Paul Keller

Von Hause


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sag’ überhaupt nischt meh,“ sagte der Wirt und setzte sich beleidigt in einen Winkel.

      „Das is ooch viel besser,“ entgegnete ihm die Gattin. „Und Sie, junger Herr, machen Se sich nischt draus. Essen Se immer recht tüchtig und sein Se viel ei freier Luft, do kriegen Se im Läben keene Schwindsucht.“

      „Ganz dasselbe, was ich von Anfang an gesat ha,“ brummte der Mann im Winkel.

      Dann wurde es still.

      Nach einer Weile fragte mich die Wirtin, ob ich noch ein Glas Buttermilch wünschte. Ich dankte. Der Wirt fuhr höhnisch lachend empor.

      „Puttermilch! Nischt wie Puttermilch! Davo kriegt eener freilich keene Schwindsucht. Aber die Cholera kriegt a! — Das is doch kee Junge meh, das is doch a Herr. Eener, der schon im zweeten Seminar is. Fer den passt keene Puttermilch, fer den passt a Seidel Bier!“

      Er brachte zwei Gläser Bier und lud mich ein, mit ihm auf der Bank vor der Haustür Platz zu nehmen.

      Das war der Anfang meiner Freundschaft mit dem Roten Hahnenwirt Heinrich Hollmann, einer Freundschaft, die noch heut besteht.

      Der Abend war still und trüb. Es war, als hätten alle Bäume in schlaffer Trägheit die Köpfe geneigt. Der Nebel stieg langsam und müd’ vom Tale auf, über dem Kammweg lag ein fahler Schein, gelb wie Laternenlicht. Am Waldrand huschte eine Eule, sonst regte sich nichts.

      „Das wird eine gute dunkle Nacht,“ sagte der Hahnenwirt. Dann fing er an, mir Schmugglergeschichten zu erzählen, eigentlich die einzige Art von Geschichten, die er in den Grenzhäusern erleben konnte.

      „Die die Schmuggler für schlechte Leute halten,“ sagte mein neuer Freund, „sein alles tumme Kerle. Die wissen eben nich, wie’s hier zugeht. Das bissel kleener Grenzverkehr rüber und rüber macht keen Staat arm oder reich. Da lohnt sich der ganze Sums mit den Grenzjägern nich. ’s is olles Quatsch.“

      „Aber es wird doch manchmal einer erschossen,“ wandte ich ein.

      „Erschussen? Ja, Schmuggler — Grenzjäger nich! Da könn’ Se lange suchen, eh Se een erschuss’nen Grenzjäger finden. Nu ja, ’s is mal a schlechter Kerl drunter, wie ’s halt ieberoll schlechte Kerle gibt; aber sunst sein de Schmuggler ehrenwerte Leute. Orme Teifel sein’s, die sich amal a paar Pfennige schwer genug verdien’. Wovon soll’n se denn leben hier in diesen Bergen?“

      „Sie sind wohl auch ein Schmuggler?“ fragte ich harmlos.

      Aber da fuhr er auf.

      „Jüngla,“ sagte er, „nimm dich in acht, sunst hau ich dir eene runter. Beleidigen loss’ ich mich nich!“

      Ich erschrak über diesen Entrüstungsausbruch und stammelte eine Entschuldigung, setzte auch beschwichtigend hinzu, dass ich selbst schon Kleinigkeiten für den eigenen Bedarf geschmuggelt hätte. Da knurrte er:

      „Wer hier in der Gegend nich schmuggelt, is blödsinnig!“

      Später, viel später war einmal der Deutsche Kaiser im schlesisch-böhmischen Grenzgebirge, Es wurde ihm ein Glas böhmischen Weines vorgesetzt. Er trank ihn und sagte: „Na prosit, — geschmuggelt ist er ja sicher!“ Und lachte.

      An jenem Abend aber griff ich in die Tasche, zog einen Papierbeutel heraus und bot meinem Gastfreund eine Zigarre an. Der sah mich betroffen an.

      „Der Junge roocht,“ sagte er, „und hat doch de —“

      „Ich hab’ nicht die Schwindsucht,“ unterbrach ich ihn. „Nehmen Sie nur.“

      „Österreicher,“ sagte er anerkennend, als er die Marke prüfte, „seht amal die Borste an! Na, wenn sich das bluss mit dem Biere und der vielen Puttermilch verträgt.“

      Dann rauchten wir und schwiegen. Ein Mann stieg vom Kammweg herunter, den ich nach einiger Zeit als einen Grenzjäger erkannte.

      „Da kommt ein Grenzer.“

      „Ja,“ meinte Hollmann, „eener, der noch Durst hat. Es is Wenzel Hollmann von der anderen Seite.“

      „Ist er verwandt mit Ihnen?“

      „Weil er Hollmann heesst? Ach, keene Spur. Hier heessen drei Viertel von allen Leuten Hollmann oder Liebich. Wu sull’n ooch immer die neuen Namen herkummen!“

      Wenzel Hollmann, ein geschmeidiger Mann in knapper österreichischer Uniform, setzte sich zu uns und trank drei oder vier Gläschen Wünschelburger Kornbranntwein. Seine Dienstkappe legte er neben sich auf die Bank. Es stak ein winziges Sträusschen daran.

      „Immer hat a a Pukettela) an der Mütze,“ sagte der Hahnenwirt; „’s is halt a schneidiger Kerl.“

      „Na, du weisst doch, dass mir das immer die Kinder vom „Blauen Hahnen“ dranmachen. Und du putzest mich ja selber oft aus,“ entgegnete der Grenzer.

      Der Rote Hahnenwirt lachte aus vollem Halse.

      „Ja, denkst du, der Rote steht gegen den Blauen zurücke? Putzt der Blaue seine Kunden, putzt der Rote erst recht seine Kunden.“

      Er entfernte das Sträusschen, das aus drei Stengelchen Rosmarin und einem gelben Hahnenfuss bestand, brach vom Gartenzaun zwei Heckenröslein, pflückte vom Beet eine rote Nelke und befestigte sie an der Kappe des Grenzers.

      „Der Rote Hahn lässt sich von der Konkurrenz nischt vormachen,“ sagte er.

      Der Grenzer lächelte ein wenig geschmeichelt und ging bald darauf davon.

      Der Hahnenwirt lachte leise hinter ihm her. Dann sagte er:

      „Na, Jüngla — junger Herr — ich sollt’s ja eegentlich nich verraten, aber Se werden ja nischt ausmähren — Se haben selbst schon geschmuggelt — na, und da soll’n Se gleich amal a rechtes Schmugglerstückel zu seh’n kriegen. Wissen Sie, was das bedeutet?“

      Er nahm die Rosmarinstengel und den Hahnenfuss auf, die der Grenzer dagelassen hatte.

      „Also, passen Se auf. Das, was ich hier in der Hand hab, is ’ne Geschäftsbestellung. Und zwar eene vom Blauen Hahnenwirt drüben. Der Hahnenfuss bedeutet a Fass Butter, und die Rosmarinstengel bedeuten drei Pfund Schokolade. Die soll ich nu nach drüben liefern.“

      „Und das bringt der Grenzer?“ rief ich überrascht.

      „Jawull, der Grenzer! Der is der zuverlässigste Bote. Der tumme Kerl hat natürlich keene Ahnung, dass a unsern Briefträger macht. Ich hab’, wie Se gesehen haben, gleich meine Gegenbestellung beim Blauen Hahn gemacht: eine rote Nelke, das is a Fässel Roter, und zwee Heckenröslein, die bedeuten zwee Flaschen gezehrten Oberungar. Das trägt a nu wieder rüber, denn a pendelt immer zwischen uns beeden hin und her.“

      „Das ist grossartig ausgedacht!“ rief ich begeistert.

      „Ja, Kupp muss ma haben,“ sagte der Hahnenwirt stolz. „Wir haben ’ne ganze Liste ausgearbeit’. Klee z. B. bedeutet Slibowitz, Jelängerjelieber bedeutet Virginiazigarren, fette Henne versinnbildlicht ’ne Tonne ungarisches Schweineschmalz, Flachs is natürlich Leinwand, Männertreu sind Hosenträger, Rosen Stoff für seid’ne Blusen und ’ne kleine Distel is ’n Sack Salz. Eine volle Getreideähre heisst: Ich bitte um die Rechnung; eine leere Ähre aber bedeutet: Wart’ noch a bissel, hab’ jetzt gerade keen Geld.“

      „Es ist genial,“ flüsterte ich voll Bewunderung.

      „Ja, junger Herr,“ sagte der Hahnenwirt, „wenn Se immer hier wären, könnten Se noch a ganz gescheiter Kerle werden.“ —

      „Der Wenzel Hollmann scheint mir grade kein sehr tüchtiger Grenzjäger zu sein,“ wandte ich nach einer Weile ein.

      „Der — nich tüchtig? Oho! Ein Satan is a. Unsere Preussen sind viel langsamer, se haben zu dicke Bierbäuche, aber der dürre Windhund von Österreicher, der geht Tag und Nacht rum und hat beinah schon die ganze Gegend erwischt.“

      „Hat er Sie auch schon einmal erwischt?“