Franz Werfel

Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman


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gesagt, sie wird einmal werden) vom Oberhaupt gefordert, vermutlich, um den machtstrebenden Typus von der Macht zu verdrängen, um dem Ehrgeizigen die Ehre zu versalzen und um Tyrannis und Despotie in der menschlichen Natur radikal zu brechen. Während ich dies niederschreibe, kommt mir noch eine biographische Kondition in die Erinnerung zurück, welche vom mondgeweihten Regentschaftskandidaten, wenn nicht gefordert so doch erhofft und erwartet wurde. Es war nicht etwa nur das einfache Zölibat, sondern eine ausgesprochene unglückliche Liebe (etwas, wie man sich denken kann, zur Zeit äußerst Seltenes), die der Präsidentabilis am bürgerlichen Wendepunkte seines Lebens zu leisten hatte, eine unglückliche Liebe ganz alten Stils, am besten mit durchweinten Kissen und schlechten Gedichten. Erst nach dieser Offenbarung einer verletzlichen und selbstunsicheren Seele, welche die zölibatäre Resignation zur Folge hatte, war die Eignung, das heißt die Nichteignung zur höchsten Macht völlig erwiesen.

      Nun noch rasch gehandelt über die Wahlprozedur selbst, soweit mir die Belehrung des Fremdenführers darüber Klarheit verschaffte. Die Amtsdauer des jeweiligen Major Domus Mundi war lebenslänglich. Sie endete erst damit, daß derselbe aus dem Dasein abging. Das Geheimnis dieses Abgangs, welches die Worte Sterben und Tod geflissentlich immer und immer wieder vermied, werde ich, wie schon gesagt, erst am Ende meines Besuches lüften dürfen. Daß dieser Abgang „freiwillig und zu Fuß“ erfolgte, das hatte fürwitzigermaßen der Beständige Gast mit der Barockphysiognomie schon während des Festmahls im Hause der Hochzeiter verraten. Ich selbst will nichts weiter verraten und bitte auch den Leser inständig, keinesfalls die letzten Seiten dieses Buches aufzublättern. (Auch die Beziehung zwischen Leser und Autor muß ja auf Vertrauen gegründet sein.) Die Freiwilligkeit des letzten Weges schloß es ja schon beim durchschnittlichen Zeitgenossen aus, daß er in überraschender und nicht vorherberechneter Art aus dem Leben verschwand — um wieviel mehr erst beim höchstgestellten Zeitgenossen. Und doch, gerade in seinem, des Höchstgestellten Falle, war nur die geheime Kommission vom Antritt seines letzten Weges unterrichtet. Die Öffentlichkeit erfuhr erst davon, wenn die Wahlen ausgeschrieben wurden. In der Stunde aber, da der alte (und noch immer jugendschöne) Major Domus Mundi dahinging, wurden die elf Kandidaten der Nachfolgeschaft in ein klosterartiges Gefängnis geworfen, wo sie in strenger Klausur, Dunkelhaft und Leibesaskese das Wahlresultat abzuwarten hatten. Sollte einer aber annehmen, daß die elf präsidentablen Seleniazusen sich über Gefangenschaft und Entbehrung beklagten, der würde weit danebenschießen. Sie klagten einzig und allein über das Mißgeschick, das gar bald einen unter ihnen treffen mußte, nämlich zum höchsten Range über den Menschen erkoren zu werden. Wie oft beschworen sie ihre Wärter und die Mitglieder der Kommission, sie entschlüpfen und ins Nichts zurücksinken zu lassen oder auch sie für immer in Dunkelhaft zu halten; nur einer einzigen Gefahr suchten sie zu entgehen, der Gefahr, in den Mittelpunkt irdischer Angesehenheit zu geraten.

      Für den geneigten Leser wird diese Verhaltungsweise ebenso schwer zu verstehen sein wie für mich und die ganze Welt, in die ich von dort wieder zurückkehrte. Unsre Könige, Präsidenten, Vizepräsidenten, Minister, Staatssekretäre, Gouverneure, Regierungsräte, Bürgermeister und Dorfschulzen kleben an ihren diversen Thronen und Amtsstühlen. Sie klammern sich an den Armlehnen dieser Sitzgelegenheiten mit verzweifelten Fingern fest, so daß sie bestenfalls ein Fußtritt oder eine aufrührerische Kugel herunterbefördern kann. Sind sie wählbar, würden sie sich am liebsten zwanzigmal zu Amt und Würden wählen lassen, um ja nicht die Schmach zu erleben in die Reihen der Unscheinbaren und Namenlosen zurücktreten zu müssen. Der Politiker ist nämlich nur ein Parasit des Ruhmes. Was der Begabte sich durch die Ungewöhnlichkeit seines Wesens und Wirkens verdient, den Namen, das erschleicht sich der Politiker durch die gewöhnlichsten Gewöhnlichkeiten, auf Tagungen, Konventionen, Parteikongressen, in Versammlungssälen und den Hinterzimmern der Intrige, des Kuhhandels und der Korruption. Wie bergschwer niederpressend, wie zermürbend, wie atemverschlagend ist doch der Besitz der Macht. Muß nicht ein nur mittelmäßig moralisches Menschenwesen sich vor jeder folgenreichen Entscheidung in Nachtschweiß und Angstträumen winden, wenn diese allein von seiner Unterschrift abhängt? Und doch, die Mächtigen gediehen in der Zivilisation des zwanzigsten Jahrhunderts prächtig. Sie wurden alt, hatten gute Nerven und volle Bäcklein, und die besten unter ihnen tafelten, tranken und rauchten mit sichtbarer Lebensfreude. Es war, als wären sie über Menschenmaß aufrechtgehalten worden vom stählernen Korsett eines dämonischen Hochmuts, von einer orgiastischen Hybris, der die letzten Winkel ihres Selbst mit dauernder Wonne füllte, die nichts andres schwächen konnte, es sei denn der Verlust der Macht. Dieser allerdings war eine Tragödie, an der sie ähnlich, aber noch schneller hinwelkten als der Schauspieler, dessen Karriere zu Ende ist, denn auch sie lebten ja nur vom Schall und Schein, den ihr kurzfristiger Name aufwirbelte. Soweit die Machthaber unsres, das heißt des zwanzigsten Jahrhunderts; und ich habe nicht einmal von den pathologisch Machtbesessenen gesprochen, den Diktatoren und ihren Unterteufeln.

      Wie anders die Seleniazusen der fernen Zukunft, in welcher ich mich soeben mit Leib und Seele befinde. Auf den Knien lagen sie vor ihren Kurmännern und flehten, von dem Nachtmahr der Macht, der Würde, der Ehre befreit zu bleiben, wobei als einzige Erleichterung des Unglücks galt, daß der Erwählte überhaupt nicht mehr werde „heißen“ müssen, so daß wenigstens nur ein Namenloser und daher nicht Identifizierbarer die Last der Ehre trug. — Inzwischen aber wurden im Zuge des Wahlprozesses die Namen der Präsidentablen an den Nachthimmel geworfen, nebst genauer Conduite, unerbittlicher Charakterisation und Biographie, und zwar von der Hand des Uranographen der „Abendsterne“, damit die große Masse der Wähler sich ein Bild von jedem Erwählbaren machen könne. Das wiederholte sich allabendlich und dauerte seine Zeit. Dann erst erfuhr das Volk das festgesetzte Datum des Wahlaktes. Was es aber nicht erfuhr, war der Umstand, ob derjenige als gewählt zu betrachten sein werde, der die meisten, oder derjenige, welcher die wenigsten Stimmen auf sich vereinigte. Das entschied ein kleines Gremium von Chronosophen und Geistesforschern. So aber blieb es dem Wähler verborgen, ob er durch seinen Stimmzettel den Erkorenen in das Schilderhaus des höchsten Weltranges bugsierte oder es ihm verschloß. Wenn mir diese Frustration des Wählers jetzt nach meiner Rückkehr oft unbegreiflich erscheinen will, damals, das heißt dereinst in fernster Ferne, als ich sie zum erstenmal aus dem Munde des Fremdenführers vernahm, entzückte sie mich wie ein kühn erratenes Rätsel oder die elegante Lösung eines schwierigen mathematischen Problems.

      Als ich vorhin das Wort „Schilderhaus“ in Verbindung mit dem Worte „Welthausmeier“ vernommen hatte, da war in mir der Gedanke entstanden, daß die Machtfunktion in ihrem obersten Vertreter sichtbar und sinnbildlich erniedrigt werden sollte. Ich erwähne diese falsche Anwandlung nur, um die ehrfurchtgebietende Wirklichkeit des Mächtigen, der unter der Macht litt, des Ehrenreichen, der keine Ehre wollte, deutlicher hervorzuheben, denn schon war der Fremdenführer in der Hoheitsbaracke verschwunden, und meine Hausgruppe schob mich ihm nach mit sanftem Drucke durch die offene Tür in die bräunliche Dämmerung hinein. Ich unterschied zuerst zwei kleine Lämpchen auf dem Fußboden, zwei Nachtlichter, Totenlichter hätte ich beinahe gesagt, deren Schein sich kaum durch die Dämmerung arbeiten konnte. Es waren die ersten „natürlichen“ Lichtquellen, die ich in dieser Welt der unsichtbaren und differenziertesten Beleuchtungsarten zu Gesicht bekam, flache Schnabellämpchen antiker Fasson, wie man sie in Babylon und im ältesten Rom verwendet haben mochte, ölgefüllte Gefäßlein, in denen ein Docht schwamm. So floß in schwachem Funzelschimmer an dieser Stätte des gegenwärtigen Geoarchonten das unnennbar Antike mit dem unnennbar Modernen zum ewig Menschlichen zusammen. Dies war vermutlich zu sinnbildlichem Ausdruck nicht anders beabsichtigt, denn nichts ist hartnäckiger im ewig Menschlichen als der Wunsch, der Wirklichkeit eine doppelte Bedeutung zu geben und den platten Dingen einen göttlichen Hinterhalt zu legen. Die sogenannten realistischen Zeitalter, die von der göttlichen Doppelbedeutung der Realität mit Erbitterung nichts wissen wollen, das zwanzigste Jahrhundert zum Beispiel, in welches ich aus des Geoarchonten Schilderhaus inzwischen heimgekehrt bin, werden von ihrer sinnentleerten Realität zerfressen wie von Schwefelsäure.

      Jetzt begann ich deutlicher zu sehen. Zwischen den beiden archaischen Lämpchen aus Alt-Rom oder Babylon wuchs das Ruhelager des Weltregenten zu Beginn des zweiten Jahrhunderttausendes gegen den Hintergrund des engen Wachtlokals massig aus dem Dunkel. Das Kopfende war ziemlich hoch gebaut, so daß man die schlafende, in die violetten Ehrenschleier ihres Herrscheramtes gehüllte Figur darauf von Kopf zu Füßen überblicken konnte, und das Gesicht in