Männlichkeitsbilder auflösen würden, die tief im gesellschaftlichen Bewusstsein verwurzelt sind, dass dadurch mit einem Mal verstaubte Weltbilder aufbrechen. Leben und leben lassen, das sagen die Menschen in Bayern gern. Schön wär’s!
Nein, ich würde keinem Fußballprofi raten, sich zu outen. Ich kann schon deshalb mit »Outing« nichts anfangen, weil es suggeriert, dass hier ein Mensch etwas »beichten« muss, was nicht normal ist. Normalität? Normalität ist relativ. Stellen Sie sich vor, eine komplette Mannschaft wäre schwul – und keinen interessiert’s. Stellen Sie sich vor, diese Mannschaft holt im Jahr 2014 den Weltpokal. Mit aller Selbstverständlichkeit. Okay, ich phantasiere…
Zugegeben, es wird noch lange dauern, bis das Thema Homosexualität im Fußball zu eben dem geworden ist, was es sein sollte: nämlich keines mehr!
Auf dem Weg dorthin sei Ihnen dieses Buch empfohlen.
Katrin Müller-Hohenstein
Ihre journalistische Karriere begann Katrin Müller-Hohenstein bei einem lokalen Radiosender. Seit 2006 moderiert die renommierte Journalistin die Sportsendung »Das aktuelle Sportstudio« im ZDF. 2008 wurde ihr der Bayerische Sportpreis in der Kategorie »Herausragende Präsentation des Sports« verliehen. Die Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika begleitete sie als Studio-Moderatorin für das ZDF im Expertengespräch mit Ex-Nationaltorhüter Oliver Kahn. In ihrer journalistischen Arbeit setzte sie sich im Herbst 2010 in einer Sendung des »Aktuellen Sportstudios« mit Tabuthemen auseinander – dabei wurde auch die Frage nach Homosexualität im deutschen Fußball erörtert.
Anpfiff.
»Dieser Weg wird kein leichter sein«
Fußball. Männersport. Unzerstörbare Bastion echter Kerle. Sie prahlen in der Kabine mit ihrer Potenz und brüsten sich mit den zahlreichen Weibern, die sie mal wieder flachgelegt haben. Das Testosteron schwappt über. Sie polieren dem Gegner das Schienbein und fressen Gras, auf das sie vorher gerotzt haben, weil das so ungemein männlich wirkt. Und von den Rängen, wo das bildungsferne Milieu den Gladiatorenkämpfen beiwohnt, wird der gegnerische Torwart beim Abstoß mal gepflegt als »Arschloch, Wichser, Hurensohn« begrüßt, ohne dass sich darüber auch nur im Entferntesten irgendjemand aufregt. Fußball. Männersport. Machowelt. Die letzte Domäne harter Jungs. Hier ist kein Platz für zartbesaitete Weicheier, Warmduscher und Fummeltrinen. Homosexuelle? Schwuchteln? Hinterlader? Schwule Säue? Gibt es nicht. Kann es nicht geben. Weil es sie nicht geben darf.
Der Fußball eine Spielwiese für Proleten? Oder hat vielleicht doch der renommierte Journalist Alexander Osang recht, der in einem Beitrag für den »Spiegel« von den neuen deutschen Männern gesprochen hat, die das Land bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika mit etwas Schönem, Leichtem, gar Tänzerischem vertreten haben? Und der die Nationalmannschaft als weltoffene, tolerante und integrative Gemeinschaft rühmt, die mit einer neuen Art des Fußballs die Menschheit – knallharte Fans gleichermaßen wie die Bildungselite – verzaubert. Alles nur eine romantische Verklärung?
Rund tausend Fußballprofis stehen aktuell bei den 36 Erst- und Zweitligaclubs in Deutschland unter Vertrag. Wenn man davon ausgeht, dass zwischen fünf und zehn Prozent aller Deutschen homosexuell sind, muss es – zumindest statistisch gesehen – mindestens 50 schwule Fußballprofis geben. Seit Jahren wird deshalb außerhalb des von Medien überwachten Männerbundes eifrig spekuliert, um wen es sich dabei handeln könnte. Vor allem in schwulen Chatforen kennt jeder mindestens einen Profi, den er oder ein Bekannter irgendwann einmal in irgendeiner Schwulen-Disko oder -Sauna gesehen haben will und der deshalb ganz sicher auch schwul sein muss.
Dass es schwule Fußballer gibt, ist unstrittig, allein im Kader und Umfeld der Nationalmannschaft sind mindestens zwei Homosexuelle »aktenkundig«. Dabei könnte man auf den verstaubten Dorfplätzen der Republik den Eindruck gewinnen, dass der Paragraf 175 des Strafgesetzbuches, der einst sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, noch immer fest im deutschen Rechtssystem verankert ist. Denn speziell der Fußball und seine Ordnungsbehörden tun sich nach wie vor schwer mit dem Thema.
Beispiel gefällig? Nach einem hitzigen Wortgefecht wurde im August 2007 der Dortmunder Torwart Roman Weidenfeller vom DFB-Sportgericht mit einer Sperre von drei Spielen und einer Strafe von 10.000 Euro belegt. Er soll laut Presseberichten im Derby gegen Schalke den gegnerischen Stürmer Gerald Asamoah als »schwules Schwein«, alternativ auch »Schwabbelschwein«, beleidigt haben. Ursprünglich wurde Weidenfeller vorgeworfen, die Worte »schwarzes Schwein« benutzt zu haben – so die Darstellung des betroffenen Asamoah. In diesem Fall wäre eine Verurteilung wegen rassistischer Äußerung erfolgt, Anklage erhoben und eine deutliche längere Sperre – im Gespräch waren sechs Wochen – ausgesprochen worden. Auch der BVB hätte dann wohl einen Punktabzug hinnehmen müssen. Gerecht? Wohl kaum! Es blieb in der Öffentlichkeit der Eindruck, als sei eine homophobe Äußerung weit weniger strafwürdig als eine rassistische.
Fußball war und ist ein Hort archaischer Männlichkeit, in seiner mentalen Entwicklung irgendwo zwischen Mondlandung und Mauerfall stehengeblieben, die Ansichten teils vorsintflutlich und die vermeintliche Toleranz gegenüber Schwulen so fragwürdig wie das kokainbehaftete Haupthaar von Fußballtrainer Christoph Daum, der Homosexualität gerne auch mal mit Pädophilie in Verbindung bringt. Eine Parallel-Gesellschaft, in der im Sommer 2009 der Millionen-Euro-Transfer eines brasilianischen Fußballers in die Bundesliga auch an den Gerüchten über dessen angebliche Homosexualität scheiterte (wie der Grimme-prämierte Journalist Aljoscha Pause in einer TV-Dokumentation berichtet). Und wo es als hochrangiger Funktionär eines nationalen Fußballverbandes möglich ist, unbehelligt in die Welt hinauszuposaunen und erst neun Monate später mit einer Geldstrafe von lächerlichen 10.000 Euro von der UEFA belangt zu werden: »Solange ich Präsident bin, wird kein Homosexueller in der kroatischen Nationalmannschaft spielen.« Da klingt es fast schon liebevoll, wenn Schalkes früherer Manager Rudi Assauer jedem Schwulen im Fußball rät, sich einen anderen Job zu suchen.
Trotz der im Sommer 2010 im »Spiegel« erfolgten vollmundigen Ankündigung von Michael Becker, Berater von Ex-Nationalelf-Kapitän Michael Ballack, dass schon bald jemand die »Schwulencombo« – gemeint war die deutsche Fußball-Nationalmannschaft – hochgehen lassen könne, zählen die Namen der homosexuellen Fußballprofis in Deutschland nach wie vor zu den bestgehüteten Geheimnissen. Hier eine Andeutung, dort ein Gerücht. Das war’s. Auch im Amateurfußball ist die Situation nicht viel besser. Kaum jemand wagt sich wirklich aus der Deckung, zu groß ist die Angst vor Ausgrenzung. Dabei jagen rund drei Millionen aktive Fußballer in Deutschland regelmäßig dem runden Leder hinterher. Heterosexuelle, Bisexuelle und Homosexuelle. Auf ein prominentes Coming-out (abgeleitet vom englischen Begriff »coming out of the closet«, wörtlich: »aus dem Kleiderschrank herauskommen«) wartet die Fußballgemeinde jedoch bislang vergebens. Übrigens: Becker wollte trotz mehrerer Telefonanfragen die »Spiegel«-Zitate nicht weiter kommentieren.
Immer wieder betonen wohlmeinende Fans, dass sich im Fußball niemand outen muss, weil sich schließlich auch niemand öffentlich zu seiner Heterosexualität bekennt. Aber genau solche Aussagen dokumentieren die weit verbreitete Scheinheiligkeit einer Gesellschaft, die einen sensiblen Umgang mit dem Thema nur sehr mühsam erlernt. Natürlich betont niemand ausdrücklich, dass er heterosexuell ist. Das wird im Fußball nämlich schlicht und einfach vorausgesetzt. Außerhalb jeglicher Diskussion. Die Frage muss also erlaubt sein, wieso sich dann kein Homosexueller outet, wenn die sexuelle Orientierung angeblich keine Rolle spielt und es niemanden zu interessieren hat, wer mit wem sein Bett teilt, weil das schließlich reine Privatsache sei. Auch dahinter steckt Methode.
Denn Totschweigen und Verdrängen gehören zum Business: Schwule im Fußball sind allein schon deshalb äußerst seltene Exemplare, weil die meisten durch die Art und Struktur des Fußballs selektiert und ausgesiebt werden. Sie halten dem Druck und der befürchteten Diskriminierung einfach nicht stand. Schwule sind nicht systemkompatibel – und die Abneigung gegenüber anderen sexuellen Orientierungen sortiert sie von vornherein aus. Gut möglich, dass dem wirklich so ist – und dadurch die Zahl der Homosexuellen im verklemmten Fußball tatsächlich geringer