Jules Verne

20.000 Meilen unterm Meer


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erste dieser Banditen, der Hand an mich legt . . .“

      „Bringen Sie uns nicht durch unnütze Gewaltsamkeit in Gefahr. Wer weiß, ob man uns nicht Gehör gibt! Versuchen wir lieber erst festzustellen, wo wir sind!“

      Ich ging umher und tastete. Fünf Schritte weit stieß ich auf eine eiserne Wand. Darauf wendete ich mich um und stieß gegen einen hölzernen Tisch, neben dem einige Schemel standen. Der Fußboden war mit einer dichten Matte aus neuseeländischem Flachs belegt, so daß man die Tritte nicht hörte. Conseil, der in die entgegengesetzte Richtung gegangen war, stieß in der Mitte der Kabine, die zwanzig Fuß lang und zehn breit war, mit mir zusammen. Die Höhe konnte Ned-Land, trotz seiner Größe, nicht messen.

      Eine halbe Stunde verlief so, ohne daß unsere Lage sich änderte. Da plötzlich verwandelte sich das dichteste Dunkel in grellstes Licht. Der Glanz war anfangs unerträglich. Ich schloß unwillkürlich die Augen; als ich sie wieder öffnete, sah ich, daß die leuchtende Kraft aus einer geglätteten Halbkugel oben an der Decke der Kabine kam.

      „Endlich! Nun ist’s hell!“ rief Ned-Land und setzte sich mit dem Messer in der Hand in Verteidigungsstellung.

      „Aber unsere Lage ist ebenso dunkel geblieben wie vorher“, meinte ich.

      Da rasselten die Riegel, die Tür öffnete sich, zwei Männer traten ein.

      Der eine war klein, kräftig, breitschultrig, hatte einen dicken Kopf mit reichlichem schwarzen Haar, dichtem Schnurrbart, lebhaftem durchdringenden Blick, und seine ganze Persönlichkeit war von der südlichen Lebhaftigkeit eines Provencalen. Er sprach in meiner Gegenwart stets einen sonderbaren, durchaus unverständlichen Dialekt.

      Der zweite hatte ungemein markante Züge, so daß ein Physiognom darin wie in einem offenen Buche lesen konnte. Selbstvertrauen und kalte Sicherheit strahlten aus den schwarzen Augen! Gelassenheit, ruhiges Blut, Energie und Mut. Der Mann war stolz, sein fester und ruhiger Blick schien hohe Gedanken zu bergen, und aus allem sprach unbestreitbar eine offene Seele.

      Unwillkürlich fühlte ich mich in seiner Gegenwart beruhigt.

      Freilich, ob dieser Mann fünfundreißig oder fünfzig Jahre alt war, hätte ich nicht angeben können. Er war von hoher Statur, hatte eine weite Stirn und gerade Nase, einen klar gezeichneten Mund, prachtvolle Zähne und feine Hände. Dieser Mann stellte unstreitig einen bewundernswerten Typus dar, wie ich ihn sonst nirgends getroffen habe. Seine Augen faszinierten! Welcher Blick! Wie drang er tief in die Seele.

      Die beiden Unbekannten trugen Mützen aus Seeotterfell, Seestiefel aus Robbenfell und Kleider aus einem besonderen Gewebe, die große Freiheit der Bewegungen gestatteten.

      Der größere der beiden, offenbar der Anführer der Leute an Bord, prüfte uns mit größter Aufmerksamkeit, ohne ein Wort zu reden. Darauf besprach er sich mit seinem Gefährten in einer Sprache, die mir nicht bekannt war. Es war ein volltönender, harmonischer, biegsamer Dialekt.

      Der andere schüttelte den Kopf und fügte einige völlig unverständliche Worte bei. Darauf schien sein Blick mich direkt zu fragen.

      Ich erwiderte in gutem Französisch, daß ich seine Frage nicht verstünde; er schien mich auch nicht zu verstehen, und so gerieten wir in einige Verlegenheit.

      „Mein Herr möge immer unsere Geschichte erzählen“, sagte Conseil. „Diese Herren werden vielleicht einige Worte davon begreifen!“

      Ich erzählte also unsere Erlebnisse, artikulierte klar alle Silben und überging dabei nicht das Geringste. Ich nannte unsere Namen und stellte in aller Förmlichkeit die Personen vor, den Professor Arronax, seinen Diener Conseil und den Harpunier, Meister Ned-Land.

      Der Mann mit den sanften und ruhigen Augen hörte mir höflich und sehr aufmerksam zu. Aber in seinen Zügen konnte man nicht erkennen, daß er meine Geschichte verstanden habe. Als ich fertig war, sprach er kein einziges Wort. Es stand uns noch das Englische, als Weltsprache, zur Verfügung. Ich kannte die Sprache, ebenso wie das Deutsche, hinlänglich, um fließend darin zu lesen, verstand sie aber nicht korrekt zu sprechen. Jetzt aber galt es, sich verständlich zu machen.

      „Nun“, forderte ich unseren Harpunier auf, „nun kommt an Sie die Reihe. Ziehen Sie, Meister Land, das beste Englisch, das je ein Angelsachse sprach, aus Ihrer Tasche, und bemühen Sie sich, glücklicher als ich zu sein.“

      Ned ließ sich nicht lange bitten und wiederholte meine Schilderung; er sprach mit großer Lebendigkeit. Er beschwerte sich heftig, daß man ihn wider das Völkerrecht gefangen halte, fragte, welches Gesetz dieses gestatte, berief sich auf die Habeas-Corpus-Akte, drohte mit gerichtlicher Verfolgung, schrie und gab schließlich in ausdrucksvoller Weise zu erkennen, daß wir Hungers sterben würden.

      Das entsprach zwar der Wahrheit, aber wir hatten es fast vergessen.

      Der Harpunier wurde aber zu seinem bassen Erstaunen nicht besser verstanden als ich.

      Da unsere Sprachkenntnisse erschöpft waren, war die Verlegenheit groß. Was nunmehr anfangen? Conseil suchte noch einen Ausweg:

      „Wenn mein Herr zufrieden ist, will ich die Sache deutsch erzählen.“

      „Wie? Du verstehst Deutsch?“ rief ich.

      „Wie ein Flamländer, wenn Sie erlauben.“

      „Ausgezeichnet! Fange nur schon an.“

      Und Conseil erzählte in seiner ruhigen Weise unsere Geschichte zum dritten Mal. Aber auch das Deutsche half nichts.

      Und so nahm ich alle Reste meiner Jugendstudien zusammen und begann auf Lateinisch unsere Abenteuer zu erzählen. Cicero würde mich zwar damit in die Küche geschickt haben, doch brachte ich es mit viel Schweiß fertig. Es war ebenso fruchtlos.

      Als auch dieser letzte Versuch gescheitert war, wechselten die beiden Unbekannten einige Worte in ihrer Sprache und zogen sich ohne irgendein Wort der Beruhigung zurück. Die Tür schloß sich hinter ihnen.

      „Infam!“ schrie Ned-Land in zorniger Entrüstung. Da spricht man zu den Schuften französisch, deutsch, englisch, lateinisch, und keiner ist so höflich zu antworten!“

      Wie er dies sprach, öffnete sich die Tür. Ein Steward trat ein und brachte uns Meerkleidung, Hosen und Weste, aus einem mir unbekannten Stoff. Ich zog sie augenblicklich an, und meine Gefährten folgten meinem Beispiel. Unterdessen hatte der Steward — stumm, vielleicht auch taub — den Tisch gedeckt und drei Gedecke aufgesetzt.

      „Das hat doch etwas Gutes zu bedeuten“, lächelte Conseil.

      „Bah!“ der Harpunier steckte noch tief in seinem Ärger, „was meinen Sie denn, was man hier speist? He? Schildkrötenleber. Lendenstück vom Hai, Beefsteak vom Seehund!“

      „Nun, wir werden sehen“, sagte Conseil.

      Die Gerichte, mit silbernen Glocken bedeckt, wurden symmetrisch auf das Gedeck gestellt, und wir setzten uns zu Tisch. Gewiß hatten wir es mit Leuten von Bildung zu tun, und fast hätte man glauben können, im Speisesaal des Hotel Adelphi zu Liverpool oder des Grand-Hotel zu Paris zu sein. Freilich, Brot und Wein mangelten gänzlich. Das Wasser war frisch und klar, aber es war Wasser —, was Ned-Land nicht behagte. Unter den Speisen, die uns vorgesetzt wurden, waren einige köstlich zubereitete Fische; aber von einigen Speisen, die übrigens vortrefflich waren, konnte ich nicht einmal sagen, ob sie dem Pflanzen- oder Tierreich entstammten. Das Tafelgerät war elegant und geschmackvoll. Jeder Gegenstand, Löffel, Gabel, Messer, Teller, hatten die gleiche Devise als Aufschrift:

      MOBILES IN MOBILE

      N

      Beweglich im beweglichen Element! Diese Devise paßte genau auf das unterseeische Fahrzeug. Das N war ohne Zweifel der Anfangsbuchstabe des rätselhaften Mannes, der im Meeresgrund herrschte!

      Ned und Conseil überlegten nicht soviel. Sie widmeten sich den Gerichten, und ich folgte bald ihrem Beispiel. Ich war schon sehr über unser Schicksal beruhigt, und es schien, daß unsere Wirte uns nicht Hungers sterben lassen wollten.

      Aber es nimmt alles ein Ende auf Erden,