“, erklärte er mir, „ich weiß nicht, mit welch furchtbarem Geschöpf ich es zu tun habe, und ich will nicht unvorsichtig in dieser Dunkelheit meine Fregatte aufs Spiel setzen. Wie soll man auch nur das Unbekannte angreifen, wie sich verteidigen. Warten wir den Tag ab, dann wollen wir die Rollen wechseln!“
„Sie haben, Kommandant, über die Natur des Tieres keinen Zweifel mehr?“
„Nein, mein Herr, es ist offenbar ein Riesen-Narwal, und dazu ein elektrischer.“
„Vielleicht kann man ihm ebensowenig nahekommen wie einem