sagte, das wäre diesmal ernst, er hätte Su-Su zusammengeschlagen und ihr die Handtasche gezupft. Madame Colon brachte das Bier und sagte nur »Dieses Schwein, fahrt ab mit ihm«, und dann redeten wieder alle über das Match und Cocons drei Tore.
Es war schon gegen sechs und Pernells drittes Bier auch schon warm, als einer reinkam, der aussah wie eine Kanalratte und an die Bar ging und einen Pernod bestellte. Madame Colon schenkte ihm das Glas voll und nickte ihm zu und dann nickte sie zum Tisch des Chefinspektors. Bevor Pernell aufspringen konnte, sagte Trudeau: »Laß ihn zuerst den Pernod austrinken, keine Eile.« Trudeau und Masarin tranken ihr Bier aus, und dann ging der Chefinspektor langsam zur Toilette, er sah den Zettel mit der Aufschrift »außer Betrieb« und kratzte sich gedankenverloren zuerst am Kopf und dann am Hintern. Er ging zu dem Richtig-Macher und hielt ihm seine Dienstkokarde unter die Nase: »Du bist festgenommen, du Arsch«, sagte er laut und »Su-Su läßt grüßen aus dem Krankenhaus.«
Die kleine Kanalratte sprang vom Barhocker und schrie, er hätte mit keiner krummen Tour was zu tun und es wäre eine Gemeinheit von der Polizei, einen friedlichen Bürger mit »Du« und mit »Arsch« anzureden. Der Chefinspektor sagte nun laut: »Pernell, den Achter«, und endlich war für Pernell was zu tun. Er sprang zu dem Richtig-Macher und verpaßte ihm die Handfessel, den Achter, so fix und kunstgerecht, daß sein Instruktor auf der Polizeischule seine helle Freude daran gehabt hätte. Masarin stand daneben und grinste und sagte »brav, Kleiner« und dann: »Wo hast du die Handtasche von Su-Su hingeschmissen, du Ratte.« Der Richtig-Macher schrie nur wütend, er würde sich beim Obersten Gerichtshof beschweren und beim Staatspräsidenten und bei den Vereinten Nationen. Es war jetzt ganz ruhig im Lokal und die Gäste wußten nicht, für welche Partei sie Stellung nehmen sollten.
»Madame Colon«, sagte der Chefinspektor, »seit wann ist das Klo außer Betrieb?«
»Seit gestern abend«, sagte sie, »die Wasserspülung funktioniert nicht.«
»Pernell«, sagte der Chefinspektor, »geh rein und schau nach, oben in dem Wasserbehälter. Ich wette, dieser Arsch hat Su-Sus Tasche in den Behälter geworfen, gestern abend. Ich wette meinen Monatslohn gegen Madame Colons Büstenhalter. Jemand hier, der annimmt?«
Niemand nahm die Wette an.
Pernell hetzte ins Scheißhaus. Die Alten waren vielleicht doch nicht so ganz ohne. Er vergaß, den Ärmel hochzukrempeln und griff voll hinein in den Wasserbehälter. Da war sie, die Handtasche.
»Da ist sie«, schrie er und stürmte ins Lokal. Sein rechter Ärmel tropfte.
»Das beweist gar nichts«, sagte der Richtig-Macher. Jetzt knallte ihm Masarin eine, daß ihm die Zigarette aus dem Mund fiel.
»Deine Tapper sind drauf, deine Fingerabdrücke«, sagte der Chefinspektor ruhig.
»Lächerlich«, sagte der Richtig-Macher, »lächerlich, nach einer Nacht im Wasser.«
»Da bist du nicht auf dem laufenden«, sagte der Chefinspektor, »mit unserem neuen DUKE-Verfahren stellen wir Fingerabdrücke auch nach sechs Monaten im Wasser fest, du Arsch, ab die Post jetzt.« »Haut ab mit diesem Schwein«, schrie Madame Colon, und die Gäste waren jetzt ganz einer Meinung mit ihr.
Noch im Auto auf der Fahrt zur Polizeidirektion legte der Richtig-Macher ein volles Geständnis ab, »ihr mit eurem neuen DUKE-Verfahren«, sagte er böse.
Es war schon am nächsten Tag nach dem Frührapport, es ließ dem Insepktor Pernell keine Ruhe: »Dieses neue DUKE-Verfahren«, sagte er zum Chefinspektor, »ich hab nichts davon gelernt in der Polizeischule.«
»Aber Kleiner«, sagte Trudeau, »Sowas gibt’s doch gar nicht, war nur so eine Idee von mir. Der Richtig-Macher ist darauf reingefallen, weißt du…«
»Ach so«, und »entschuldigen Sie, Chef, aber es klang so überzeugend. DUKE, wie kommen Sie ausgerechnet auf Duke-Verfahren, ich meine…«
»Kleiner«, sagte der Chefinspektor, »war nur so eine Idee, DUKE, Abkürzung für Dummer Kerl, weißt du…«
Als er das betretene Gesicht seines Inspektors sah, wurde der Alte tatsächlich fast verlegen:
»Entschuldige, Kleiner«, sagte er, »ich hab dabei keine Sekunde an dich gedacht, nur an den Richtig-Macher. Keine Sekunde hab ich an dich dabei gedacht, du verstehst…«
Pernell verstand.
Diese Alten sind vielleicht doch nicht so ganz ohne, dachte er, vielleicht doch nicht so ganz ohne, diese Alten.
Die holde Gärtnersfrau
Am Tatort war es so wie immer, wenn ein größeres Ding passiert war. Der Kommissar war nervös und gab unentwegt Weisungen, daß dieses und jenes zu geschehen hätte, und Inspektor Pernell und noch einige Kriminalbeamte sagten, »Jawohl, Herr Kommissar« und taten dann, was sie für richtig hielten. Die Sekretärin hielt ihren Stenogrammblock wie ein Schutzschild vor ihre Brust, obwohl für diese in der gegenwärtigen Situation überhaupt keine Gefahr bestand, und wartete, bis der Kommissar mit dem Diktat des Tatortberichtes beginnen würde. Ihre Anwesenheit am Tatort war eine Neueinführung des Kommissars, seit er Leiter der Abteilung geworden war. »Quod non est in actis, non est in mundo«, sagte er oft sehr intellektuell – was nicht in den Akten steht, existiert nicht auf der Welt – und er konnte es nicht erwarten, alles zu Papier zu bringen.
Chefinspektor Marcel Trudeau hatte die Hände in den Taschen, rauchte an seiner dritten Gauloise und sah abwechselnd auf den sehr lebhaften Kommissar und den sehr toten, verkohlten Leichnam, den man bereits zum Abtransport ins Gerichtsmedizinische Institut an den Straßenrand geschafft hatte. Die Sekretärin kaute jetzt an ihrem Bleistift und betrachtete verstohlen das Gesicht des Chefinspektors. Wieder einmal mußte sie daran denken, daß wohl kaum jemand grantiger dreinschauen konnte als der Alte. Und hätte sie jetzt auf höheren Befehl eines der beiden Gesichter abküssen müssen – die Wahl wäre ihr schwer gefallen. Sie mußte lächeln. Den Bleistift nahm sie aus dem Mund.
»Können wir jetzt endlich mit dem Tatortbericht beginnen«, sagte der Kommissar ungeduldig. Die Sekretärin nickte, und der alte Chefinspektor murmelte in seine Gauloise, daß weit und breit niemand da wäre, der ihn daran hinderte.
»Also, Fräulein«, sagte der Kommissar entschlossen, »schreiben Sie: Rechts oben, Beginn der Tatortuntersuchung: 1.4.1981, 09.30 Uhr…«
»…09.30 Uhr«, wiederholte die Sekretärin, und dann hörte man wieder den Kommissar: »Bei dem mutmaßlich Ermordeten handelt es sich mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit um den Gärtner Robert Jardin, am 31. März 1911 in Paris geboren, verheiratet, französischer Staatsbürger…«
»Was?!« sagte der Chefinspektor plötzlich laut. »Wann ist der alte Gärtner geboren?« Der Kommissar wiederholte das Datum: »31. März 1911«. Er haßte Unterbrechungen, wenn er am Diktieren war. Zu aller Überraschung zeigte der Chefinspektor plötzlich reges Interesse an dem Fall. »Ich geh jetzt zur Gärtnerswitwe«, sagte er und trabte in Richtung des einstöckigen Ziegelhauses. »Madame Jardin hat ihre Aussagen schon dem Inspektor Pernell gemacht«, rief ihm der Kommissar ärgerlich nach. Aber das war so, als ob man einem tauben Roß was nachschreien würde.
Am Eingang zum Haus sah der Alte seinen Inspektor Pernell, der mit den Kriminaltechnikern und dem Brandsachverständigen diskutierte. »Komm her, Kleiner«, rief er, »komm her zu mir!« Inspektor Pernell kam heran. »Erklär mir noch einmal den Sachverhalt, Kleiner. Aber mach’s kurz!« Pernell begann verdrossen zu berichten. Er mochte es nicht, wenn der Alte »Kleiner« zu ihm sagte. Schließlich war er einen Kopf größer.
Um sechs Uhr früh hatte Madame Jardin die Feuerwehr angerufen. Zu diesem Zeitpunkt brannte das kleine Holzhäuschen in der Gärtnerei bereits lichterloh.
Als die Feuerwehr eintraf, brannte fast nichts mehr. Es glühte und rauchte nur mehr aus einem rechtekkigen, schwarzen Haufen von Holzkohle, der vormals das niedliche Gärtnerhäuschen gewesen war. An sich wäre die abgebrannte Hütte kein riesiger Fall gewesen. Aber dann machte die Gärtnersfrau den Feuerwehrleuten Angaben, die auch die Mordkommission der Pariser Polizei alarmierte: