Heinrich Mann

Die Vollendung des Königs Henri Quatre


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d’Estrées wäre, übte sie doch verbotenen Reiz nicht aus.

      So vielen Lichtern ohne Deckung ausgesetzt, machte Gabriele kaum einen Fehler, und jedenfalls den entscheidenden nicht. Man wartete, ob sie den Namen Bellegarde in den Mund nähme. Wie sie es anstellte, und ob sie es tat oder ließ, sie mußte sich schaden. Zuletzt sprach sie dann wirklich von ihrem früheren Geliebten, das vorberechnete Ereignis wurde es aber mit nichten. Der junge Givry, ein Altersgenosse des Großstallmeisters und nicht weniger wohlgebildet, machte ihr ehrfurchtsvoll und anmutig den Hof; durch sie hindurch machte er ihn eigentlich dem König. „Herr de Givry, von Ihnen ist ein Wort, das der König Ihnen nie vergißt“, sagte Madame de Liancourt, als mehrere zuhörten. „Beim ganzen Adel ein berühmtes Wort: ,Sire! Sie sind der König der Tapferen, verlassen werden Sie nur von Feiglingen.‘ So sagten Sie und trafen durchaus das Richtige. Nun ist der Herzog von Bellegarde kein Feigling, der König wird ihn nicht lange mehr vermissen, sondern ihn sicher zurückkehren sehen.“

      Das war alles. Keine Erwähnung des Fräuleins von Guise — womit deutlich genug verlangt wurde, von Liebesgeschichten sollte die Rede nicht sein, und was allein noch zählte, wäre die Treue zum König. Das war geschickt genug — erschien sogar freimütig und schlicht. Dem Skandal war zuvorgekommen — oder doch nicht? Der offene Anspruch, untadelig dazustehen, ging manchen zuweit in Anbetracht der wirklichen Verhältnisse. Die Pastoren des Hoflagers hatten auf diese immer verwiesen: der König und Madame de Liancourt, beide verheiratet, ein doppelter Ehebruch, der Welt zum Ärgernis und unter Nichtachtung der Religion. Die Pastoren erhoben diesmal die Stimme und sagten „Iesabel“, indessen die Prälaten schwiegen. „Iesabel“, sagten die Pastoren, als ob die Frau des jüdischen Königs Ahab, die ihn zu ihrem heimatlichen Gotte Baal bekehrte, hätte verglichen werden können mit der katholischen Freundin eines Königs von Frankreich. Allerdings war Iesabel verfolgt worden vom Propheten Elias, bis die Hunde sie fraßen mit Ausnahme des Schädels, der Füße und der flachen Hände. Der Prophet hatte es ihr richtig vorhergesagt. Die Pastoren dagegen konnten irren, sie zeigten sich hart und schon deshalb nicht klug. Sie ängsteten die Dame und enttäuschten ihren guten Willen.

      Von den Priestern ihrer Kirche erhielt die Geliebte des Königs nur gütigen Zuspruch: nicht gerade die Hoffnung auf eine hohe Vermählung, soweit waren die Dinge längst nicht. Noch lag sogar die Trennung der Dame d’Estrées von ihrem Gatten im Dunkeln, um wieviel weniger wird ein kirchlicher Diplomat, der nichts verderben will, die Ehe des Königs berühren. Auch sein Glaubenswechsel, so sehr alles darauf hinlief, so nah er mittlerweile gerückt war, in den Gesprächen der Prälaten mit der Geliebten des Königs kam er nicht vor. Das bedeutete einen Wink für Gabriele, und sie verstand ihn. Ihre geheimen Stunden mit Henri hörten keine einzige geflüsterte Anspielung auf seinen Übertritt. Indessen entließ sie ihre protestantische Dienerschaft — unauffällig, infolge eines Rates ihrer Tante de Sourdis, die wachsam blieb.

      Pastor La Faye war ein alter, milder Mann, der Henri einst auf seinen Knien gehalten hatte. Der war es, der sprach zu dem König. Er konnte es, weil weder frommer Eifer noch Tugendwächterei sein Fall waren. Er gab zu, daß man in beiden Bekenntnissen seine Seele retten könnte. „Ich soll bald vor Gott hintreten. Wär ich aber katholisch und würde mitten aus der Messe zu ihm gerufen, anstatt aus der Predigt, wie es meine Hoffnung ist, der Herr in seinem Strahlengewölbe würde darum das Auge nicht regen.“

      In einem Zimmer saß der Pastor, der König schritt vor ihm hin und her. „Sprechen Sie weiter, Herr Pastor! Sie sind kein Gabriel Damours, das Flammenschwert führen Sie nicht.“

      „Sire! Dies ist die Wendung zum Schlimmen. Geben Sie Ihren Glaubensgenossen nicht das Ärgernis, daß Sie sich dem Schoß der Kirche mit Gewalt entreißen lassen!“

      „Wenn ich Ihrem Rat folgte“, erwiderte Henri, „bald gäbe es weder König noch Königreich mehr.“

      Der Pastor führte die Hand schnell vor seinem Gesicht vorbei. „Die Rede der Welt“, sagte er ohne Betonung, wie eine Sache, die wegzustreifen und abzutun wäre. „Der König fühlt sich von dem Messer bedroht, wenn er bei der Religion verharrt. Schwört er sie aber ab, werden wir Hugenotten nicht mehr sicher sein, weder unserer Glaubensfreiheit noch unseres Lebens.“

      „Denkt selbst an Eure Sicherheit“, mußte Henri sagen, und da es beschämend war, sprach er es stürmisch. „Ich wünsche Frieden allen meinen Untertanen, und mir selbst die Ruhe der Seele.“

      Der Pastor wiederholte: „Die Ruhe der Seele.“ Langsam, eindringlich: „So redet die Welt nicht: das sind wir. Sire! Nach Ihrem Übertritt werden Sie nicht mehr leichten Herzens und einfach, nicht einfach und furchtlos werden Sie dastehen vor dem Volk, das Sie geliebt hat, und darum liebte Sie auch der Herr. Sie waren gütig, weil Sie nichts verschuldet, und lustig, solange Sie nicht verraten hatten. Nachher — Sire! Nachher sind Sie keine Hoffnung mehr.“

      Wahr oder falsch, und wahrscheinlich beides: gesprochen war es mit der Schwere der geistlichen Verantwortung, darum ließ dies Wort den König erbleichen. Dem alten Beschützer seiner Jugend widerstrebte der Anblick, er flüsterte schnell: „Aber Sie können nicht anders.“

      Er wollte aufstehen, um zu zeigen, daß nicht mehr die Religion das Wort führe: nur ein demütiger Mensch. Der König hieß ihn sitzenbleiben; er selbst durchmaß das Zimmer mit großen Schritten. „Weiter!“ verlangte er, dachte es mehr, als er es aussprach: „Hab ich denn andere Fehler und Tugenden bekommen?“

      „Es sind noch dieselben“, sagte La Faye, „nehmen aber einen anderen Sinn an, wenn die Jahre kommen.“

      Der König: „Und darf ich nicht mehr glücklich sein?“

      Der Pastor, mit Wiegen des Kopfes: „Sie nennen sich wohl glücklich. Von Gott aber kam Ihnen vorzeiten ein reueloses Glück. Demnächst werden Sie manch Unrecht erleiden und einiges noch schwerere sollen Sie selbst begehen — um Ihrer lieben Herrin willen.“

      „Meine liebe Herrin“, wiederholte Henri, denn so nannte er sie wirklich. „Was wollte sie mir wohl zufügen.“

      „Sire! Sehen Sie allem entgegen, da es doch kommen soll. Geh in Frieden!“

      Was hieß das? Der König verlor die Geduld bei den Ausfällen und den Rätseln des Alten; verließ das Zimmer und betrat die Straße seiner Stadt Noyon: da wälzte sich Volk, ein dichter Haufen. Erst beim Erscheinen des Königs lichtete er sich, und aus seinem Innern entließ das Gewühl keinen anderen als Herrn d’Estrées, Gouverneur der Stadt, aber seit dem großen Aufstieg seiner Tochter auch Gouverneur der Provinz. Nur schwer gelangte er hervor, noch mehrere Hände griffen nach ihm.

      „Herr Gouverneur, wer erlaubt sich, Sie anzurühren?“ fragte der König stark, und da seine Wache vorging, begann das Volk zu flüchten. Herrn d’Estrées waren die Kleider aufgerissen, sonderbare Sachen hingen heraus: Kindermützchen, ganz kleine Schuhe, eine Uhr aus Blech, ein hölzerner Apfelschimmel, glänzend lackiert.

      „Ich habe ihn gekauft“, sagte Herr d’Estrées.

      „Mein Mützchen hat er nicht gekauft“, behauptete eine Ladenbesitzerin. Ein Handwerker schloß sich an. „Meine Säuglingsschuhe auch nicht.“ Ein anderer bat freundlich, aber nicht ohne Spott, ihm seine Spielsachen gefälligst zu bezahlen. Der König betrachtete in peinlicher Erwartung seinen Gouverneur, der unverständlich kollerte, aber besonders seine rot überlaufene Glatze verriet ihn. Sein Hut lag zertreten am Boden, unversehens zog ein gut gekleideter Bürger etwas daraus hervor — sieh da, ein Ring: keine Nachahmung, ein echter Stein. „Aus dem Kasten, den Herr d’Estrées sich von mir vorlegen ließ“, erklärte der Kaufmann.

      „Nichts fehlt von den Sachen“, sagte der König. „Ich hatte mit dem Herrn Gouverneur gewettet, daß er sie so still und heimlich nicht würde kaufen können. Hab verloren und bezahl euch.“

      Sprach es und ging mit großen Schritten ab.

      Der Diener des Königs

      Hiernach verließ er schnell und ohne Abschied die Stadt: d’Armagnac hielt immer die Reisesäcke fertig, die Pferde waren gesattelt. Henri dachte zwischen sich