Inger Gammelgaard Madsen

Leichen bluten nicht - Roland Benito-Krimi 6


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und erlebten, zu sehr zu Herzen nähmen, würden sie nicht damit klarkommen. Die Dinge mit ein bisschen Humor zu nehmen, war eine Art, das Makabre von sich zu schieben. Hatte man den nicht, war das kein Job, den man wählen sollte. So war das auch bei Sanitätern und Polizisten.

      »Nein, du hast Recht.« Er fuhr sich durch das dunkle Haar, das am Nacken ein bisschen zu lang war. »Und dann kommt noch diese brutale Vergewaltigung hinzu.«

      »Ja, das kann man wohl sagen. Der Mann muss ja ein Psychopath gewesen sein. Ich habe das Mädchen untersucht. Sie war fürchterlich zugerichtet. Ich habe den Bericht heute Abend bei Benito abgeliefert, aber es gibt nicht viele Spuren.«

      »In ihrer Wohnung auch nicht. Die Tür war nicht aufgebrochen und es sah nicht aus, als ob sie Besuch gehabt hätte. Im Schlafzimmer war eine Menge Blut. Wir haben überall Fingerabdrücke genommen, aber es waren nur ihre eigenen und ein paar andere, die sich sicher als die von Freundinnen und Freunden herausstellen.«

      »Vielleicht wird der Vergewaltiger ja auch unter ihnen gefunden. So ist es ja oft, dass es einer aus dem direkten Umfeld ist.«

      Er nickte. »Ja, ich weiß. Wir müssen sehen, wann wir die Fingerabdrücke von denen bekommen, mit denen sie zu tun hatte. Damit können wir anfangen auszuschließen.«

      Natalie merkte, dass er mit dem Gedanken spielte, nach Hause zu gehen. Er hatte jetzt schon zwei Mal auf die Uhr gesehen und sich ein wenig von ihr zurückgezogen, als ob es ihm zu intim würde.

      »Und wann kriegt ihr die Ergebnisse?«, fragte sie, um ihn noch ein bisschen länger aufzuhalten.

      »Ich werde denen mal ein bisschen Dampf machen. Aber jetzt sollte ich lieber los, es wird spät, und wir müssen morgen früh beide arbeiten.« Er stand auf und sie beeilte sich, es ihm gleich zu tun, damit es nicht aussah, als ob sie mehr von ihm erwartete.

      »Ja, bis morgen dann. Komm gut nach Hause.«

      Sie stand in der Tür und sah, wie er sich auf seine Harley Davidson schwang. Ärgerte sich darüber, dass nicht mehr passiert war. Vielleicht war es doch kein Date gewesen. Vielleicht hätte sie selbst ein bisschen mehr tun müssen, um ihm klar zu machen, was sie wollte. Impulsiv lief sie ihm nach und küsste ihn schnell auf die Wange.

      »Danke, dass du gekommen bist.«

      Er schaute sie lange an, dann zog er sie an sich und küsste sie. Es war ihr erster richtiger Kuss. Seine Zunge umkreiste ihre, weich und hingebungsvoll, nicht fordernd vor Begierde. Das enttäuschte sie, reizte sie aber auch. Dann ließ er sie los und setzte den Helm auf. Sie ging ein paar Schritte rückwärts, als er das Motorrad anließ, und plötzlich war er weg. Einsam blieb sie im Gestank des Auspuffs zurück, aber sie lächelte. Es war ein perfekter Abend gewesen, obwohl sie immer noch nicht besonders viel über diesen spannenden, neuen Kriminaltechniker wusste, mit dem sie jetzt ein paar Monate zusammengearbeitet hatte.

      7

      Der Bericht über die rechtsmedizinischen Untersuchungen im Fall Maja Andersen lag auf Rolands Tisch, als er ein wenig verspätet eintraf, was dem Verkehr geschuldet war, der aufgrund der Bauarbeiten am Hafen und der ersten Etappe der Leichtbahn zur gleichen Zeit unberechenbar war. Es gab Verkehrsprobleme in der ganzen Stadt. Er las den Bericht zwischen kleinen Schlucken frischgebrühten Kaffees, der sicher nur deswegen besser zu schmecken schien, da er – anstelle der weißen Plastikbecher, die es im Polizeipräsidium gab – seine eigene Real Fabricca Ferdinandea-Porzellantasse mitgebracht hatte. Eine neue Studie zeigte, dass Frauen, die freiwillig Sex gehabt hatten, die gleichen vaginalen Verletzungen haben konnten wie Frauen, die Opfer einer Vergewaltigung geworden waren, deswegen konnte die rechtsmedizinische Untersuchung vor Gericht nicht immer als Beweis angeführt werden, aber in diesem Fall gab es keinen Zweifel. Isabella hatte Recht – Männer waren Schweine! Jedenfalls Männer wie der hier. Roland schüttelte schockiert den Kopf, als er las, was die junge Frau hatte durchleiden müssen und welche schweren Verletzungen sie dadurch erlitten hatte. Jetzt war ihr Leben ruiniert. Wegen der perversen sexuellen Neigungen eines solchen Psychopathen würde sie nie Kinder bekommen können. Leider keine DNA. Das Kriminaltechnische Zentrum hatte auch nicht mit Hinweisen auf die Identität des Vergewaltigers dienen können. Nicht ein einziger Anhaltspunkt. In Rolands E-Mail-Posteingang verkündete eine E-Mail, dass nur Majas Fingerabdrücke und die von zwei ihrer Freundinnen und Freunde in der Wohnung sichergestellt worden waren. Es war vermerkt, dass der Täter vielleicht Handschuhe getragen hatte. Roland hoffte, dass die Befragung der Freunde und Bekannten des Opfers zu einer schnellen Verhaftung führen würde. Als er den Bericht zuklappte, stieß er beinahe mit dem Ellbogen die Tasse zu Boden. Er seufzte erleichtert, als er sie auffing und nur ein bisschen Kaffee auf dem Tisch verschüttete. Sie war neapolitanischer Herkunft, mit einem handgemalten Landschaftsmotiv: Ein rauchender Vesuv hinter Ruinen und Zy­pressen, von einem vergoldeten Lorbeerkranz umrahmt; sie hatte seiner Mutter gehört. So viel er wusste, kam sie ursprünglich aus dem kleinen Antiquitätenladen seiner Tante im Zentrum Neapels, und er hatte keine Ahnung, wie viel sie eigentlich wert war. Irene hatte die Tasse nie gemocht.

      Er hatte gerade den Kaffee aufgewischt und war aufgestanden, bereit, zum morgendlichen Briefing zu gehen, als Kurt Olsen in sein Büro kam.

      »Sie hat es nicht geschafft«, sagte er heiser, und in seinen Augen stand ein fast panischer Ausdruck.

      »Wer?«

      »Maja. Maja Andersen. Das Vergewaltigungsopfer.«

      »Hat es nicht geschafft … was meinst du?«

      »Sie ist letzte Nacht gestorben.«

      Roland setzte sich wieder.

      »Ist bei der OP etwas schief gegangen?«

      Kurt schüttelte den Kopf. »Nein, die ist problemlos verlaufen. Reine Routineangelegenheit für den Chirurgen. Sie hatte einen Herzstillstand.«

      »Herzstillstand. Noch einer …«, murmelte Roland.

      Kurt nickte nachdenklich. »Ja, aber sie war echt zu jung dafür. Wir stehen also nicht länger mit einem Vergewaltigungsfall da, jetzt geht es um Mord. Lasst uns zusehen, dass wir zur Morgenbesprechung kommen.«

      Roland fiel es schwer, diese Information zu verdauen. Er musste daran denken, wie erschüttert Isabella nach der Befragung von Maja gewesen war. Wie würde sie das hier aufnehmen? Er stand auf und nahm den rechtsmedizinischen Bericht vom Schreibtisch, ehe er dem Vizepolizeidirektor folgte.

      Hafid Ahmed hatte stilles Wasser und eine Thermoskanne mit Kaffee aus der Kantine geholt. Nach dem Vergewaltigungsfall war auch Kim aus dem Urlaub geholt worden, sodass sie vollzählig waren. Er hatte es gerade mal geschafft, eine knappe Woche in dem Sommerhaus an der Nordsee zu verbringen. Die Hitze, die sich bereits in dem kleinen Raum staute, lud nicht gerade zum Verzehr warmer Getränke ein. Hafid, der eifrigste junge Beamte, den Roland je in seinem Team gehabt hatte – und der, wie Roland selbst, mit seinem Urlaub warten konnte – lächelte sein strahlend weißes Lächeln und wünschte akzentfrei einen guten Morgen. Dänische Mutter und marokkanischer Vater. Sehr dunkle Haut, schwarze Augen und Haare. Eine auffällige Narbe am Hals, die Roland jeden Tag daran erinnerte, warum er eingestellt worden war und wieso der Beamte Dan Vang nun im Staatsgefängnis in Ostjütland saß. Ein äußerst verzwickter Fall, der seinerzeit riesige Wellen geschlagen hatte. Die Abteilung war gerade erst dabei, sich davon zu erholen. Das Misstrauen in die Polizei war noch größer geworden nach dem Vorfall, der bewies, dass Polizisten eben auch nur Menschen waren. Es galt, einen Ruf wiederherzustellen. Dan Vang wurde nun kaum von jemandem vermisst; er hatte in den Jahren, die er bei der Polizei war, nie wirklich etwas geleistet und Hafid war ein richtig guter Tausch, alle mochten ihn, selbst Mikkel Jensen, obwohl Hafid nicht verheimlichte, dass er Moslem war. Aber Roland wünschte dennoch niemandem das Schicksal, das Dan Vang widerfahren war.

      Der Vizepolizeidirektor eröffnete die Besprechung damit, über Maja Andersens plötzlichen und unerwarteten Tod zu informieren. Roland beobachtete Isabellas Gesicht, während Kurt sprach. Sie wirkte sichtlich angespannt und um ihre Mundwinkel bemerkte er ein leichtes Zucken.

      »Das kann nicht stimmen!«, unterbrach sie Kurt heftig, der sie wütend und zugleich verdutzt anschaute. Er war es nicht gewohnt, unterbrochen zu