Heinrich Mann

Die Vollendung des Königs Henri Quatre


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Tausend von ihnen mußten niedergemacht sein, gewiß fünfhundert gefangen, und im Fluß ertrunken wer weiß wie viele. ,Indessen hat die Geduld des Herrn ihre Grenzen. Verlieren auch all ihr Gepäck an uns, wir setzen ihnen nach, und so erleichtert sie dahinfliehen, diesmal wollen wir früher als sie in Paris sein. Das gib, o Herr, denn Deine Geduld hat ihre Grenzen.‘

      So lautete seine Andacht nach dem Siege, anstatt daß er sonst um jedes seiner getöteten Landeskinder Tränen vergoß. Das Böse wird aber zuletzt unverzeihlich, was Henri hier durchaus empfand, und den dicken Mayenne würde er aufgehängt haben.

      Jetzt wurden dort hinten einige Lichter von Fleck zu Fleck bewegt. Der König ging zu seinen Edelleuten, die unter den Toten die Ihren suchten. „Das ist Herr de Fouquières“, stellte er fest. „Er hätte nicht fallen sollen, ich brauchte ihn noch.“

      Sie sagten ihm, daß der Gefallene eine Frau hinterlasse, und diese erwarte ein Kind.

      Der König verfügte: „Seine Pension geb ich dem Bauch.“

      Weiter trugen sie ihre Windlichter von Leiche zu Leiche, bis sie anlangten bei der des Obersten Tisch. Der König prallte zurück, er bedeckte die Augen. ,Hätt ich ihn nicht umarmt! Gleich nachher ritten wir den Angriff, da muß es geschehen sein. Er wollte mir’s zu ehrlich heimzahlen.‘ — „Für meinen tapferen Schweizer mein Kreuz vom heiligen Geist“, sagte der König und wollte es sich von der Brust nehmen. Da war kein Kreuz, war in der Schlacht verloren, auch kein Reiter brachte es zurück. Der König senkte den Kopf wegen des Gefühls seiner Ohnmacht. So machen sie sich denn fort, und ich hab nichts, ihnen nachzuschicken. Was ginge sie mein kurzer Sieg noch an, da sie selbst am Sitz des ewigen Sieges sind. Auf einmal wußte er das ganze Danklied, so wie er es gelesen hatte beim sinkenden Abend, und hatte es sowohl zu prächtig als zu traurig gefunden. Jetzt wurde aber seine Brust sehr angstvoll zusammengeschnürt.

      Schnell entriß er einem das Licht und eilte damit zu den nächsten Toten, bis er den vorgeahnten hatte. Aufschluchzen konnte er nicht, sehr angstvoll zusammengeschnürt war die Brust. Führte aber das Licht immerfort über seinen alten Gefährten hin, wie er daläge, die Hände hielte, ob in seinen gebrochenen Augen kein Vermächtnis stände. ,Keines. Natürlich keines. Denn erstens ist dies einer von mehreren aus dem berittenen Haufen von einst. Bleiben noch genug Hugenotten. Aber dieser wollte gehen — warum? War deine Zeit herum, mein Du Bartas? Wie steht es dann mit mir?‘

      Als Antwort auf die Fragen seiner zusammengeschnürten Brust sagte er zu den Edelleuten, daß sie dem Herrn ein Danklied singen wollten, und er wollte es ihnen vorsingen. Dann sprach er nach der Weise eines Psalms, einfach und halblaut. Die anderen kannten die Weise und summten alle mit.

      „Jetzt, Herr und Gott, jetzt soll Dein lieber Sohn,

      Als wie ein Mensch, gemacht aus irdischem Ton,

      Herniedergehn im blitzumhüllten Wagen.

      Die Liebe zieht ihn, die Gerechtigkeit,

      Indessen ihm zur Seite weit und breit

      Bis zur gestirnten Wölbung sein Geleit

      Von Engeln alle mit den Flügeln schlagen.

      Das ist die schöne Schlacht in diesem Land,

      Da unser Gott uns seinen Sohn gesandt,

      Daß wir den Sieg in seinen Augen sehen!

      Das Reich ist Dein, mein König und mein Christ,

      Nun Du auf Erden groß und Sieger bist:

      Gib denn den Abschied, den mein Herz vermißt!

      Laß mich zum Sitz des ewigen Sieges gehen!“

      Als der König zu Ende war, weinte er sehr, ohne daß jemand ihn recht begriffen hätte. Er hatte schon die letzten Zeilen nicht mehr deutlich ausgesprochen. Das fromme Gesumme der Edelleute hatte ihn übertönt.

      Im Gasthof des Dorfes war heller Jubel, aber einige Personen erwarteten außerhalb der festlichen Räume den König, der vom Schlachtfeld kam.

      „Sire! Ihre Befehle!“

      „Nach meiner Hauptstadt aufgebrochen noch vor dem Morgen!“

      „Sire, das schulden Sie Ihrem Ruhme ... Diesmal widersteht Ihnen nichts und niemand... Die Tore springen vor Ihrem Ruhm auf.“ Die Sätze, von verschiedenen gebracht, klappten aufeinander, wie vorher verabredet. Dies war der Eindruck des Königs, besonders als der folgende Satz fiel. „Ein großer und siegreicher König wird niemals seine Religion abschwören.“

      Henri blickte von einem zum anderen. So sahen diese aus und zweifelten an ihm und seiner Festigkeit. Er wußte es längst, er verstand auch, daß mancher heimlich wankend wurde, weil er ihn selbst dafür hielt. Am besten ermaß er dies an seinen eigenen Beklemmungen und Zweifeln. Seine Brust schnürte sich nochmals zusammen, wie an der Leiche seines alten Gefährten. „Gott läßt den Hugenotten siegen, ihr Herren“, sprach er mit Hoheit und mit Kraft. „Der Herr, mein Gott, lehrt mich, beide Bekenntnisse zu achten und den Meinen treu sein.“ Dessen gerade war er nicht mehr sicher—überzeugte sich auch mit Blicken, daß mehrere der Protestanten, die ihm zuhörten, seinen Worten mißtrauten. Nur Mornay nicht. Sein tugendhafter Mornay, sein Diplomat, voll praktischer Klugheit, und hat seinen Feinden mit Noten geschadet, als wie mit Haubitzen: gerade der glaubt ihm seine Treue. Wie kann er’s aber wissen, ich weiß es selbst nicht. Merkwürdig, der gute Glaube des tugendhaften Mornay verstimmt Henri, er wendet sich ab. In diesem Augenblick sagt jemand:

      „Sire! Paris ist eine Messe wert.“

      Der König fuhr herum, der Sprecher war ein Mensch namens d’O, nichts als O, und sah auch so aus, ein Junge mit Bauch, durch die Gunst des vorigen Königs zum Faulpelz und Dieb geworden: einer der Glücksritter, die das Land und seine Einkünfte unter sich aufgeteilt hatten. Gerade darum hat Henri ihn bleiben lassen, was er war, Schatzmeister des Königreiches. Dieses kann am ehesten vollendet werden unter Benutzung derer, die daran verdienen wollen. Tugendhafte dagegen müssen dafür nicht erst gewonnen werden. Als der fragende Blick des Königs auf Mornay fiel, sagte dieser:

      „Alle ehrenhaften Katholiken dienen Eurer Majestät.“

      Dasselbe hatte Henri diesem d’O und seinen Kumpanen erwidert, als sie ihn das erstemal drängten, die Religion abzuschwören. Das geschah einst neben der Leiche des ermordeten Königs und war eine gefährliche Warnung gewesen. Dennoch hatte damals Henri selbst das Wort gesprochen, und heute sprach es nur noch sein Mornay. Aber er nahm seinen Mornay beim Arm und drückte ihm den Arm. Im Vertrauen fragte er ihn:

      „Haben wir für die Religion gekämpft? War dies die beste unserer Schlachten?“

      „Sie wäre es“, sagte Mornay. „Sire! Sie haben nicht mehr das Recht, Ihr Leben auszusetzen wie heute, als Sie zwischen die feindlichen Lanzen drangen. Es war die tapferste Tollheit Ihres Lebens.“

      „So stände es jetzt doch anders?Was sprechen Sie da, Mornay!“

      Als der König den Festsaal betrat, waren Gelächter und Geschrei unterbrochen. Tische und Becher waren verlassen, alle standen — und des Königs ansichtig, stimmten sie das Danklied an. Es war dasselbe Danklied, das zuerst Henri gesungen hatte auf dem nächtlichen Schlachtfeld, mit nur wenigen. Diese hatten es sich wohl gemerkt: besonders Agrippa d’Aubigné, der alte Freund. Von untersetzter Figur, richtete er sich auf, so hoch er konnte, und betonte stark. Ganz deutlich kamen bei ihm die letzten Zeilen, die Henri eigentlich nur gemurmelt oder sogar verschluckt hatte:

      „Gib denn den Abschied, den mein Herz vermißt!

      Laß mich zum Sitz des ewigen Sieges gehen!“

      Das von Natur kühne und humorvolle Gesicht Agrippas wurde hier so ausdrucksvoll, daß dem König kein Zweifel blieb. Ihr alter Freund Du Bartas hatte das Danklied, bevor er fiel, ihnen beiden gezeigt. Jemand sagte:

      „Das ist das Danklied, gedichtet von unserem König.“

      „Ja“, bestätigte Henri laut, wie der Abscheidende es von ihm verlangt