Paul Keller

Von Hause


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      Von Hause

      Ein Paketchen Humor aus den Werken

      Saga

      Von Hause

      © 1917 Paul Keller

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711517390

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      Von Hause sende ich Euch ein Feldpaketchen, Ihr getreuen Brüder, ein Bündelchen Humor, wie ich es aus meinen Büchern für Euch zusammensuchte.

      Was kann man Euch denn noch schicken in diesem hungrigen Jahre des Heils 1917? Etwas zu rauchen, etwas zu lachen. Der Humor ist noch nicht beschlagnahmt; er scheint neben dem Wasser und der Luft das einzige zu sein, was in dieser argen Zeit nicht knapp wird. Und schliesslich ist ja ein wenig Humor für einen Kriegsmann wohl zu gebrauchen; er vermag vielleicht manchmal den Hunger nach Frieden zu betäuben; er vermag dem Durst nach Freiheit und Liebe auf Minuten die brennende Qual zu nehmen; er vermag in einsamen Nächten und eisigen Stunden etwas zu erwärmen. Deshalb wählte ich Humor für Euch. Wenn er zuweilen ein bisschen wehmütig ist, so ist das seine Art. Vom Kriege erzähle ich Euch nichts. Der Krieg erzählt Euch selbst beide Ohren und die Seele voll. Ich will Euch lustige Geschichten aus der Heimat erzählen, nicht grelle Witze und beissende Satiren, sondern stille Geschichtlein, die ich in friedlichen Stunden schrieb. Es sind lauter Heimatklänge; und wenn sie in Euch widerklingen sollten, findet Ihr wohl, dass die Glocken zu Hause hängen — in Eurer eigenen Jugend.

      Möge, Ihr grauen Brüder, mein kleines Paket glücklich bei Euch ankommen und freundlich von Euch aufgenommen werden. Es kommt — — von Hause. Bleibt gesund!

      Aber auch Ihr, die Ihr zu Hause geblieben seid, könnt mein Büchlein vielleicht brauchen. Auch Ihr seid hungrig nach Frieden, arm an ruhigem Glück, begierig nach Stille.

      Unser ganzes Volk ist im Krieg; viele sind an der Seele verwundet.

      So möge nun alles zur Heilung beitragen.

      Wo aber ruht unsere Sehnsucht? Wo winkt uns Genesung? Wo wurzelt unsere Kraft und Hoffnung? Zu Hause!

      Breslau 9, im März 1917.

      Paul Keller.

      In den Grenzhäusern

      Erzählung aus den schlesischen Bergen

      Es war in meinen jungen Jahren. Alle Ferientage war ich oben in den Bergen, die ihren gewaltigen Grenzkamm zwischen Preussen und Österreich hinstrecken an die vierzig Meilen lang. Das ging immer hinüber und herüber in den dunklen Wäldern und langgestreckten Tälern, immer auf einsamen, zeigerlosen Wegen, dass man wirklich oft nicht wusste: Bist du nun noch im Vaterland oder bist du schon im „Ausland“? Denn das Volk ist hüben wie drüben — derb, treuherzig, von derselben Tracht und Sprache und nimmt das Zweimarkstück an Stelle des Guldens diesseits wie jenseits.

      An einem trüben Sommerabend kam ich in die „Grenzhäuser“. Die Grenzhäuser lagen noch auf preussischer Seite an einem waldigen Abhang, über dem die Kammlinie aufstieg, an der diesseits das preussische, jenseits das österreichische Zollhaus stand. Drüben über dem Berge das erste böhmische Dorf hiess auch Grenzhäuser. Es war natürlich eine Gemeinde für sich und führte den gleichen Namen nur aus dem einzigen Grunde, weil es eben schwer ist und verdriessliches Kopfzerbrechen macht, immer neue Ortsnamen zu erfinden. In den preussischen Grenzhäusern bestand seit alter Zeit ein Gasthaus, das auf den Namen „Der rote Hahn“ getauft war; als viel später in den österreichischen Grenzhäusern auch ein Wirtshaus entstand, nannte es sein Besitzer „Der blaue Hahn“, weil er ein wenig neuerungssüchtig veranlagt war.

      Im „Roten Hahn“ kehrte ich an jenem Sommerabend ein. Ich war sehr durstig und verlangte ein Glas Bier. Der biedere Wirt betrachtete mich und meine grüne Jugend, schüttelte den Kopf und sagte: „Trink’ du lieber a Glas Puttermilch, mei Jüngla; Bier ies fer dich zu stork.“ Ich ärgerte mich sehr über diese Ansprache, denn ich hielt mich bereits für einen jungen Herrn, aber ich bekam nichts anderes als Buttermilch. Eine Weile darauf kam der Wirt wieder an mich heran und forderte mich auf, eine rotscheckige Kuh suchen zu helfen, die sich in den Wäldern verirrt habe. Innerlich war ich empört und sagte mir, es sei eine Frechheit, einen zahlenden Touristen also zu behandeln, denn was ginge mich die rote Kuh des Wirts an; äusserlich machte ich aber nur eine abgespannte Miene und sagte: ach, ich sei so weit gegangen an diesem Tag und sehr müde. Da fasste mich der herkulische Mann an der Schulter: „Na marsch, marsch, tu ni erscht su stupide und zimperlich!“ und schob mich zur Tür hinaus. Es nutzte nichts, ich musste dem barfüssigen Hüterjungen und einer Magd die verlorene rote Kuh suchen helfen. Ich tat es mit tiefem Ingrimm und beklagte es, in eine so barbarische Gegend geraten zu sein. Aber wir hatten Glück. Als wir gerade auf die Suche gingen, und zwar nach einem wohlerwogenen Kriegsplan, der Hüterjunge nach Norden, die Magd nach Süden und ich nach Westen, kam die Kuh von der Ostseite her angetrabt und meldete sich mit einem donnernden Gebrüll zur Stelle.

      „Na siehste,“ sagte der Wirt belehrend zu mir, „wenn man nur die Arbeit nich scheut, bringt se immer ihren Segen.“

      Zum Abendbrot bekam ich ein neues Glas Buttermilch, einen Berg von Bratkartoffeln, Butter, Brot, Wurst und Käse vorgesetzt.

      Das fand ich nun recht anständig, aber ich dachte an die Kostenrechnung und sagte, so viel könne ich nicht essen. Da nahm mich der Wirt unter die Arme, hob mich ein paarmal in die Höhe und sagte verächtlich:

      „Neunzig Pfund hechstens wiegt die Borste. Wie alt bist du denn nu schon?“

      „Achtzehn Jahre,“ sagte ich. „Ich besuche das Breslauer Seminar und bin schon im zweiten Kursus.“ Ich dachte, das würde dem Mann imponieren, aber es war leider nicht der Fall.

      „Miserabel siehste aus,“ sagte er; „wahrscheinlich haste de Schwindsucht.“

      Ich sagte dem Gemütsmenschen beklommen, dass ich zwar ein wenig mager, aber ganz gesund sei. Das glaubte er aber nicht, sondern meinte:

      „Das is ja eben das Gutte bei sulchen Leuten, dass se selber nich wissen, wie’s um se steht. Meine Schwägern, die hat’s nich geglobt, dass se de Schwindsucht hätte, bis se tot war. Die sah grade su aus.“

      Mir wurde plötzlich ganz übel, und ich liess mutlos den Löffel sinken.

      „Ich hab’ keinen Appetit mehr,“ sagte ich leise.

      „Das is bluss wegen deinem verknuchten Gelabere,“ fuhr nun die rundliche Wirtin ihren Mann an; „su einem jungen Blutte su an elendiglichen Quatsch vorreden, das is ja a reenes Verbrechen! Junger Herr, hör’n Se bloss nich uff den alen Esel, der weess nich, was a labert.“

      „Nanu,“ sagte der Wirt betroffen, steckte die Hände in die Hosentaschen und sah immer verwundert zwischen mir und seinem Weibe hin und her. „Was — was hab’ ich denn etwa verbrochen?“

      Die Wirtin stand kirschrot vor ihm.

      „Wenn eener wirklich — nee, nee, du bist ja zu a tummes Luder!“

      Sie fasste ihn am Arme und zog ihn hinaus. Ich blieb trübselig hinter dem reichbeladenen Abendbrottisch sitzen. Nach etwa zehn Minuten kam der Wirt wieder herein. Er kratzte sich hinter den Ohren, machte eine sehr verlegene Miene und sagte kopfschüttelnd:

      „Meine Ale is zu komisch. Do denkt se nu, Sie könnten denken, ich hätt’s ernste gemeent. Nu do müsst ich ju — do müsst ich ju wirlich a aler Labersack erster Klasse sein, wenn ich ei’m Menschen wie Sie sulches Zeug vorredte. ’s war doch bluss Sposs. Denn Sie sein ju wie Milch und Blutt — und Gewichte haben Se — schwer leck — ich