Leonhard Frank

Die Erlebnisse des Inspector Pernell - Kriminalgeschichten


Скачать книгу

      »…Nie im Leben«, hörte er den Chefinspektor sagen, »da freß ich einen Besen samt der Putzfrau, nie im Leben.« »Du wirst schon sehen, Marcel, wirst schon sehen. Wenn Cocon einmal richtig warm wird…« »Cocon ist doch eine Flasche, ein Armleuchter, dem geht doch nach zwanzig Minuten die Luft aus. Ich hab eine Bank getippt auf Racing und…«

      Die beiden redeten also von dem Fußballmatch heute nachmittag und Inspektor Pernell war ein wenig enttäuscht. Das sah denen aber ähnlich, diesen Alten, kein Dienstinteresse mehr, keine Ambitionen. Kommen von einem Tatort und reden vom Fußball.

      »Guten Morgen, Herr Chefinspektor«, sagte er.

      »Morgen, Pernell«, sagte der Chefinspektor, und »Pirie, der Tormann, ist doch auch ein Nachtwächter wie er im Buche steht, und heuer müssen sie froh sein, wenn sie nicht absteigen. Gibt’s was, Pernell?« Sie waren vor der Tür zum Erkennungsamt und Pernell öffnete höflich und ließ die beiden vorgehen. Angenehmer Kaffeeduft strömte ihnen entgegen. Eigentlich nichts Besonderes, Chef«, sagte Pernell, »nur…« »Kaffee«, rief Masarin laut, »eine Tasse schwarz«, und »mir auch einen Schwarzen«, rief der Chefinspektor und »bitte mir einen kleinen Braunen, wenn es geht«, sagte Inspektor Pernell höflich.

      Sonntags war die Kantine der Polizeidirektion geschlossen. Es war eine alte Tradition, daß sonntags der diensthabende Kriminalbeamte des Erkennungsamtes Kaffee kochte für die Dienstgruppe. Eine ganz alte Tradition. Wahrscheinlich so alt wie die Polizeidirektion Paris.

      Die drei setzten sich an einen Tisch, der voll war mit Fingerabdruckkarten. Masarin schob das Zeug ärgerlich von sich. Diensthabender Kriminalbeamter im Erkennungsamt war heute Oberinspektor Bonin. Sein weißer Labormantel war fleckig von Kaffee. »Gleich fertig«, sagte er und schepperte mit Tassen, »gleich fertig.«

      »Also was nun, Pernell«, fragte der Chefinspektor und Pernell war ein wenig verlegen und meinte, es interessierte ihn, wie die Sache aussähe mit dem schweren Raub an der Prostituierten Susanne Brune und was die Ermittlungen am Tatort ergeben hätten und so.

      »Ach Su-Su«, sagte Masarin, »der geht’s schon wieder ganz gut, nicht umzubringen das Mädchen.« Und der Chefinspektor hatte wieder seine schmalen Augen, wie immer, wenn er grinste und sagte »Tatort« und erklärte dann, der Tatort wäre eine Straßenecke im Quartier-Latin und ob Pernell glaubte, daß es dort was Besonderes zu sehen gäbe. Ob Pernell glaubte, daß der Täter dort vielleicht seine Visitenkarte verloren hätte und nein, dort wären sie auch gar nicht gewesen, sondern im Krankenhaus bei Su-Su und es ginge ihr schon wieder besser und morgen würde sie entlassen. Zwei Rippen angeknackt und ein blaues Auge. Dann brachte Bonin den Kaffee und die beiden Alten redeten wieder vom Fußballmatch heute nachmittag. Pernell rührte mit dem Löffel in seinem kleinen Braunen und würgte eine Weile an der Visitenkarte. Er dachte daran, wie eindringlich man in der Polizeischule immer gelehrt hatte, der Tatort gehöre abgesucht, das sei sehr wichtig, aber diese überheblichen Alten wußten ja immer alles besser. Sie sollten endlich in Pension gehen.

      Bonin machte plötzlich ein Gesicht wie der Weihnachtsmann und dann verkündete er, er hätte eine Flasche Beaujolais im Frigidaire und frischen Käse aus der Bretagne, von seiner Tante, und Trudeau und Marasin wurden ganz vergnügt und riefen »her damit, Alter« und sie ließen seine Tante hochleben. Der alte Bonin ist auch so einer, dachte Pernell, alles andere im Sinn, nur nicht den Dienst, und ein schwerer Raub an einer Prostituierten war denen offenbar ganz egal.

      »Keine Spur vom Täter?« fragte er steif.

      »Welcher Täter«, sagte Bonin.

      »Na der Raub an Susanne Brune«, sagte Pernell.

      »Es war der Richtig-Macher«, sagte Marasin, »Alter, der Beaujolais ist Klasse.«

      »Der Richtig-Macher«, Pernell war der Verzweiflung nahe. Jetzt erklärte es der Chefinspektor:

      »Das ist so ein Komiker, im ganzen Viertel bekannt. Er geht abends zu den Mädchen und läßt sich anquatschen, dann redet er blöd herum, sie mache es sicher nicht richtig und wenn dann die Mädchen heiß werden und beteuern, sie machen schon alles richtig und wie er es denn haben wolle, dann sagt der Spaßvogel: umsonst. Verstehst Du? Er findet das lustig. Wenn die Mädchen dann zu fluchen anfangen, haut er meistens ab. Bei Su-Su hat er zugeschlagen.«

      »Und die Handtasche genommen«, erklärte Masarin. Dann redeten die drei Alten wieder vom Käse und der Tante aus der Bretagne.

      Sie unterhielten sich so intensiv, daß es eine ganze Weile dauerte, ehe Pernell sich getraute, was Dienstliches zu sagen. Zweimal setzte er zum Sprechen an, aber verschluckte es wieder, bis er herausplatzte:

      »Warum verhaften wir ihn nicht?«

      »Wen?« fragte Bonin.

      »Na den Richtig-Macher.«

      »Das hat Zeit«, sagte Masarin. Und der Chefinspektor erklärte wieder väterlich: »Wir wissen seinen richtigen Namen nicht, aber seine Stammkneipe ist das Chat-Noir. Dort war er auch gestern, nach dem Überfall, hat ziemlich gestreut mit Geld, der Bursche. Dumm ist nur, daß wir sein Geständnis brauchen. Su-Su ist sicher, daß er es war, aber beschwören vor Gericht kann sie’s nicht, war ja ziemlich dunkel. Wir brauchen sein Geständnis und die Handtasche als Beweis. Irgendwo hat er sie ja hingeschmissen, die Handtasche ohne Geld, er trägt sie ja nicht spazieren.«

      »Dann sollten wir ins Chat-Noir gehen und dort auf ihn warten«, sagte Pernell, »denn hierher wird er bestimmt nicht kommen, hierher ins Erkennungsamt.« Pernell erschrak vor seiner eigenen Kühnheit. Die drei Alten sahen ihn an.

      »Schau, schau, der Kleine«, sagte Masarin, aber es klang wie ein Urteilsspruch für Majestätsbeleidigung. Der Chefinspektor hatte wieder seine schmalen Augen. »Da hat er schon recht, unser junger Kollege«, sagte er freundlich. »Hierher wird er kaum kommen, nicht wahr, Bonin? Also Pernell: Das Chat-Noir öffnet um dreizehn Uhr. Da gehst du hin und wartest auf ihn. Sag Madame Colon, der Chefin, einen Gruß von mir. Sie soll dir ein Zeichen geben, wenn er reinkommt, sie kennt ihn ja, den Richtig-Macher.«

      »Und wenn er kommt?« fragte Pernell.

      »Dann verhaftest du ihn natürlich und bringst ihn zur nächsten Wachstube«, sagte der Chefinspektor. »Très bien«, Pernell erhob sich, »und wo erreiche ich Sie, Chefinspektor?«

      »Überhaupt nicht«, sagte Masarin, »wir gehen zum Fußballmatch, nachher kommen wir ins Chat-Noir.« »Aber wenn er früher kommt«, Pernell war ärgerlich. »Er kommt nicht früher«, sagte Masarin, »er ist Racing Anhänger und sicher auch beim Fußballmatch. Aber geh nur schon vor, wenn du es nicht erwarten kannst.«

      Das Chat-Noir war so eine Bude wie dutzend andere auch im Quartier-Latin. Sechs Tische mit Steinplatten, leicht abwischbar, eine Musikbox, zwei Spielautomaten. Die Bar mit einer Kaffeemaschine, dahinter ein Regal mit Flaschen und Gläsern. Als Inspektor Pernell hinkam, stand Madame Colon schon hinter der Bar und wischte Aschenbecher aus. Sie war eine üppige Vierzigerin mit tiefem Ausschnitt und Haaren von der satten Farbe einer aufgewärmten Gulaschsuppe. Es roch nach Rauch und alten Socken, die Deckenbeleuchtung war eingeschaltet und an der Klotüre hing ein Zettel mit »außer Betrieb«. Pernell war der erste Gast. Er stellte sich vor und richtete die Grüße des Chefinspektors aus und seine Bitte bezüglich des »Richtig-Machers« und Madame Colon nickte nur und fragte, was er trinken wolle. Pernell wollte eigentlich Apfelsaft, aber er bestellte Bier, weil er die geringschätzigen Blicke von Madame fürchtete. Mit Recht.

      Die Stunden vergingen und Pernells Bier wurde warm und der Geschäftsgang im Chat-Noir war flau. Nur ab und zu kam jemand rein und trank seinen Pernod an der Bar und ging wieder. Jedesmal, wenn die Tür aufging, sah Pernell hinüber zu Madame Colon, aber die schüttelte nur leicht den Kopf: Er ist’s nicht, der Richtig-Macher. Gegen siebzehn Uhr wurde es mit einem Male voll im Lokal, alle Tische besetzt und Madame Colon rannte hin und her, daß die Brüste ordentlich wackelten. Die Gäste redeten vom Fußball, das Match war also zu Ende und Pernell konnte den aufgeregten Gesprächen entnehmen, daß Sporting Paris gewonnen hatte. Viel lieber wäre es ihm gewesen, der Richtig-Macher käme endlich. Dann kamen der Chefinspektor und Masarin und sie setzten sich an Pernells Tisch und Trudeau