Heinrich Mann

Die Vollendung des Königs Henri Quatre


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Wohlgekleideten nach der Herkunft und den Kosten seiner Stoffe. In die Antwort hinein rief er:

      „Ist es denn wahr, Sie sind kein Mann!“

      „Ich war es“, sagte Herr de Liancourt und sah aus, wie gewesen. Er sagte in aller Förmlichkeit, mit Pausen und Verbeugungen: „Ich bin es zu Zeiten. Sire! Ich befinde selbst darüber, wann ich es zu sein habe.“

      Das konnte der bare Hochmut sein. Oder Ergebenheit für den königlichen Liebhaber seiner Gemahlin lag darin: es schien unmöglich, diesem Menschen einen Sinn nachzuweisen und ihm eine Sicherheit abzugewinnen. Henri brachte vor, beinahe wie eine Bitte:

      „Und der Huftritt?“

      „Ein Huftritt hat stattgefunden. Das Urteil der Fakultät über ihn und seine Folgen läßt mehrere Deutungen zu.“ Dem König blieb von der Auskunft der Mund offen.

      Ihm war nachgerade angst und bange. Das abwesende Gesicht, eine Bescheidenheit ungreifbar, eine Selbstgewißheit wie ein Schlafwandler oder Geist. Das Wesen gesteht nichts, will nichts; es erscheint nur, es bekundet sich, wenn auch schwach. Henri ertrug es nicht länger. Er schlug auf den Tisch und rief: „Die Wahrheit!“ Seine Wut betraf beide, dieses Gespenst, aber noch mehr Gabriele, die ihn wahrscheinlich belogen hatte, und jede Nacht lag sie bei diesem. Er durchmaß mit langen Schritten das Zimmer, fiel auf einen Sessel und biß sich in die Knöchel der Hand.

      „Bei Ihrem Leben! Die Wahrheit!“

      „Sire! Ihr Diener erwartet Ihre Befehle.“

      Hier begriff der Eifersüchtige, daß die Wirklichkeit soviel wie ein Machtspruch ist. Er hätte früher daran denken sollen, beruhigte sich augenblicklich und diktierte.

      „Sie übergeben mir Madame de Liancourt. Sie werden dafür mein Kammerherr. Gabriele bekommt von mir, als Beitrag zu ihrer ehelichen Gemeinschaft, Assy, das Schloß, die Wälder, Felder, Wiesen.“

      „Ich verlange nichts“, sagte der Gatte. „Ich gehorche.“

      „Gabriele trägt weiter Ihren Namen. Vielleicht mache ich sie später zur Herzogin von Assy. Wenn sie stirbt, erben alles Ihre Töchter. Herr!“ rief er dazwischen, weil der andere stehend einzuschlafen schien. Der König verordnete:

      „Dafür bestätigen Sie ohne Widerspruch, was wir behaupten werden, sonst wehe Ihnen: Die Dame d’Estrées hat Sie nur gezwungen geheiratet, und Ihre Pflichten haben Sie in der Ehe nie erfüllt, ob Huftritt oder geheime Krankheit. Verstanden?“

      Herr de Liancourt verstand, wie man ihn jetzt schon kannte, trotz seiner merkwürdigen Erstarrung. Diese nahm zu, je mehr Geschenke, Todesgefahren und Wendungen des Geschickes auf ihn eindrangen. Henri ließ ihn und warf die Tür hinter sich.

      Der Zurückgebliebene verharrte eine Weile mit dem Gesicht über den Füßen. Als er sich endlich aufgerichtet hatte, riegelte er ab und verhängte das Schlüsselloch. Aus der Truhe holte er ein dickes Buch in Leder mit dem Wappen des Hauses Amerval de Liancourt und begann zu schreiben. Er verzeichnete, wie schon bislang, die Vorfälle seines Lebens, so auch diesen jüngsten. Mit großer Genauigkeit gab er den König wieder, seine Reden, innerlichen Bewegungen und Gänge durch das Zimmer. Ob er es wollte oder nicht, die Gestalt und Rolle des Königs gerieten derart, daß der Schreibende auf sie herabsehen konnte. Mit seinem schönen Ehegemahl war ihm dasselbe schon längst gelungen. Seine schriftlichen Niederlegungen beschloß er aber mit einer Mitteilung an die Nachwelt. Er setzte groß darüber: „Hochbedeutsames, wahrhaftiges Zeugnis, abgelegt von Nicolaus d’Amerval, Herrn de Liancourt, zu lesen nach seinem Ableben und wohl aufzubewahren für alle Zeiten.

      Ich, Nicolaus d’Amerval, Herr von Liancourt und anderen Orten, bei vollem Verstand und meines Todes gewiß, aber ungewiß seiner Stunde —“ Er kleidete, was er zu hinterlassen gedachte, in die feierliche Form eines Testamentes; dann folgte, daß alles, was ihm zustieß, Unrecht, Lüge und Vergewaltigung wäre. Er wäre weder unfähig noch ungeschickt für das fleischliche Werk der Zeugung — dies vor Gott gesprochen. Sollte er in einem Scheidungsverfahren das Gegenteil zugehen, dann geschehe es infolge Gehorsam gegen den König und aus Furcht um sein Leben.

      Pastor La Faye

      Unverweilt kam Gabriele zu Henri. Er schickte ihr Edelleute, die sie an seinen reisenden Hof brachten, und beide waren sehr glücklich. Die Frau freute sich, entkommen zu sein aus ihrem gespenstischen Schloß, wo hinter den Türen verdächtige Dinge vorgingen. Den Mann entzückte es, daß sie ihn liebte; und gewiß, verglichen mit dem Verlassenen liebte sie ihn. Ihr strahlender, berauschender Körper blieb in der Hingabe sanft, was dem stürmisch Begehrenden nicht auffiel. Der Abstand war unleugbar: einst die unlustige Fügung in seine Wünsche, jetzt soviel Geduld und Freundlichkeit. Henri glaubte alles erreicht zu haben, und wer auf dem Gipfel ist, fühlt sich frei. Vermeintlich steht es in seinem Belieben, bei Gabriele zu bleiben oder nicht. Das Ende ist so fern, daß man von einer Ewigkeit redet; weiß indessen durch oft wiederholte Erfahrung, wie lange es dauert, vielmehr, wie kurz.

      Nichts wußte Henri wirklich. Diese war anders und sollte ihm mehr zu tun geben als alle zusammen. Nicht Raum genug für ihn und sein Erleben in den Jahren, die ihr blieben, und dann erst ihr Tod, der größte Tod vor seinem eigenen. Jetzt gibt sie sich ihm freundlich hin, mehr nicht: da sie freimütig ist und nichts erheucheln will. Aber was sie noch nicht fühlt, er wird es erringen, nacheinander ihre Zärtlichkeit, ihr Feuer, ihren Ehrgeiz, ihre ergebene Treue. Er findet immer mehr zu entdecken, unruhig betritt er auf jeder Stufe dieser Beziehungen eine neue Welt. Wird auch ein neuer König und Mensch sein, sooft sie durch ihn eine andere wird. Sich selbst verleugnen und beschämen, damit sie ihn liebt. Die Religion abschwören und das Königreich haben. Sieger, Hort der Schwachen, Hoffnung Europas — groß sein. Bald schon gesättigt: das alles ist beschlössen und soll eintreten, eines zum andern. Endlich wird die Geliebte des großen Königs das letzte über ihn verhängen: sie stirbt, und ihm wird gegeben, ein Träumer und Seher zu sein. Genug für die Zeitgenossen, ihren Überdruß einzugestehen an ihm und seiner Art. Man wendet sich fort, indes er einsam höher steigt, indes er sich verliert. Nichts hiervon wußte Henri, als er Madame de Liancourt an seinen reisenden Hof kommen ließ und mit ihr sehr glücklich war.

      Hier gefiel sie allen überaus und machte sich keinen Feind, auch keine Feindin. Die Frauen sahen und erkannten an, daß sie nichts Unkeusches hatte weder im Reden noch Gehaben. Sie erwies sich blutjung und bescheiden gegen jede Dame von höherer Geburt oder reiferem Alter. Nicht durch Ränke und Laster, nur von der Gnade des Königs hatte sie ihren Rang; es erschien unzulässig, ihn ihr zu verdenken. Die Männer dieses Hofes waren einfache Kriegsleute, der rauhe Crillon, der tapfere Harambure. „Einäugiger“, nannte ihn sein Freund und Herr. „Morgen haben wir ein Gefecht, Einäugiger. Nimm dein Auge in acht, du wärest gleich blind!“ Die älteren Hugenotten des Hoflagers waren sittenrein und hierin dem König ungleich. Die jüngeren nahmen ihn sich auf alle Fälle zum Beispiel; aber für beide Gattungen der Protestanten wie auch für seine papistischen Getreuen war Henri der große Mann, dem allein die Bewunderung gerecht wird, und ganz verstehen kann ihn nur die Liebe.

      Dies verspüren, und unweigerlich wurde die schöne d’Estrées in den Dunstkreis um den König gezogen. Hier bekam er eine Persönlichkeit weit hinaus über den Liebhaber, an den sie sich hatte gewöhnen müssen, und sogar der Sieger von Chartres, dessen Glanz ihr geschmeichelt hatte, trat zurück. Diese Männer alle hätten jederzeit an seiner Stelle ihr Leben verschenkt, jede Frau aber hätte ihren Sohn dahingegeben. Und hätten, Männer wie Frauen, nur zu gewinnen geglaubt, da der König von ihnen das Beste, ihr eigenes, aber vollkommenes Wesen, ihr Glaube und ihre Zukunft war. Gabriele, eine gelassene Natur, eher vernünftig als ausschweifend, still beobachtete sie, machte sich leise lustig — lernte aber zugleich, wo ihre Aussichten lagen, wie sie sich verhalten mußte. Wenn ihr Herz nicht gerade gerührt war, ihr Sinn wurde verwandelt.

      Sie war am Hof die ruhigste Person. Ihr hoher Rang bekundete sich fast allein in Unvordringlichkeit, manche fanden: Kälte. Ihr Verehrter Herr d’Armagnac, Erster Kammerdiener des Königs, nannte sie den Engel des Nordens. Niemand begriff, außer Henri, ihren Zauber wie d’Armagnac. Engel des Nordens, sagten auch die anderen Gascogner und suchten mit den