outen. Homosexualität sei längst kein Tabuthema mehr – und wer sich zu seiner Neigung bekenne, könnte endlich befreit aufspielen. Nationalmannschaftskollege Neuer legte im Februar 2011 in der gleichen Zeitschrift nach: »Ja, wer schwul ist, sollte sich outen. Da fällt doch eine Last ab.« Dabei erwartet der Keeper auch im Stadion kaum negative Reaktionen: »Die Fans werden sich schnell daran gewöhnen. Wichtig ist die Leistung.« Bemerkenswert auch die Aussage von Stefan Kuntz, Europameister von 1996 und heute Vorstandsvorsitzender des 1. FC Kaiserslautern. Auf die Frage, welche Auswirkungen ein Outing auf den Fußball hätte, sagt Kuntz: »Es würde kurzfristig ein Boulevard-Aufschrei zu hören sein. Langfristig wird es ebenso keine gravierenden Veränderungen geben wie etwa in der Politik.«
Das sieht Klaus Smentek, Chefredakteur vom Fachmagazin »kicker«, ganz ähnlich: »Natürlich würden die Leute darüber reden. Generell glaube ich jedoch, dass das Informationsbedürfnis der Leser zu diesem Thema überschätzt wird. Was ist denn heute noch so ungewöhnlich an einem homosexuellen Menschen, sei er Politiker oder im Showgeschäft?« Peter Peters, Vorstandsmitglied des FC Schalke 04 und Vizepräsident der Deutschen Fußball-Liga (DFL), geht sogar noch einen Schritt weiter, indem er Homosexualität speziell im Fußball als Problem so nicht erkennen kann. »Fußball ist immer auch ein Spiegelbild der Gesellschaft – und die hat sich zum Glück in den letzten Jahren weiterentwickelt.« Ob sich daran auch der Boulevard hält? In den 1990ern musste beispielsweise Jürgen Klinsmann immer wieder subtil gestreute Andeutungen in Deutschlands größter Tageszeitung über sich ergehen lassen. »Krönender« Höhepunkt war eine bösartige Satire während der WM 1998, als TV-Lästermaul Harald Schmidt den späteren Nationaltrainer kurzerhand als »Schwaben-Schwuchtel« titulierte. Einige Jahre später gestaltet sich der Umgang mit dem Thema – zumindest nach außen hin – doch weitaus sensibler.
»Manche treten dich.
Manche lieben dich.
Manche geben sich für dich auf.
Manche segnen dich.
Setz dein Segel nicht,
wenn der Wind das Meer aufbraust.«
Wird hier also eine Problematik beschrieben, die in Wirklichkeit längst von der gesellschaftlichen Entwicklung eingeholt wurde? Haben Toleranz und Offenheit Einzug in die Fußballarenen gehalten, ohne dass es jemand gemerkt hat? Denkbar ist es. Einerseits beobachten zwar Wissenschaftler wie der Gewaltforscher Gunter Pilz eine Zunahme homophober Äußerungen im Stadion, andererseits beschreibt der Soziologe und Fanforscher Dieter Bott in den letzten Jahren eine eher positive Veränderung in den Fankurven. Demnach würden Fußballanhänger durchaus mit homosexuellen Spielern zurechtkommen. Auch Anderson glaubt nicht daran, dass homosexuelle Spieler zum Beispiel Nachteile erleiden würden: »Heutzutage können es sich Firmen imagemäßig gar nicht mehr leisten, jemanden aufgrund seiner sexuellen Vorliebe fallen zu lassen.« Mehr noch: Ein homosexueller Star könnte zur Ikone werden – nicht nur in der schwulen Community.
Selbst das Risiko, von gegnerischen Fans verhöhnt oder beleidigt zu werden, ist überschaubar. Lediglich die Wortwahl bei den Anfeindungen würde sich nach einem Outing vorübergehend verändern. Mit Ausdrücken wie »Arschloch«, »Wichser« und »Hurensohn« müssen die gegnerischen Spieler ohnehin bereits leben, da fällt die »schwule Sau« nicht sonderlich ins Gewicht. Als Gegenreaktion darauf könnte sogar eine Solidarisierung der eigenen Fans mit dem schwulen Kicker erfolgen, weil sie es nicht zulassen, dass andere ihre Helden verunglimpfen.
Sind also alle Befürchtungen, die derzeit einem Outing angeblich noch im Wege stehen, pure Hysterie? Oder haben Outing-willige Spieler doch mit einem Spießrutenlauf zu rechnen, weil Toleranz und 21. Jahrhundert auf den Fantribünen noch nicht angekommen sind? Wo steht der deutsche Fußball wirklich? Wie bunt ist der Kosmos zwischen »Schwulencombo« und dem bis dato unterlassenen Dementi? Die Wahrheit liegt wie so oft – das Phrasenschwein grunzt bereits – irgendwo in der Mitte. Fest steht: »Das Thema ist immer da, es ist etwas, das sich klären will«, so Urban. Es geht wohl nur noch um das Wie.
»Dieser Weg wird kein leichter sein.
Dieser Weg ist steinig und schwer.
Nicht mit vielen wirst du dir einig sein,
doch dieses Leben bietet so viel mehr.«
Mit dem Arsch zur Wand!
Oder:
Wie aus Beutejägern Torjäger wurden
Männer. Männer, die mit anderen Männern in Ekstase geraten. Männer, die andere Männer frenetisch umarmen. Männer, die andere Männer küssen. Männer, die regelrecht übereinander herfallen. Männer, die mit anderen Männern tanzen. Männer, die mit anderen Männern jubeln. Männer, die mit anderen Männern weinen. Männer, die mit anderen Männern leiden. Und Männer, die mit anderen Männern duschen… Männer, die mit anderen Männern begehren. Aber Männer, die andere Männer begehren? – Fehlanzeige!
»Solange ich Präsident bin, wird kein Homosexueller in der Nationalmannschaft spielen«, äußert sich im Herbst 2010 der Chef des kroatischen Fußballbundes Vlatko Markovic. Erst wenige Wochen zuvor wurde der französische Amateur-Fußballer Yoann Lemaire von seinem Club FC Chooz ausgeschlossen, weil man seine Homosexualität nicht akzeptierte. Und auf die Frage einer Journalistin, die das Gerücht eines Tête-a-tête mit einem Teamkollegen ansprach, antwortet Barcelonas Stürmer Zlatan Ibrahimovic: »Besuch mich mal zuhause, und zwar mit deiner Schwester. Dann zeige ich dir, ob ich schwul bin oder nicht!«
Okay, das ist das hinterweltlerische Kroatien. Das chauvinistisch-homophobe Frankreich. Und das katholisch-konservative Spanien. Aber wir hier in Deutschland, wir sind da ganz anders. Schließlich sind doch wir es, die einen Schwulen zum Außenminister gemacht haben! Unsere Gesellschaft ist da doch weitaus liberaler, wir sind da schon viel weiter, oder? Nun, mitnichten. Zugegeben, wir haben einen schwulen Außenminister. Und einen Berliner Bürgermeister, der sich zu seiner Homosexualität bekennt. Doch im Fußball? – Fehlanzeige.
Nach wir vor ist Homosexualität in der Gedankenwelt des Fußballs ein Tabu. Schließlich gilt Fußball als Männersport und wird nicht selten als Kampfsport beschrieben. »Fußball ist für Männer, für harte Männer, und die beißen sich durch. So wird der Sport dargestellt und wahrgenommen«, erklärt der Wissenschaftler Gunter Pilz vom Institut für Sportwissenschaft der Leibniz-Universität Hannover. Pilz ist zugleich Vorsitzender der DFB-Arbeitsgruppe »Für Toleranz und Anerkennung – Gegen Rassismus und Diskriminierung«. Wohl werde auf einer breiten gesellschaftlichen Ebene ein Liberalisierungsprozess greifbar, meint Pilz, »doch im Fußball selbst ist Homosexualität längst keine Normalität.« Denn Fußball ist ein mit vermeintlich männlichen Attributen stark besetzter Sport. Machotypen sind an der Tagesordnung. »Und Homosexualität stellt eben die fußballerische Identität zutiefst in Frage.«
Einerseits. Doch andererseits ist der Sport wie gemacht für Schwule. Das Fußballfeld – ein Mekka der Homosexualität. Könnte man meinen. Denn nur in wenig anderen Sportarten gibt es derart enge Körperkontakte wie im Fußball. Zudem wird der Fußballkult durchzogen von Gesten, Ritualen und Verhaltensmustern, die homoerotische Assoziationen wecken. Frenetisch jubelnde Männer, die sich in den Armen liegen, übereinander herfallen, sich küssen, nachdem sie das Runde im Eckigen versenkt haben. Wenn dann auch noch der portugiesische Superstar Cristiano Ronaldo im Siegestaumel sich das Trikot vom Leib reißt und seinen gestählten Oberkörper im Rausch des Erfolgs stolz den Massen präsentiert, dann schlagen sie höher, die Frauenherzen. Und ganz ehrlich: die Männerherzen auch. Zumindest einige. Und wer soll’s ihnen verdenken?
Aber Erotik hat ihre Grenzen. Vor allem im Fußball. Große Emotionen zwar, aber keine Erotik. Die hat hier nämlich nichts verloren. Fehlanzeige. So erhielt Nationalstürmer Mario Gomez im Oktober 2010 eine Gelbe Karte, als er sein Bayern-Trikot im Torjubel abstreifte. Gomez schoss den FC Bayern mit drei Treffern zum 3:0-Sieg gegen Hannover und feierte das 2:0 so, wie Gott ihn schuf – mit freiem Oberkörper. Obwohl der sich zweifelsohne sehen lassen kann, gemeint ist der makellose Oberkörper, muss dem Schiedsrichter irgendetwas daran nicht gefallen haben. Als er die Offenbrüstigkeit des Bayern-Stürmers bestrafte, lag Referee Marco Fritz allerdings ganz auf